Die Gemeinsamkeiten mit der Römischen Republik seien schon seit Jahrzehnten „so massiv und augenscheinlich, dass man fast fragen müsste, wo es keine gibt.“
Zu sehen sei das an folgenden Faktoren: der Arbeitslosigkeit, dem Familienzerfall, Individualismus, Niedergang traditioneller Konfessionen, der Globalisierung (damals in Form der Romanisierung), dem Bevölkerungsrückgang, Fundamentalismus, der Migration, Verarmung, der Mentalität à la „Brot und Spiele“, der Kriminalität, Polarisierung zwischen einer oligarchischen Politikerkaste auf der einen Seite und unzufriedenen „Populisten“ auf der anderen. Dazu gehöre auch der Versuch, „Barbaren“ in asymmetrischen Kriegen mit diesen Werten zu beglücken.
„Europa steckt in einem Teufelskreis", warnt Engels. „Kolonialismus, Weltkriege, Dekolonialisierung, unglückliches Eingreifen im falschen und Nicht-Eingreifen im richtigen Moment in die Konflikte an Europas Peripherie haben zu einer Lage geführt, in der ich einen völligen Rückzug Europas für extrem gefährlich halte.“
Man müsse bedenken, dass Einwanderung derzeit nicht das Einzige sei, was zu einer Identitätskrise und Zerfall führen könnte: „Die gegenwärtigen Bevölkerungsbewegungen sind nur eines der vielen Symptome unserer gegenwärtigen Geisteshaltung, welche von einer seltsamen Mischung von Kosmopolitismus, Selbstzweifeln, Kalkül, Materialismus und schlechtem Gewissen geprägt ist. Genau diese Mischung finden wir auch zu Ende der Römischen Republik.“
Die Öffnung an sich sei also nicht das Hauptproblem – viel schwerwiegender sei die gesellschaftliche Polarisierung, „das Fehlen jeglicher langfristiger Planung, das Primat der Wirtschaft vor der Politik und der Kultur oder die Tendenz zur ideologischen Überheblichkeit.“
Problematisch sei auch, dass man das Augenmerk nur auf die wirtschaftliche Ausdehnung gelegt und somit die Chance versäumt habe, eine „innen-, sozial- und fiskalpolitische Union aufzubauen und die kulturelle Zusammengehörigkeit zu betonen“. Genau deswegen sei es zum Beispiel zu der Debatte gekommen, wieso die Deutschen denn nun für Griechenland zahlen müssten.
„Kein Wunder, dass überall im Westen die Populisten und Nationalisten an Macht gewinnen, genau wie in Rom die `populares`: Genau wie die späte römische Republik sitzt auch Europa auf einem Vulkan, der jeden Moment ausbrechen kann“, so Engels.
Das letzte, was er sich auch selbst als Vater von zwei kleinen Kindern wünschen würde, wäre ein Bürgerkrieg. Doch es wäre feige, die Augen nur deswegen zu verschließen, um die Realität nicht wahrzuhaben. Seit er sein Buch „Auf dem Weg ins Imperium“ geschrieben habe, hätten sich alle vorhergesagten Parallelen leider planmäßig erfüllt.
In Deutschland seien es die großen deutschen Parteien, die ihre Augen verschließen würden, indem sie die wachsende Armut, die zunehmende kulturelle und politische Zerrissenheit und den Vertrauensverlust in die Demokratie nicht wahrhaben wollten. Dies führe dazu, dass ihnen von den Populisten das Wasser abgegraben werde — bis der Staat im Endeffekt wie im spätrepublikanischen Rom unregierbar sei. Donald Trump, Nigel Farage oder Marine Le Pen seien dabei nichts anderes als moderne Variationen von Catilina oder Clodius, meint der Geschichtsforscher.
Der Historiker rechnet nicht damit, dass ein Bürgerkrieg vermieden werden und aus Geschichte gelernt könnte: „Das wäre, wie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.“ Er glaube allerdings nicht an einen Krieg bewaffneter Bürgerlegionen, da die europäische Politik dafür zu wenig militarisiert sei.
„Ich rechne aber mit Vorstädten, die der staatlichen Kontrolle entgleiten. Mit Landstrichen, die von paramilitärischen, ethnischen oder religiösen Gruppen beherrscht werden. Mit überhand nehmender Kriminalität. Mit wirtschaftlichem Bankrott und völligem politischen Immobilismus“, meint Engels.
In 20 bis 30 Jahren könnte sich Europa nach einer Phase bürgerkriegsähnlicher Krisen und Verfallserscheinungen schließlich in einen autoritären oder gar imperialen Staat verwandeln. Nach Meinung des Historikers gebe es heutzutage nun mal kein souveränes Deutschland, Frankreich oder Griechenland und auch keine Nationalstaaten mehr. Man sehe das mitunter auch am Modell der Bundesrepublik oder der USA, dass sich ein starker Staat mit einer gewissen lokalen Autonomie in kulturellen und administrativen Fragen vereinen lasse.
„Ein geeintes Europa mit einem charismatischen Präsidenten, der bis auf die Ebene des Bürgers durchregieren kann, das scheint mir eine sehr wahrscheinliche Prognose. Bedenklich wird dies aber nur, wenn es sich, wie im augusteischen Rom, auf Kosten der Freiheit des Einzelnen vollzieht“, so Engels.
Quelle : sputnik.de
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