Der Mann, der Putin herausfordert

  08 Februar 2017    Gelesen: 799
Der Mann, der Putin herausfordert
Alexej Nawalny tritt gegen Wladimir Putin an: Der bekannte Oppositionelle will russischer Präsident werden. Immer wieder kommt er vor Gericht, dahinter vermutet er den Kreml. Nun fällt wohl ein entscheidendes Urteil.
Klein beigeben, das kommt für Alexej Nawalny nicht in Frage. Er steht im Regionalgericht von Kirow, einer Provinzstadt rund 960 Kilometer nördlich von Moskau. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Betrug vor, sie fordert fünf Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von umgerechnet 7800 Euro. Auf die Forderung der Anklage reagiert Nawalny mit Spott. Er verstehe die Botschaft schon: "Alexej, wir warnen dich noch einmal höflichst davor, an den Wahlen teilzunehmen."

Nawalny, 40, ist Russlands bekanntester Oppositioneller. 2018 wird in Russland ein neuer Präsident gewählt, und er hat angekündigt, Staatschef Wladimir Putin herausfordern zu wollen. Dieser hat zwar noch nicht erklärt, ob er wieder antritt, aber es gilt als recht sicher, dass er eine erneute Amtszeit anstrebt.

Das Verfahren gegen ihn nennt Nawalny daher politisch motiviert. Denn wird er rechtskräftig verurteilt, verliert er das Recht zu kandidieren. Am Mittwoch will der Richter das Urteil verkünden.

Nawalny ist selbst Anwalt, er ist unbequem, energisch und ehrgeizig. Inzwischen ist er einer der wenigen Oppositionellen, die überhaupt noch Wahlkampf in Russland machen können. Vor rund zwei Jahren wurde Boris Nemzow erschossen; Wladimir Kara-Mursa liegt nach Angaben seiner Frau wieder mit Vergiftungssymptomen im Krankenhaus; Michail Chodorkowski lebt wie andere im Ausland.

Dass er dem Kreml das Leben durchaus schwer machen kann, hat Nawalny wiederholt bewiesen. Bei der Wahl des Moskauer Bürgermeisters im September 2013 landete er mit beachtlichen 27 Prozent auf Platz zwei.

Er hat sich den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben. In seinem Blog greift Nawalny immer wieder die Regierung offen an, veröffentlichte unter anderem ein Video einer Luxusdatscha, die Premier Dmitrij Medwedew nutzen soll. Die Kreml-Partei "Einiges Russland" nannte er vor Jahren "Partei der Gauner und Diebe".

Nawalny ist zudem ein charismatischer Redner, der die Kunst des Populismus beherrscht. Auch nationalistische Töne scheute er nicht, als er gegen Gastarbeiter aus Zentralasien Stimmung machte.

Am Samstag eröffnete er in Sankt Petersburg sein erstes Wahlbüro.

Er lässt nicht locker, trotz des Prozesses in Kirow. Die Staatsanwaltschaft wirft Nawalny Veruntreuung vor. Er soll 2009 einen staatlichen Forstbetrieb dazu gebracht haben, Bauholz unter dem Marktpreis zu verkaufen. Damit soll er den Staat um 16 Millionen Rubel, heute etwa 250.000 Euro, gebracht haben. Nawalny beteuert seine Unschuld.

Die Verhandlung in Kirow ist Teil eines langen und fragwürdigen Verfahrens:

2010 wird ein Vorverfahren eingestellt: Es habe kein Schaden vorgelegen, sagt der zuständige Richter.

2011, Nawalny ist da bereits einer der Anführer der größten Proteste seit Anfang der Neunzigerjahre in Russland, wird ihm erneut der Prozess gemacht, dieses Mal in Kirow.
2013 werden Nawalny und sein ehemaliger Geschäftspartner Piotr Ofizerow zu fünf Jahren Straflager 2013 verurteilt. Einen Tag später wird Nawalny freigelassen, später wird das Urteil in Bewährungsstrafen umgewandelt.

2016 stuft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil als unfair und "politisch motiviert" ein. Russlands Oberster Gerichtshof hebt das Urteil zwar dann auf, ordnet aber an, das Verfahren am selben Gericht in Kirow neu aufzurollen.
Seit 5. Dezember läuft dieser neue Prozess nun, es sind absurde Tage in Kirow. Praktisch jeden der Anträge der Anwälte bügelt der Richter ab - auch den, Dokumente einzubeziehen, die belegen sollen, dass andere Unternehmen damals Holz zu weit günstigeren Preisen verkauften. Ende Januar tauchen Polizisten in Nawalnys Büro in Moskau auf, um ihn nach Kirow zum Prozess zu eskortieren, was seine Sprecherin auf Twitter dokumentiert.

Dann verkündet der Richter plötzlich, 16 Verhandlungstage am Stück anzusetzen, woraufhin die erstaunten Verteidiger einwerfen, sie hätten Gerichtstermine in Moskau. Nein, hätten sie nicht, sagt der Richter - und in der Tat, die Termine sind aus verschiedenen Gründen abgesagt worden. Was den Schluss zulässt, dass der Kreml großes Interesse hat, den Prozess in Kirow zu beschleunigen. Tatsächlich versucht die Führung in Moskau alles, um Nawalny kleinzumachen - ihn, den Anti-Korruptions-Kämpfer, als Verbrecher zu präsentieren.

Sollte er schuldig gesprochen werden, hat Nawalny angekündigt, Einspruch einzulegen - damit würde er sich Zeit verschaffen, um seinen Wahlkampf um das Präsidentenamt erst einmal bis zu einem rechtskräftigen Urteil weiterzuführen. "Unsere Aufgabe ist es, die Behörden zu zwingen, mich trotzdem zu registrieren."

Einstweilen könnte der Kreml Nawalny gewähren lassen. Die Führung steckt in einem Dilemma.

Kein anderes Thema hat in Russland in den vergangenen Monaten so viel Beachtung gefunden wie der Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Und in Russland? Da tritt einmal mehr die alte Garde an: Der Liberale und Dauerwahlverlierer Grigorij Jawlinski hat seine Kandidatur verkündet, Rechtspopulist Wladimir Schirinowski will ein sechstes Mal antreten.

Das lässt einen eingefahrenen Wahlkampf vermuten - und das in einer Situation, in der viele Russen die Wirtschaftskrise spüren und unzufrieden sind. Bei der Duma-Wahl stimmten viele Menschen in den großen Städten und Zentralrussland nicht ab.

Könnte Nawalny den Wahlkampf aufmischen? Der Kreml wird wohl erst im letzten Moment entscheiden, ob er seinen Namen auf dem Wahlzettel wiederfindet.

Quelle : spiegel.de

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