Lionel Zetter ist Leiter der Gesellschaft „The European Azerbaijan Society“. Er ist auch der Vizepräsident von „PublicAffairsAsia“, Vorsitzender der „Public Relations and Communications Association“, und Leider des „Enterprise Forum“. Er war zuvor Präsident des „Chartered Institute of Public Relations“ und der „Government Affairs Group“. Er hat mehrere Bücher zu dem Thema „Lobbying“, zu politischen Kampagnen und der Konservativen Partei Großbritanniens veröffentlicht.
Mit diesem Beitrag soll dargestellt werden, weswegen es sich bei dem bis heute andauernden Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um einen rein territorialen und keineswegs um einen religiösen Konflikt handelt.
In Wahrheit ist Aserbaidschan ein Land, welches von großer ethnischer und religiöser Toleranz geprägt ist. So lobte jüngst auch Papst Franziskus, der am 2. Oktober die katholische Gemeinde von Baku besuchte, das aserbaidschanische Toleranzmodell in höchsten Tönen, indem er sagte: „Ich bin zudem besonders erfreut von den freundlichen Beziehungen, die zwischen katholischen, muslimischen, orthodoxen und jüdischen Gemeinden gepflegt werden. Diese guten Beziehungen beinhalten eine herausragende Bedeutung für die friedliche Koexistenz und den Frieden in der Welt und sie zeigen, dass es zwischen den Anhängern der verschiedenen Konfessionen möglich ist, herzliche Beziehungen, Respekt und Kooperation zum Wohle aller zu pflegen und zu betreiben. Dies ist kein monoethnisches Land mit einer einzelnen Religion.“
Damit nimmt Aserbaidschan eine komplett entgegengesetzte religionspolitische Haltung als das monoethnische Armenien ein. Dies lässt sich besonders gut daran aufzeigen, dass allein in der aserbaidschanischen Hauptstadt drei aktive Synagogen existieren, von denen eine sogar von der Regierung selbst für die jüdische Gemeinde Bakus errichtet wurde. Auch zwei aktive orthodoxe Kirchen, eine aktive lutherische Kirche, sowie eine aktive römisch-katholische Kathedrale haben ihren festen Platz im Stadtbild Bakus. Im Norden der Stadt Quba liegt einer der weltgrößten jüdischen Stadtteile. Direkt im Zentrum von Baku steht sogar eine armenische Kirche. All dies offenbart sehr deutlich: Der Krieg mit Armenien wird keinesfalls von religiösen Motiven bestimmt.
Wie bei der Betrachtung eines jeden Konfliktes ist es jedoch auch in diesem Kontext wichtig, sowohl die Geschichte als auch die gegenwärtigen Tatsachen zu berücksichtigen. Ebenso muss der rechtliche Hintergrund Beachtung finden und darf keineswegs ausgeblendet werden. Es ist ohne jeden Zweifel eindeutig illegal, in sein Nachbarland einzufallen und eine ethnische Säuberung seiner Bevölkerung durchzuführen. Die armenische Besatzung Berg-Karabachs wurde aber genau als eine solche Handlung von den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen eingestuft.
Die Frage nach der Legitimität und Legalität eines Krieges
Bei der Frage nach der Legitimität und Legalität eines Krieges, dient seit spätestens dem Zweiten Weltkrieg als Hauptkriterium, ob ein Krieg und die ihm zugrundeliegenden Motive Unterstützung durch die Vereinten Nationen erfahren. Folgerichtig forderten die Vereinten Nationen den Rückzug Saddam Husseins nach seinem Überfall auf Kuwait. Dieser Rückzug konnte letztendlich auch von einer internationalen Koalition erzwungen werden. Ebenfalls wurde das Massaker serbischer Kräfte an bosnischen Zivilisten in Srebrenica als Kriegsverbrechen verurteilt, was später in dem Einleiten von Strafverfolgungen resultierte.
