Anis Amri ist auf der Flucht

  22 Dezember 2016    Gelesen: 656
Anis Amri ist auf der Flucht
Der Verdächtige für den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt war den Behörden bekannt. Gegen ihn wurde wegen der Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat ermittelt - allerdings ohne Ergebnis. Und er sollte abgeschoben werden. Ist es dieses Mal die richtige Spur?
Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt wird mit Hochdruck nach dem als Islamist bekannten Verdächtigen Anis Amri gefahndet. Die Polizei in der Hauptstadt dementierte jedoch einen Zeitungsbericht, wonach ein Spezialeinsatzkommando zeitgleich zwei Wohnungen gestürmt haben soll. Zudem teilten die Sicherheitskräfte mit, dass die Absperrungen am Breitscheidplatz aufgehoben worden seien. Die Arbeit der Polizei sei dort abgeschlossen.

Die "Welt" berichtete unter Berufung auf Ermittlerkreise, Amri sei bei zwei Razzien in Berlin nicht aufgefunden worden. Ein ranghoher Beamter gehe davon aus, dass der Nordafrikaner die Flucht ergriffen habe. "Das stimmt nicht", teilte die Polizei Berlin zu dem Bericht mit.

Die Bundesanwaltschaft rief die Bevölkerung zur Mithilfe auf und setzte 100.000 Euro Belohnung aus. Zugleich mahnte sie zur Vorsicht: "Bringen Sie sich selbst nicht in Gefahr, denn die Person könnte gewalttätig und bewaffnet sein!" Auch europaweit wird nach Amri gefahndet.

Seine Duldungspapiere waren in dem Laster gefunden worden, der am Montagabend auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren war. Bei der Tat kamen zwölf Menschen ums Leben, rund 50 wurden teils lebensbedrohlich verletzt. Ein zunächst festgenommener Pakistaner wurde wieder freigelassen.

Amri seit Februar in Berlin

Gemeldet war der gesuchte Tunesier in einer Asylbewerberunterkunft in Nordrhein-Westfalen. Wie NRW-Innenminister Ralf Jäger mitteilte, war er 2015 über Freiburg nach Deutschland eingereist und verwendete mehrere Identitäten. Seit Februar hielt er sich demnach vor allem in Berlin auf.

Dort wurde Amri nach Hinweisen von Bundesbehörden überwacht, und zwar von März bis September dieses Jahres, wie die Generalstaatsanwaltschaft mitteilte. Es habe Informationen gegeben, wonach der in Nordrhein-Westfalen als islamistischer Gefährder geführte Verdächtige einen Einbruch plane, um Geld für den Kauf automatischer Waffen zu beschaffen – "möglicherweise, um damit später mit noch zu gewinnenden Mittätern einen Anschlag zu begehen", hieß es.

Austausch der Sicherheitsbehörden

Die Observierung und Überwachung der Kommunikation sei sogar verlängert worden, habe aber keine Hinweise auf ein staatsschutzrelevantes Delikt erbracht, erklärte die oberste Berliner Ermittlungsbehörde. Hinweise habe es lediglich gegeben, dass Amri als Drogendealer tätig und an einer körperlichen Auseinandersetzung, vermutlich in der Dealerszene, beteiligt gewesen sein könnte. Deshalb habe die Überwachung im September beendet werden müssen. Die Sicherheitsbehörden tauschten Jäger zufolge ihre Erkenntnisse über Amri im gemeinsamen Terrorabwehrzentrum aus, zuletzt im November 2016.

Laut "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR tauchte er im Dezember unter. Nach Informationen dieser Medien hatte er Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Hildesheimer Predigers Abu Walaa, den Jäger früher einmal als "Chefideologen" der Salafisten in Deutschland eingestuft hatte.

Amri wurde bereits im Juni als Asylbewerber abgelehnt, wie NRW-Innenminister Jäger berichtete. "Der Mann konnte aber nicht abgeschoben werden, weil er keine gültigen Ausweispapiere hatte." Tunesien habe lange Zeit bestritten, dass es sich um seinen Staatsbürger handele. Die für die Abschiebung wichtigen tunesischen Ersatzpapiere seien erst an diesem Mittwoch bei den deutschen Behörden eingetroffen, sagte der Minister.

2011 nach Italien

In Tunesien verhörten Ermittler nach einem Bericht der Zeitung "Al-Chourouk" die Familie des mutmaßlichen Attentäters in der nordöstlichen Provinz Kairouan, einer Salafisten-Hochburg. Die Familie habe ausgesagt, dass sie keinen steten Kontakt mit Amri gehabt habe, seitdem er das Haus Ende 2010 verlassen habe. 2011 kam er als Flüchtling nach Italien, wie die dortige Nachrichtenagentur Ansa berichtete, und wurde in einem Auffanglager auf Sizilien untergebracht.

Weil er Sachbeschädigungen und "diverse Straftaten" beging, kam er demnach in Palermo vier Jahre ins Gefängnis. Im Frühjahr 2015 wurde er laut Ansa entlassen, konnte wegen Problemen mit den tunesischen Behörden aber nicht ausgewiesen werden. Er sei dann nach Deutschland weitergereist, hieß es.

IS reklamiert Anschlag für sich

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der tot auf dem Beifahrersitz gefunden wurde, hat laut "Bild" bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Zeitung. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt.

Unklar war zudem, ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amak zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt. Täterwissen gab der IS - wie schon in früheren Fällen - nicht bekannt.

Quelle: n-tv.de

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