Betriebe vieler Branchen klagen über Fachkräftemangel, Jahr für Jahr bleiben viele Ausbildungsplätze leer. Trotzdem hält sich die Zahl der erfolglosen Anwärter auf eine Lehrstelle seit Jahren auf ähnlichem Niveau. Von den 80.000 Jugendlichen, die 2016 nur Absagen bekommen haben, entschieden sich 60.000 für eine Alternative und gingen zum Beispiel weiter zur Schule. Etwa 20.000 standen ohne alles da. Und das sind nur diejenigen, von denen die Arbeitsagentur weiß.
Es gibt verschiedene Programme, regionale und bundesweite, um diesen Jugendlichen zu helfen. Doch wie sehen sie in der Praxis aus? Und was denken die jungen Leute selbst? Zwei junge Männer, zwei Projekte:
Herbst 2016. Um Punkt zehn Uhr rauscht Ute Stenzel in den Klassenraum im Lehrbauhof in Berlin-Marienfelde. Sie leitet das Projekt "Startklar für Ausbildung". Finanziert wird es vom Land Berlin und der Sozialkasse Bau, einer Art Versicherung der Baufirmen in Berlin.
Eric Schübel sitzt in der letzten Reihe. Mit 23 anderen jungen Männern soll er hier verschiedene Berufe kennenlernen. Dann folgt ein Praktikum in einem Betrieb. Wenn sie dort einen guten Eindruck hinterlassen, werden sie als Azubis übernommen. Das Programm sei "für alle, die sonst nichts kriegen", sagt Schübel.
Mit 26 Jahren ist er einer der Älteren in der Klasse. Einige seiner Mitschüler sind zehn Jahre jünger. Schübel hat viel Zeit verloren - durch Drogen und Alkohol, zeitweise lebte er auf der Straße. Seit drei Jahren ist er clean.
Der Unterricht beginnt mit der Frage: "Wie viel, glaubt ihr denn, verdient ein Hochbaupolier?" Mit anderen Worten: Was wissen die Jungs von der Welt, in die sie hineinwachsen sollen? Viele starren auf die Tischplatte. "12.000 Euro pro Jahr brutto", schätzt einer. Tatsächlich sind es zwischen 70.000 und 80.000 Euro.
Stenzel warnt die Jugendlichen, dass sie in den ersten Wochen auf dem Bauhof Schmerzen haben werden von der ungewohnten Arbeit. Dann wagt sie eine Prognose: "Zwischen 50 und 70 Prozent von euch schaffen den Sprung in die Ausbildung." Aber sie müssten sich anstrengen: "Wir haben noch die Flüchtlinge hier. Ihr müsst schneller und besser sein."
Eric Schübel hört zu, ohne eine Miene zu verziehen. Wegen der Flüchtlinge mache er sich keine Sorgen, sagt er später. "Ich werde meinen Weg schon machen."
Dezember 2016. Rund die Hälfte der Teilnehmer bei "Startklar für Ausbildung" hat das Programm abgebrochen. Eric Schübel ist noch dabei, er absolviert jetzt ein Praktikum in einer Dachbau-Firma. "Das ist endlich mein Ding", sagt er. Der Meister habe ihm "mit 95-prozentiger Sicherheit" einen Ausbildungsplatz versprochen.
Januar 2017. Für Eric Schübel beginnt das neue Jahr mit positiven Nachrichten: Ende Januar soll er den Ausbildungsvertrag unterschreiben. Er ist sicher, dass es für ihn jetzt aufwärts geht. Und hofft, dass sich später, wenn er den Ausbildungsabschluss in Händen hält, keiner mehr daran erinnern wird, dass der Übergang von der Schule in den Arbeitsmarkt mal auf der Kippe stand.
Herbst 2016. Für Eric Müller beginnt sein zweites Lehrjahr zum Elektrotechniker. Der 18-Jährige kam als Schülerpraktikant zu seiner Firma und ist einer der Ersten, der dort eine "Assistierte Ausbildung" macht.
"In der praktischen Arbeit passte Eric vom ersten Tag gut rein, er ist handwerklich sehr geschickt", sagt Ausbilder Uwe Schadwinkel. Doch von Azubis erwarte er "mindestens Mittlere Reife und Note Zwei in Mathe und Physik". Müller hat einen Hauptschulabschluss, die fünfte Klasse wiederholt und mäßige Noten in Mathe und Physik.
Durch das Förderprogramm erhält Müller jeden zweiten Samstag Nachhilfeunterricht. Die Kosten trägt die Arbeitsagentur. Theoretisch darf er sich außerdem regelmäßig mit einem Sozialarbeiter treffen, um Probleme im Betrieb zu besprechen. Aber er hat keine.
Dezember 2016. Auf die Frage, wie es gerade so läuft, antwortet Eric Müller: "Ich würde sagen, es läuft erst einmal so Durchschnitt." Sein Ausbilder findet deutlichere Worte: "Im Moment läuft es nicht so gut." Trotz des Nachhilfeunterrichts bestehe Eric die Leistungskontrollen in der Berufsschule kaum. "Bruchrechnung, Prozentrechnung, das alles sollte im zweiten Lehrjahr lange hinter uns liegen", sagt Schadwinkel.
Er sei sich sicher, dass Müller lernen wolle: "Er weiß aber nicht richtig, wie." Deshalb paukt er jetzt selbst mit ihm. Außerdem hat er Müllers Berufsschullehrerin in Kontakt gebracht mit dem Nachhilfelehrer, den er über die "Assistierte Ausbildung" bekommt. Nun tauschen sie zu dritt E-Mails aus, was der Azubi nacharbeiten soll. So will das Trio ihn durch die Zwischenprüfung hieven.
Quelle : spiegel.de
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