Kinderbräute in Georgien

  03 März 2017    Gelesen: 4818
Kinderbräute in Georgien
Sie heiraten mit zwölf, verlassen die Schule, werden Hausfrau und sehr schnell schwanger: Das Schicksal georgischer Kinderbräute ist weithin unbekannt. Die Fotografin Daro Sulakauri hat es dokumentiert.
Die georgische Hauptstadt Tiflis ist eine aufregende, ungewöhnliche Metropole voller Künstler, Nachtschwärmer und äußerst selbstbewusster Frauen. Doch wer die Stadtgrenzen überschreitet und sich weit nach Osten oder Westen vorwagt, findet sich in einer anderen Welt wieder.

In abgelegenen Dörfern leben dort zwölfjährige Mädchen, die von ihren Eltern verheiratet werden und kurz darauf selbst Kinder bekommen. Mädchen, die von einem Mann, den sie mit viel Glück länger als eine Woche kennen, zum Altar geführt werden.

Die georgische Fotografin Daro Sulakauri erfuhr durch Zufall von den Kinderbräuten in den Regionen Kachetien und Adscharien und wollte mehr über die Ursprünge dieser uns fremden Tradition erfahren. Sie begleitete einige junge Frauen bei ihrem Schritt in ein verfrühtes Erwachsensein. Viele waren alles andere als glücklich.

"Die Mädchen haben keine Ahnung, worauf sie sich mit der Ehe einlassen", sagt Sulakauri. "Die meisten haben in der Schule nie Aufklärungsunterricht gehabt, sie wissen nichts über Sex, Verhütung oder Schwangerschaft." Laut einer Umfrage der georgischen Gesundheitsbehörden aus dem Jahr 2010 wurden nur drei Prozent der befragten Frauen zwischen 15 und 24 Jahren vor ihrer Volljährigkeit aufgeklärt.

Zusätzlich scheint der familiäre Druck, schnell Kinder zu bekommen, groß zu sein. "Nach der Hochzeit ist es in der Regel vorbei mit dem Schulbesuch, die Mädchen bleiben zu Hause und werden schwanger. Ab da ist ein selbstbestimmtes Leben in den meisten Fällen nicht mehr möglich", sagt Sulakauri.

Die Verheiratung minderjähriger Mädchen ist in Georgien weniger religiös als kulturell bedingt, sie kommt häufiger bei Muslimen, aber auch bei orthodoxen Christen vor. Die Praxis ist abhängig von regionalen Bräuchen und Traditionen bestimmter ethnischer Minderheiten, wie etwa den georgischen Aserbaidschanern. Tatsächlich sind die arrangierten Ehen auch eine Folge zunehmender Entführungen von Frauen in den Neunzigerjahren: Indem sie ihre Töchter möglichst schnell verheirateten, wollten die Eltern sie schützen.

Die Entführungen sind heute seltener geworden. Das Problem der Kinderbräute ist geblieben. Oft gehen die arrangierten Ehen mit Unterdrückung und häuslicher Gewalt einher. Viele der betroffenen Mädchen sprechen kein georgisch, sind sozial isoliert, weil sie nicht mehr zur Schule gehen, haben keine Chance, ohne Abschluss einen Job zu finden und dadurch selbstbestimmt zu leben.

Die Scham der jungen Frauen ist groß. Sie wissen, dass der Lebensentwurf, der ihnen auferlegt wurde, archaisch und zudem auch noch illegal ist. Doch die Chancen, diesem Leben zu entfliehen, stehen schlecht. "Sie können sich scheiden lassen", sagt Sulakauri. "Aber dann brauchen sie jemanden, der sie aufnimmt und für sie sorgt - denn ihr Haus dürfen sie dann nie wieder betreten."

"Gegenentwurf zu einem aufgeklärten Europa"

Den Behörden sei das Thema unangenehm, sagt die Fotografin. "Denn Kinderehen gelten als unzeitgemäß, sie sind der Gegenentwurf zu einem aufgeklärten Europa, dem sich in Georgien so viele zugehörig fühlen." Georgien hat die Uno-Konvention zur Abschaffung der Diskriminierung von Frauen unterzeichnet (CEDAW), außerdem die Konvention über Kinderrechte (CRC) - doch die Parallelgesellschaften existieren weiter.

Laut Unicef heiraten 14 Prozent der georgischen Frauen vor ihrer Volljährigkeit. Und das, obwohl das Mindestalter für eine Eheschließung offiziell bei 18 Jahren liegt. Nur mit Erlaubnis der Eltern kann ab 16 geheiratet werden. Das Zusammenleben mit einem noch jüngeren Kind ist verboten und kann mit Freiheitsentzug bis zu drei Jahren bestraft werden. Theoretisch. In der Praxis werden die Gesetze in bestimmten Regionen des Landes ignoriert oder nur unzureichend umgesetzt.

Laut einer Studie des Uno-Bevölkerungsfonds (UNFPA) sind Polizei und Behörden sehr zurückhaltend, wenn es um die Anzeige solcher Straftaten geht und ziehen es vor, nicht aktiv zu werden. Viele sehr junge Paare lassen sich zudem erst von einem Geistlichen in einer Moschee oder einer Kirche trauen und warten bis sie alt genug sind, um die Ehe offiziell eintragen zu lassen.

"Als vor etwa drei Jahren die ersten Fälle bekannt wurden, gab es einen großen Aufschrei in den sozialen Netzwerken. Diese archaische Welt war für viele komplett neu - auch für mich", sagt Sulakauri. Immerhin: Der Fotografin zufolge hat die Auseinandersetzung mit den Kinderbräuten vielen das Problem erst bewusst gemacht: "Es mangelt an Bildung für die Mädchen auf dem Land, das muss sich ändern."

Die jungen Ehefrauen sind finanziell und emotional von ihren Familien abhängig. Ihre Unwissenheit und der soziale Druck haben Folgen: 2010 lag die Geburtenrate bei aserbaidschanischen Frauen in Georgien im Alter von 15 bis 19 bei 143 pro 1000 Einwohner - bei den georgischen Frauen waren es nur 30. Auch die Zahl der Abtreibungen war bei den in Georgien lebenden Aserbaidschanerinnen mehr als doppelt so hoch.

Quelle : spiegel.de

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