Armenien hat sich ohne Frage sowohl des Überfalls auf angrenzendes souveränes Gebiet als auch des Verübens von Massakern an Zivilisten, mit dem Ziel die gesamte aserbaidschanische Bevölkerung einzuschüchtern, schuldig gemacht. Exemplarisch kann an dieser Stelle die Ermordung von 613 Männern, Frauen und Kindern in Chodschali vom 26. Februar 1992 angeführt werden, welches mit der klaren Intention ausgeführt wurde, die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und schlussendlich in die Flucht zu treiben. Dies stellt eine brutale und dennoch letzten Endes erfolgreiche Taktik dar, die dazu führte, dass annähernd eine Million Aserbaidschaner aus Berg-Karabach und den angrenzenden Provinzen zu Binnenvertriebenen in ihrem eigenen Land wurden und dies bis heute sind.
Während eines Gesprächs mit dem angesehenen britischen Journalisten Thomas de Waal äußerte sich der amtierende Präsident (und damalige Verteidigungsminister) Serzh Sargsyan zu diesem Massaker von Chodschali folgendermaßen:
„Vor Chodschali dachten die Aserbaidschaner, dass sie mit uns scherzen könnten und dass die Armenier ihre Hand nicht gegen die Zivilbevölkerung erheben würden. Wir waren in der Lage, dieses Stereotyp zu widerlegen.” Gemeinhin wird der vorsätzliche Angriff auf Zivilisten als Kriegsverbrechen eingestuft.
Diese Version der Geschehnisse wird dabei von einer Abfolge offizieller Resolutionen von verschiedenen Institutionen bekräftigt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete einstimmig insgesamt vier Resolutionen: Nummer 822, 874, 884 und 853. Auch von der Generalversammlung der Vereinten Nationen wurde eine Resolution – Nummer 62/243 – verabschiedet, ebenso von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats – Nummer 1416. Allesamt betonen sie die territoriale Integrität und beinhalten die selbe Forderung: Berg-Karabach und die sieben angrenzenden Provinzen sind aserbaidschanisches Staatsgebiet und Armenien muss seine Besatzungstruppen zurückziehen.
Die Provokation seitens Armeniens wurde
Derart stellt sich also der historische und rechtliche Hintergrund dar. Nun aber zu der gegenwärtigen Situation: Im April diesen Jahres, während beide Präsidenten (Aliyev und Sargsyan) anläßlich von Gesprächen über den Konflikt in Washington weilten, begannen die armenischen Truppen mit dem Beschuss von Siedlungen in Goranboy, Fuzuli und Ağdam, woraus rasch ausgewachsene Gefechte entbrannten. Mit dieser Provokation seitens Armeniens wurde darauf abgezielt, den Status quo zu zementieren und somit das angrenzende Territorium besetzt zu halten. Dadurch wurden Erinnerungen an ähnliches Vorgehen während der ursprünglichen Besetzung geweckt, als Armenien am Vorabend von Friedensgesprächen eine ‚neue Bedrohung‘ ausmachte, was in der Folge in der Besetzung weiteren aserbaidschanischen Gebietes resultierte und schlussendlich den Friedensprozess torpedierte. Die Attacke im April forderte zahlreiche zivile Opfer, darunter sowohl Einwohner der an Armenien grenzenden aserbaidschanischen Dörfer und ebenso entlang der ‚Kontaktlinie‘ zwischen Aserbaidschan und den von Armenien besetzten Gebieten. Zusätzlich kam es im Zuge der Kämpfe – auf beiden Seiten – zu hunderten militärischen Opfern.
Ein positives Resultat brachten die Kämpfe im April jedoch hervor, weil in der Folge die beiden Präsidenten erneuten Treffen und einer Wiederaufnahme von Friedensgesprächen zustimmten. Ein erstes Treffen fand in Wien statt, ein zweites in St. Petersburg und in naher Zukunft ist bereits ein drittes Treffen geplant. Dadurch werden Hoffnungen wach, dass nach 25 Jahren der Gespräche endlich wirklicher Fortschritt erreicht werden kann. Jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass anders als bei den Irak, Serbien und andere Staaten betreffenden UNO-Resolutionen, deren beinhaltende Forderungen binnen Tagen, teilweise sogar Stunden befolgt wurden, diejenigen mit Bezug zu Berg-Karabach 23 Jahre später noch immer nicht umgesetzt wurden. Von Seiten der internationalen Gemeinschaft wird Aserbaidschan fortlaufend gebeten, geduldig zu sein, Kompromisse einzugehen und nicht zu militärischen Mitteln zu greifen.
