Mehr als 1000 Demonstranten lieferten sich eine regelrechte Straßenschlacht mit der Polizei: Schlagstöcke, berittene Beamte, am Ende kamen Wasserwerfer. Mehrere Menschen wurden verletzt. Die meisten konnten inzwischen wieder aus den Krankenhäusern entlassen werden. Länger dürfte es dauern, bis die diplomatischen Folgen überwunden sind. Auf der anderen Seite könnten Politiker in Den Haag und in Ankara politischen Profit aus den Ereignissen ziehen.
Am Konsulatgebäude zeugen nur noch Absperrgitter von der chaotischen Nacht. Hin und wieder fahren Autos vorbei, die mit türkischen Flaggen dekoriert sind und aus denen meist junge Männer den Namen des türkischen Präsidenten rufen. Vor den umliegenden Cafés und türkischen Restaurants stehen die Kellner in den Eingangstüren und beobachten die TV-Wagen. Viel wollen sie nicht zu den Zusammenstößen sagen: "Schlimm" sei es gewesen, die Polizei habe hart durchgegriffen und sie hoffen, dass es nicht noch einmal so weit kommt.
In der Türkei kocht die Wut
Nachdem bereits in Deutschland vielen türkischen Politikern Wahlkampfauftritte verweigert wurden, brachten die Ausweisung der türkischen Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya und die entzogene Landeerlaubnis für das Flugzeug von Außenminister Mevlüt Cavusoglu das Fass zum Überlaufen. In der Türkei kocht die Wut. Auch niederländische Politiker müssen sich Nazi-Vergleiche anhören. Ankara kündigte bereits an, dass eine einfache Entschuldigung nicht reichen werde und will Sanktionen verhängen. Die türkische Tageszeitung rief mit den Worten "Die Niederlande haben 48.000 Soldaten. In den Niederlanden leben 400.000 Türken" indirekt zu einem Bürgerkrieg auf. Auch Erdogan selbst sollte wütend sein, könnte man denken. Doch die Ereignisse in Rotterdam dürften ihm nicht ungelegen kommen.
Er braucht dringend neue Themen für den Wahlkampf für das Verfassungsreferendum am 16. April. Viele Türken sind noch unentschlossen, warum noch mehr Macht in den Händen eines Mannes mit offensichtlich autokratischen Zügen gebündelt werden sollte. Das Bild des Außenseiters, der sich schützend vor die Türken stellt und sie furchtlos gegen das große, böse Europa verteidigt, das mit seinen Nazi-Politikern die lupenreine türkische Demokratie attackiert, könnte den nötigen Stoff für den Endspurt im Wahlkampf bieten.
Auch in den Niederlanden könnte es Profiteure geben
Auch in den Niederlanden könnten politische Akteure Profit aus der Sache ziehen. Die Stimmung in dem als liberal und weltoffen geltenden Land steht bereits seit Jahren auf der Kippe. Nach den politischen Morden an Pim Fortuyn und dem Regisseur Theo van Gogh im vergangenen Jahrzehnt haben die Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und dem Islam deutlich zugenommen. Der nicht-niederländische Teil der Gesellschaft wird zunehmend als Problem wahrgenommen. Das gilt nicht nur für Türken, die größte Gruppe Zugewanderter, sondern auch für Marrokaner.
In diesem Klima konnte der Rechtspopulist Geert Wilders einen Höhenflug in den Umfragen vollführen. Möglicherweise stellt seine Partei bei der Wahl am Mittwoch die stärkste Kraft. In seinen Vorstellungen müssten die Niederländer die Grenzen dichtmachen und den Einfluss derer, deren Wurzeln nicht in den Niederlanden liegen, im Land deutlich begrenzen. Dass sich ein türkischer Mob mitten in Rotterdam eine Straßenschlacht mit der Polizei liefert, weil türkische Politiker nicht ins Land gelassen werden, dürfte all jene bestätigen, die glauben, dass die Situation in den Niederlanden außer Kontrolle geraten ist. Insofern könnte der Eklat Wilders weitere Stimmen bescheren.
Doch auch das entschiedene Handeln der niederländischen Regierung ist bemerkenswert. Wollte Ministerpräsident Mark Rutte beweisen, dass es keinen Geert Wilders braucht, um klare Linien zu ziehen? Wähler, die sich noch nicht zwischen der rechtsliberalen VVD und Wilders PVV entscheiden konnten, könnten sich nun auch in der Politik von Rutte wiederfinden. Zumal es – auch wenn Wilders die stärkste Kraft ist – keine Regierung unter ihm geben wird. Fast alle Parteien haben eine Zusammenarbeit mit ihm ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund könnte die diplomatische Eskalation auch der regierenden VVD in die Hände spielen.
Quelle: n-tv.de
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