Die Spuren nach Polen

  21 Dezember 2016    Gelesen: 846
Die Spuren nach Polen
Mit der Entführung des Attentats-Lkw ist der Terror auch in Polen angekommen. Wer war der Mann, der im Fahrerhäuschen des Lastwagens ermordet wurde?
Es ist eine Art improvisierter Pressekonferenz: Am Dienstagmorgen tritt in dem kleinen polnischen Nest Gryfino Ariel Zurawski vor die Mikrofone. Er ist Spediteur, ihm gehört der Lkw, mit dem in Berlin zwölf Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden. Es war sein Cousin Lukasz U., der im Fahrerhäuschen ermordet aufgefunden wurde. Zurawski musste ihn anhand von Fotos identifizieren: "Es hat einen Kampf gegeben, sein Gesicht war verzerrt und voller Blut." Der Tote hinterlässt einen 17-jährigen Sohn, seiner Frau haben sie die Bilder der Leiche nicht gezeigt.

Sehr zuverlässig sei Lukasz U. gewesen, erzählt sein Cousin und ehemaliger Arbeitgeber weiter. Der Presse zeigt er ein Handyfoto mit schlechter Auflösung, das ihm U. noch wenige Stunden vor der Tat geschickt hatte. U. war 37 Jahre alt, ein stämmiger Mann, an die 150 Kilogramm soll er gewogen haben, bei einer Größe von etwa 1,80 Meter. Er sei sehr zuverlässig gewesen und habe sich nie betrunken ans Steuer gesetzt, erzählen seine Kollegen.

Am Montag um 15 Uhr telefonierte U. das letzte Mal mit seiner Frau, danach hat sie ihn nicht mehr erreicht. Der Lastwagenfahrer hatte schon auf dem Rückweg nach Polen sein sollen, erzählt Zurawski, doch es gab Verzögerungen beim Abladen - das könnte U. zum Verhängnis geworden sein.

Er war am Montagmorgen aus Italien gekommen, eine Ladung Stahlteile für Thyssen-Krupp in Berlin, Friedrich-Krause-Ufer. Doch am Ziel angekommen, sagte man ihm, er könne erst am nächsten Tag ausladen. U. versuchte wohl noch, etwas auszuhandeln. Aber vergeblich. Also ging er erst mal einen Kebab essen. Eine Überwachungskamera nimmt den Polen am Tresen auf, es ist das letzte Bild von U.

Danach muss der Täter zugeschlagen haben. "Hätte er sofort ausladen können", sagt sein Cousin, "wäre das alles nicht passiert". Schon kurz nach der Tat ließ er wissen, dass er sich für U. "die Hand abhacken lassen würde". Er hätte mit der Tat mit Sicherheit nichts zu tun gehabt.

Was genau zwischen dem Besuch in dem Imbiss und der Todesfahrt mit dem Fahrzeug und U. als Insassen passierte, ist noch nicht klar. GPS-Daten sollen zeigen, dass der Lkw in der Zwischenzeit drei Mal gestartet wurde, doch erst kurz vor der Tat seinen Parkplatz verließ. "Es wirkte, als habe jemand Fahren geübt", sagt Ariel Zurawski.

Zunächst hieß es noch, U. sei bereits tot gewesen, als der Täter den Laster auf den Breitscheidplatz steuerte. Mittlerweile geht man davon aus, dass der Pole noch bis zum Attentat gelebt habe. Das habe die Obduktion ergeben, heißt es aus Ermittlerkreisen. U. soll erst nach dem Eintreffen der Feuerwehr an den Folgen einer Schussverletzung gestorben sein.

Polen dürfe nicht wie Deutschland werden

Fest steht: Mit der Entführung des Zurawski-Lkw ist der Terror auch in Polen angekommen. "Eine große Tragödie", nannte Polens wahrer Machthaber Jaroslaw Kaczynski den Anschlag und versprach seinen Landsleuten "Wir werden Polen verteidigen."

Inzwischen versucht die Regierung zu beruhigen: "Polen ist sicher", sagt Innenminister Mariusz Blaszczak und schiebt nach, dass das natürlich der Verdienst der national-katholischen Regierung ist. 2015, damals waren in Warschau noch die Liberalen an der Macht, hatte Polen sich gegenüber der EU verpflichtet, einige Tausend Flüchtlinge aufzunehmen.

Die Nationalkonservativen jedoch fühlten sich an diese Zusage nicht mehr gebunden. Tenor: Polen dürfe nicht wie Deutschland werden, wo Muslime ganze Stadtteile dominierten, wo mancherorts die Scharia gelte. Kaczcynski selber schwadronierte über "Erreger", die die Fremdlinge mitbrächten, die für Polen gefährlich seien, "in ihren Körpern aber unschädlich".

"Wenn noch die alte Regierung an der Macht wäre, hätten wir schon einige Tausend, vielleicht Zehntausende muslimischer Immigranten im Land. Dann wäre die Gefahr groß", sagte Innenminister Blaszczak. "Wir dürfen nicht vergessen. Es ist ein Kampf der Zivilisationen. Das ist kein Zufall, dass es einen Weihnachtsmarkt getroffen hat."

Quelle : spiegel.de

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