Vater, Sohn und “Zuckersand“
Das ganze Buch ist eine einzige Liebeserklärung an seinen Sohn. Klingt kitschig? Ist es aber nicht. Kitsch gehört nicht recht in Schmidts Repertoire. Oder passiert ihm nur selten. Die Liebeserklärungen, auch an die Freundin und Kindsmutter Klara, sind gut versteckt, aber trotzdem nicht zu überlesen. Etwa, wenn er "seine Begeisterung für Klara und von allem, was Klara sagt, ablehnt oder als Kind beobachtet hat, erklären wollte. Sogar, dass ich ihre To-do-Listen nicht aufheben darf, gefällt mir." Als er einmal unbemerkt beobachtete, wie sie vorsichtig dem schlafenden Baby Karl die Fingernägel schnitt, spürte er "ganz neue, noch unerkundete Gefühle für Klara aus meiner Brust in meinen Bauch rieseln und fragte mich, warum solche Szenen nicht von jedem Maler, der etwas auf sich hielt, wenigstens einmal im Leben gestaltet wurden".
Herrlicher Zustand des Träumens und Trödelns
Der Vater hat durch seine Arbeit als freiberuflicher Autor offenbar (und zum Glück!) viel Zeit, Karl bei seiner Welteroberung zu begleiten, genau darauf bedacht, ihn nicht aus dem herrlichen Zustand des selbstverlorenen Träumens und Trödelns zu reißen. Er passt sich dem Tempo und der erdnahen Perspektive seines Sohnes an, was ihm wiederum unendliche neue Möglichkeiten der Alltagsbeobachtung gibt. Und das ist ja Schmidts Metier - etwas nicht Alltägliches zu beobachten oder wiederum etwas sehr Alltägliches, meist Übersehenes, nicht Beachtetes, und von da aus wild mäandernd seine Gedankengänge zu spinnen. Seine Leidenschaft für Details, diese besondere Wahrnehmung und das Verlieren darin sieht er eigentlich als Defekt an, sagt Schmidt bei der Buchvorstellung, "aber was kann man anderes tun als hinzunehmen, dass man nun mal so ist". Bei einem auf der Straße liegenden Lutscherstiel etwa fällt ihm ein: "Ein Lutscherstiel konnte lebensrettend sein, wenn man, von den Häschern des Königs durch Wald und Sümpfe verfolgt, rücklings in einem Tümpel untertauchte und durch den Stiel atmete, bis die gedungenen Schergen verschwunden waren. Wenn an der Stelle Schilf wuchs, wäre natürlich Schilfrohr vorzuziehen, noch besser ein Strohhalm, wen ich deshalb früher in meiner Überlebensdose mitführte (bei jedem Sonntagsspaziergang mit der Familie hatte ich sie dabei, für den Fall eines Atomkriegs)."
Noch heute neigt Sparka/Schmidt dazu, ihm (und nur ihm) unendlich nützlich erscheinende Dinge zu Hause in seiner "Wunderkammer" aufzubewahren - nur eine der Hürden vor einer gemeinsamen Wohnung mit Klara. Wenn die wüsste, wie er die einrichten würde, "würde sie weniger entschieden auf einen Umzug drängen".
Der Apfel und der Stamm
Diesen Sammeldrang und den Hang zum Skurrilen hat er offenbar von keinem Fremden, denn sein Vater hatte sich "einen Ideen-Inkubator gebaut, eine längliche Holzkiste, innen schwarz gestrichen und mit Eierverpackungen isoliert. Wenn er nachdenken musste oder ihm unsere Spiele zu laut waren, kroch er dort hinein, manchmal für mehrere Stunden. Und wenn er wieder rauskam, hatte er plötzlich Lust, in Zukunft sein eigenes Bier zu brauen, und suchte im Keller die Geräte dafür zusammen, denn er hatte einmal bei der Schließung einer Apotheke eine Menge geheimnisvoller Glaskolben und Schläuche abgestaubt." Es wäre also nicht groß verwunderlich, wenn Karl sich auch bald eine Wunderkammer anlegt. Sein Vater wird ihn nicht daran hindern.
Warum hat Schmidt dieses Buch eigentlich geschrieben? Wie er bei der Lesung zur Buchvorstellung sagte, sei es "eigentlich Notwehr". Er will damit ein wenig die Zeit anhalten, denn: "Es kam mir seltsam vor, dass ich mir so gerne Bilder ansehe, die ihn vor wenigen Sekunden zeigen, während es mir bei älteren Bildern die Luft abschnürt, weil die Zeit so schnell vergeht. Deshalb schreibe ich ja diesen Bericht, auch wenn ich die Zeit damit nicht stoppen kann." Zum Glück hat er das getan - denn den "Bericht" zu lesen macht wie immer bei Jochen Schmidt großes Vergnügen. Und ein bisschen neues Wissen bekommt man auch noch dazu. Nur der Teil mit der "Poschokolade" - der ist verzichtbar, so genau will man es dann doch nicht wissen.
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Quelle: n-tv.de