Dennoch könnte die gegenwärtige Runde der Friedensgespräche tatsächlich messbaren Fortschritt bringen. Die Minsk-Gruppe der OSZE – die Institution, die mit der Suche nach einer Verhandlungslösung betraut ist – hat die sogenannten Madrid-Prinzipien entwickelt. Zwar ist der exakte Inhalt dieser Prinzipien unbekannt, es ist jedoch davon auszugehen, dass sie die schrittweise Rückgabe der sieben angrenzenden Regionen beinhalten, während zeitgleich nachhaltige Gespräche bezüglich der langfristigen Zukunft Berg-Karabachs geführt werden sollen. Bei den letzten Verhandlungen, als diese Vorschläge den Gesprächspartnern unterbreitet wurden, akzeptierte Aserbaidschan diese – Armenien hingegen weigerte sich.
Eine weitere Frage erscheint offensichtlich und sollte an diesem Punkt gestellt werden: Wie lange soll Aserbaidschan weiter warten? Soll es wirklich den Raub von Land und Leben belohnen? Und auf welche Art soll es seinen Besitz zurückbekommen? Aus der letzten Eskalation kann die Lektion gezogen werden, dass – auch wegen der heiklen und besonderen geopolitischen Lage der beiden Staaten – der gegenwärtige Status quo nicht nur eine große Bedrohung für den regionalen, sondern auch für den Weltfrieden darstellt. Aus diesem Grund muss die internationale Gemeinschaft und die Minsk-Gruppe der OSZE stärker versuchen, den Aggressor zur Umsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zum Wohle des Friedens in der gesamten Kaukasusregion zu bewegen.
Armenien steckt in der Krise
Dieses Mal wäre es möglich, dass sich den Armeniern keine andere Wahl mehr bietet. Die armenische Wirtschaft steckt tief in der Krise und die Bevölkerung wird zunehmend ausgedünnt, weil junge und ambitionierte Armenier nach Russland und Europa emigrieren. Vergangene Woche wurden neue Zahlen des „Population Reference Bureau“ veröffentlicht, welches schätzt, dass die Bevölkerung Armeniens bis 2050 auf lediglich 2,5 Millionen Einwohner zusammengeschrumpft sein wird – ungefähr die Einwohnerzahl von Toronto. Während Armenien jahrzehntelang nur militärisch auf Russland angewiesen war, sind nunmehr seine Wirtschaft und Infrastruktur gänzlich von Russland abhängig. Dies resultiert in einer wachsenden Unzufriedenheit in der armenischen Bevölkerung, die es zunehmend leid ist, Opfer für den Wunschtraum eines „Großarmeniens“ zu bringen. Wenn Armenien auf die Aggression verzichtet hätte, dann hätte es sicherlich mehr als von diesen Wunschträumen von den tatsächlichen Ölleitungen profitieren können, deren Bau von Aserbaidschan vorangetrieben wurde.
Frieden stellt immer eine Option dar. Jahrzehntelang lebten Aserbaidschaner und Armenier friedlich Seite an Seite. Aserbaidschan ist – trotz des momentan geringen Ölpreises – ein wohlhabendes Land und Armenien besitzt dringenden Investitionsbedarf. Die ganze Region kann erst dann stabilisiert werden und zu Blüte gelangen, wenn der Konflikt endlich gelöst ist. Ebenfalls müssten die Grenzen zwischen Armenien und seinen Nachbarn Aserbaidschan und der Türkei wieder geöffnet werden. Dabei geht es nicht um das ‚muslimische‘ Aserbaidschan und das ‚christliche‘ Armenien, die einen jahrhundertealten Konflikt lösen. Es geht vielmehr um Nachbarn und um frühere Freunde, die beschließen, zu dem zuvor herrschenden harmonischen Verhältnis zurückzukehren.
Quelle:theeuropean
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