Parlament stimmt für neues Unabhängigkeitsreferendum

  29 März 2017    Gelesen: 359
Parlament stimmt für neues Unabhängigkeitsreferendum
Das schottische Parlament hat sich für eine neue Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Großbritannien ausgesprochen. Doch entschieden ist damit noch nichts.
Der Zeitpunkt ist brisant: Eigentlich wollten die schottischen Parlamentarier schon in der vergangenen Woche über die Frage abstimmen, ob sie das Volk noch einmal vor die Wahl stellen sollten: Großbritannien oder Unabhängigkeit. Dann aber tötete ein Attentäter in London drei Menschen - und all das, der Zank mit London, hatte plötzlich keinen Platz mehr auf der politischen Agenda.

Jetzt wurde die Abstimmung nachgeholt. 69 Abgeordnete stimmten am Abend für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum nach 2014, 59 Abgeordnete votierten dagegen. Die Politiker sprachen sich zudem mehrheitlich dafür aus, dass wie 2014 auch 16- und 17-Jährige beim Referendum mitwählen dürfen.

Zwar liegt die Entscheidung nicht bei den schottischen Politikern, sondern in London. Doch die Parlamentarier erhöhen den Druck auf Premierministerin Theresa May - und das nur einen Tag, bevor diese in Brüssel den EU-Austritt des Vereinigten Königreichs beantragen will. "Die heutige Abstimmung muss respektiert werden", teilte Schottlands Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon mit. Die britische Regierung reagierte umgehend: Es werde keine Verhandlungen über ein Referendum 2018 oder 2019 geben, hieß es in einer Mitteilung.

Der Brexit und der schottische Wunsch nach Unabhängigkeit hängen auch unmittelbar zusammen. May setzt auf einen harten Kurs in den anstehenden Verhandlungen mit der Europäischen Union. Großbritannien soll nach dem Willen der konservativen Premierministerin auch aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion ausscheiden.

"Kein gemeinsamer Nenner"

Ministerpräsidentin Sturgeon, deren Landsleute beim Brexit-Referendum 2016 überwiegend für einen Verbleib in der EU stimmten, lehnt das ab. Zumindest will sie einen Sonderstatus für Schottland erreichen.

Doch May ist dagegen. Sie bietet der Regierung in Edinburgh lediglich mehr Kompetenzen an, sobald der EU-Austritt vollzogen ist. Gespräche zwischen ihr und den Regierungschefs von Schottland, Nordirland und Wales verliefen bislang ohne nennenswerte Ergebnisse. "Es gab keinerlei Versuch von der britischen Regierung, einen gemeinsamen Nenner zu finden", klagte Sturgeon.

Als Sturgeon Anfang März in einem BBC-Interview gefragt wurde, ob ihre Drohung mit einem erneuten Unabhängigkeitsreferendum ein Bluff sei, lächelte sie. Wenige Tage später kündigte sie mit einer Abstimmung im schottischen Parlament den ersten Schritt für das Referendum an.

"Jetzt ist nicht die Zeit"

Auch bei der Reaktion der Premierministerin darauf ließ sich einiges aus den Gesichtszügen ablesen. "Jetzt ist nicht die Zeit", sagte May an die schottische Regierungspartei SNP (Schottische Nationalpartei) gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck war gequält, die Mundwinkel nach unten gezogen. Die Sache schien ihr Unbehagen zu bereiten.

Auch ein einstündiges Gespräch zwischen den Kontrahentinnen am Montag in Glasgow brachte keine Annäherung. Sturgeon war frustriert von dem Treffen. May betonte, dass sie ihre Meinung nicht geändert habe.

Fraglich ist, ob sich die schottische Regierungschefin mit ihrer Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum durchsetzen kann. Das letzte Wort darüber hat das Parlament in London - und ohne das Zutun der britischen Regierung ist dessen Zustimmung nicht zu bekommen.

Zeitplan umstritten

Vor allem der Zeitplan ist umstritten. Sturgeon will noch vor dem Ende der Brexit-Verhandlungen in zwei Jahren abstimmen lassen. May will die Sache bis nach 2019, womöglich bis nach der nächsten Parlamentswahl in Schottland 2021, aussitzen.

Rechtlich stehen Sturgeon keine Zwangsmittel zu Verfügung. Selbst die Frage, ob das Parlament in Edinburgh notfalls ein lediglich unverbindliches Referendum abhalten könnte, ist umstritten.

Klar ist: Sturgeon spielt auf Risiko.

Die Zustimmung der Schotten für eine Unabhängigkeit ist keineswegs gewiss. Erst 2014 hatte sich eine Mehrheit von 55 Prozent der schottischen Wähler gegen eine Loslösung von Großbritannien entschieden. Die Ausgangslage habe sich nach dem Brexit-Votum erheblich verändert, argumentiert die schottische Regierung.

Doch bislang gibt es in den Umfragen, bis auf gelegentliche Ausreißer, weiter keine Mehrheit auf den Ausstieg aus dem Vereinigten Königreich. "Nachweislich bringt der Brexit keinen Umschwung in der öffentlichen Meinung zur Frage nach Schottlands Unabhängigkeit", stellte der renommierte Politikwissenschaftler John Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow kürzlich fest.

Möglich also, dass Sturgeon spekuliert: Die Blockadehaltung in London gegen ein baldiges Referendum könnte ihr genug Wähler in die Arme treiben, um eine Mehrheit für die Unabhängigkeit zu bekommen.

Quelle : spiegel.de

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