Biikebrennen auf Sylt

  22 Februar 2017    Gelesen: 623
Biikebrennen auf Sylt
Grünkohlgelage zwischen Flammenbergen: Auf der Nordseeinsel Sylt brennen am Abend wieder die Biikefeuer. Es ist der wichtigste Brauch der Friesen - und ein Happening für Insulaner und Touristen.
Birgit Damer hält eine Wachsfackel in der rechten Hand. Der Feuerschein tanzt in ihren Augen, Nordseewind zerzaust die blonden Haare. Die Fackel darf noch nicht ins Feuer, noch ist nicht die Zeit für einen Wunsch. Die 49-Jährige stammt aus Berlin, vor 14 Jahren kam sie nach Sylt. Und blieb. Jetzt organisiert sie das große Feuerfest der Friesen mit: Biikebrennen, eine Mischung aus Tradition und Tourismusspektakel.

"An diesem Feuer ist es egal, ob man zugezogen ist, Urlauber oder schon immer hier gelebt hat. An diesem Feuer gibt es nur eins - Zusammengehörigkeitsgefühl", sagt Damer. "Es ist Winter, man hat sich zusammengerottet. Menschen stehen mit all ihren Gefühlen, Hoffnungen und Wünschen an diesem archaischen Feuer." Energisch wirft sie die brennende Fackel in die Flammen. "Erlischt sie vorher nicht, geht ein still gesagter Wunsch in Erfüllung." Dieses Mal klappt es.

Viele, sehr viele Wünsche dürften über die Jahrhunderte in Flammen aufgegangen sein. Denn die Biike geht auf heidnische Zeiten zurück. "Das Feuerzeichen hat seinen Ursprung in der Wintervertreibung", sagt Sven Lapphoen, Geschäftsführer des gemeinnützigen Söl`ring Foriining, des Sylter Heimatvereins. Der Brauch habe sich später zum Abschiedsfest der Seefahrer am Vorabend ihrer Abreise gewandelt. "Das ist natürlich Kokolores", sagt der 47-jährige gebürtige Cuxhavener. "Als wären die direkt am Tag nach der Feierei in der Lage gewesen, zur See zu fahren."

Die einzigen Feuer des Jahres

Die ältesten Quellen zur Biike kommen "wohl vom Festland", gibt Lapphoen zu - auch, wenn die Sylter den Ursprung der Tradition gerne für sich beanspruchen. Zwischendurch war die Biike mehr oder weniger verschollen. Christian Peter Hansen, ein Chronist der Insel Sylt, habe den Brauch und mit ihm den Nationalstolz der Friesen um 1864 wiederbelebt. "Immerhin die Erneuerung ging von Sylt aus", sagt Lapphoen.

Zu Kriegszeiten war die Biike verboten - die Feuer hätten Feinde anlocken können. "Es gab aber welche, die das ignoriert haben", sagt Lapphoen. "Wer erwischt wurde, bekam Kerkerhaft."

Strenge Regeln in Sachen Zündeln gibt es auf Sylt heute noch. Das Biikebrennen sei "das einzige Mal im Jahr, wo man Feuer im Dorf machen darf", sagt Wilfried Schewe, Reservist der Freiwilligen Feuerwehr. Er blickt auf die Keitumer Reetdächer und spricht vom "kontrollierten Ausbrennen" der Biike-Feuer. "Viele Häuser sind durch Silvesterfeuerwerke abgebrannt." Vermutlich sind darum Silvesterknaller unter drakonischer Strafandrohung verboten.

Die Biike findet traditionell am Abend des 21. Februars statt, auch wenn sie je nach Windstärke manchmal abgesagt oder das gesamte Material umgestapelt werden muss.

Als Jugendlicher zog der heute 74-jährige Schewe noch mit Bollerwagen und Pferdehänger durchs Dorf, um Holz und Reisig zu sammeln. Heute machen das Jugendfeuerwehr und Gemeindemitarbeiter. "Holz war früher ein ganz wichtiger Stoff, Brennmaterial zu geben ein richtiges Opfer. Selbst in der Nachkriegszeit, als die Menschen nichts zum Beißen hatten, gab es eine kleine Biike", sagt Lapphoen.

Nach der Biike - Sylter Friesisch für Feuerzeichen - gibt es vielerorts deftige Bankette mit Grünkohl, Wurst und in Anis gekochter Schweinebacke. "Diese Tradition kam wohl erst im Laufe der Jahre dazu", sagt die Friesin Jutta Thomsen, 63. Heute sind diese Gelage so beliebt, dass es einer Voranmeldung beim jeweiligen Veranstalter bedarf. Das "warme Essen für alle" hat einen besonderen Reiz. Gerade Ältere sind froh über die Gesellschaft. Ihnen sei die Biike oft wichtiger als Weihnachten, sagt Thomsen.

Fast wichtiger als Weihnachten

Das bestätigt auch Sven Lapphoen: "Zur Biike kommen viel mehr Weggezogene zurück auf die Insel als an Weihnachten. Wer hier zur Schule gegangen, wer hier geboren ist, verpasst die Biike nicht." Nationalhymne, Ansprache in Mundart - die Tradition ist mehr als ein riesiger, lodernder Holzstapel. "Unsere friesische Sprache verschwindet, die Identität wird schwieriger, immer mehr Immobilien werden an Nicht-Sylter verkauft." Was der gelernte Hotelkaufmann beschreibt, lässt ahnen, warum der Eintrag der Biike ins nationale Verzeichnis immateriellen Kulturerbes so wichtig war.

"Meine Tochter lebt nicht mehr auf Sylt", sagt Feuerwehrmann Schewe. "Aber zur Biike kommt sie auf die Insel, nach Tinnum." Selbstverständlich drängt man sich im Heimatort um die Flammen und nicht im Nachbardorf. So hat allein Sylt rund zehn Biikefeuer - Steilvorlage für Lausbuben, die den Nachbarstapel gern schon vor dem Stichtag flackern lassen.

"Als ich Konfirmand war, ist sogar die große Biike in Westerland mal vor dem 21. Februar ganz abgebrannt", erinnert sich Schewe, der mit vier Jahren auf die Insel kam. "Als Kinder hielten wir Biikewache, schwarz angemalt."

Heute Abend werden in den Sylter Ortschaften wieder knisternd die Feuer entfacht. Lichterloh brennen dann die Wünsche, wenn sich Fackeln und Flammen vereinen.

Quelle : spiegel.de

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