Seit Jahresbeginn rauscht die Lira immer schneller bergab. Wertverluste von mehr als zwei Prozent an einem Tag sind keine Besonderheit, am Mittwoch war die Währung so schwach wie nie zuvor. Inzwischen müssen die Türken mehr als vier Lira hinblättern, um einen Euro zu erhalten - noch im Sommer waren es kaum mehr als drei Lira. Und Hinweise auf baldige Besserung gibt es nicht.
Politische Lage verunsichert Anleger
"Eine Stabilisierung oder gar eine Gegenbewegung ist nicht in Sicht", sagt Manuel Schimm, Experte bei der Bayerischen Landesbank. Auch in diesem Jahr werde die Lira für Investoren äußerst unattraktiv bleiben. Zwar ist die Währung bereits seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 deutlich unter Druck. Aber jetzt nimmt die Verunsicherung der Anleger wegen neuer Sorgen um die politische Entwicklung in der Türkei noch weiter zu. Denn im Parlament in Ankara wird dieser Tage über eine von Erdogan angestrebte Verfassungsreform abgestimmt.
Der Staatschef will ein Präsidialsystem einführen und somit seine Macht noch weiter ausbauen. Die ersten beiden von 18 Artikeln haben die Abgeordneten in der Nacht zum Mittwoch vorerst abgenickt. Am Ende soll noch das Volk abstimmen. Weite Teile der Opposition laufen Sturm gegen die Reform und warnen vor einer "Diktatur" in der Türkei.
Nichts aber fürchten Anleger an den Finanzmärkten mehr als einen unberechenbaren Staatschef, der schalten und walten kann wie er will. So gerät die Lira ins Taumeln; und die türkische Notenbank schaut offenbar machtlos zu. Zwar hat sie sich gegen die Lira-Schwäche gestemmt, indem sie den heimischen Banken erlaubt, mehr Dollar zu verkaufen. Zuvor mussten die Geldhäuser höhere Dollar-Bestände als Sicherheit bunkern. Dies sei aber weder das richtige Mittel noch reiche es aus, kritisiert Tatha Ghose, Experte bei der Commerzbank.
Erdogan will Geldstrümpfe umkrempeln
Auch Appelle Erdogans, die Türken sollten ihre Devisen unterm Kopfkissen hervorholen und zur Bank bringen, klingen eher verzweifelt als nach einer durchdachten Strategie. Auf die Dauer werde die Notenbank um Zinserhöhungen nicht herum kommen, meint Ghose. Das Problem aber ist: Höhere Leitzinsen drohen die türkische Wirtschaft noch weiter abzuwürgen. Deshalb sitzt Erdogan den Währungshütern im Nacken. Bereits mehrfach hat der Staatschef sogar Zinssenkungen gefordert. Zwar stellt er offiziell die Unabhängigkeit der Notenbank nicht infrage. Als Präsident habe er aber das Recht zur Kritik. "Denn ich bin es, der vor seinem Volk die Ohrfeige abbekommt, nicht der Notenbank-Bürokrat", so sein Argument.
Und Erdogans Sorgen um die Konjunktur kommen nicht von ungefähr. Die türkische Wirtschaft ist im dritten Quartal 2016 erstmals seit dem Krisenjahr 2009 geschrumpft. Vor allem der Tourismussektor leidet. Eines der beliebtesten Reiseländer der Deutschen versinkt im Chaos, aus Angst bleiben Besucher weg, die Hotels sind leer. Für dieses Jahr hat die türkische Regierung ihre Wachstumsprognose für die Wirtschaft von 5,0 auf 4,4 Prozent gesenkt.
Viel Import, wenig Export
Zu allem Überfluss hat die Türkei schon lange mit einem chronischen Leistungsbilanzdefizit zu kämpfen. Seit der Jahrtausendwende exportiert das Land fast kontinuierlich viel weniger als es importiert. Das macht die Türkei besonders verletzlich bei einer Talfahrt der Währung, denn diese macht Importe teurer. Das heizt die Inflation an, zuletzt lag die Teuerungsrate bei satten 8,5 Prozent. Für die Türken bedeutet das: Bei gleichem Geld im Portemonnaie landet weniger in der Einkaufstüte.
Und selbst wenn die Notenbank gegen den Willen Erdogans die Zinsen anhebt, ist nicht sicher, ob sie damit gegen die Lira-Schwäche ankommt. Zweifel daran wurden im November bestärkt, als die Notenbank erstmals seit Anfang 2014 den Leitzins anhob; auf das jetzige Niveau von 8 Prozent. Die Lira konnten sie dadurch nur vorübergehend stützen, schon bald fiel sie weiter. Die gefährliche Medizin war verabreicht worden, aber die Krankheit blieb - sehr zum Ärger Erdogans.
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