Die Hexe aus dem Brunnen

  02 April 2017    Gelesen: 1569
Die Hexe aus dem Brunnen
Armine Arakelian hat in Paris studiert, bei der UNO gearbeitet und wohnt nun in einem Kaff, wo die Nachbarn ihre Hunde prügeln.
Sie muss eine Hexe sein, eine Hure, eine Verrückte. Ganz bestimmt ist sie eine Feministin! Unter diesem Titel ist die Menschenrechtlerin Armine Arakelian bekannt. In ganz Armenien berühmt wurde sie, als sie unter den Augen der Regierung in den mächtigen Brunnen am Platz der Republik in der Hauptstadt Eriwan kletterte und beschloss, dort zu bleiben.

Armine Arakelian wohnt in Mughni, vor den Toren Eriwans. Es ist ein düsteres Dorf mit grauen Häusern. Ihre Nachbarn werfen Steine auf ihr Haus, sie gießen Benzin vor die Haustür, sie schlagen ihren Hund und versuchen, sie zu überfahren. Die Dorfbewohner wollen sie nicht, und für die Regierung ist sie gefährlich. „Fremdenfeindlichkeit“, sagt Arakelian knapp. „Sie gehört nicht zu unserer Kultur“, sagt einer ihrer Nachbarn.

Man kann sagen, dass das Dorf mit ihr fremdelt – und sie mit ihm. Armine Arakelian wurde als Angehörige der armenischen Minderheit in Teheran geboren. Nach der Islamischen Revolution 1979 wanderte sie nach Frankreich aus. Weit weg von Armenien studierte sie in Paris internationales Recht, Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen. Dass sie als Geschiedene hier allein lebt, macht ihren Stand im Dorf nicht leichter.
Armine Arakelian öffnet die Tür, und sofort verflüchtigt sich das Bild vom grauen Dorf. Drinnen leuchtet es rot und golden. Grafiken bedecken die Wände. Die Bilder wirken ohne Ordnung gehängt, geradezu chaotisch, so wie ihre unbändige Haarpracht. Blutrote und schmutzig-golde­ne Flecken und Fingerabdrücke kleben überall auf den Möbeln. Auf die Fensterscheiben hat sie mit ihren Fingern bunte Spiralen gemalt. Armine Arakelian ist 55 Jahre alt, eine kräftige Frau und liebt Halstücher und Schals.

Eine Verfassungsänderung und die Folgen

Schon kommt sie auf die Politik zu sprechen. Am 2. April wählen die Armenier ein neues Parlament. Die Abstimmung ist eine ganz besondere. Im Dezember 2015 stimmten in einem Referendum 63 Prozent für eine Verfassungsänderung, die den Übergang von einem semipräsidentiellen zu einem parlamentarischen Regierungssystem eröffnet.
Ein guter Schritt? „Das war eine Fälschung“, sagt Arakelian. Die regierende Republikanische Partei unter der Führung des armenischen Präsidenten Sersch Sargsjan brauche die neue Verfassung, um weiter an der Macht bleiben zu können, glaubt Armine Arakelian. „Faktisch herrscht in Armenien die Polizei, und die neue Verfassung ist nur dazu da, den Polizeistaat nun auch mit juristischen Mitteln zu festigen.“ Dagegen hat Armine Arakelian auf ihre ganz eigene Weise protestiert.

Im Mai 2016 klettert sie, am Morgen, als die Fontänen noch nicht in den Himmel schießen, in den mächtigen Brunnen am Platz der Republik im Herzen der Hauptstadt und setzt sich auf einen Vorsprung. Sofort versuchen Polizisten, die Provokateurin zu überreden, wieder herauszukommen. In Sichtweite befinden sich schließlich der Regierungssitz, das Nationalmuseum, die Nationalgalerie, das Hauptpostamt, das Hotel Marriot und einige Banken. Etwas später versuchen es zwei Polizisten mit Gewalt. Sie drehen Armine Arakelians Hände auf den Rücken und legen ihr Handschellen an. Rücklings muss sie auf einem Wasserrohr sitzen. Ihre Füße hängen in der Luft.

„Wie geil ist das denn! Magst du es tiefer haben oder kommst du jetzt raus?“, brüllt ein Typ vom Ministerium für Zivilschutz, der mit einer ganzen Gruppe gekommen ist. Armine Arakelian aber schreit und schimpft. Inzwischen haben sich Schaulustige versammelt, die sehen wollen, wie die körperlich kräftige Frau wohl aus dem Brunnen geholt wird. Als die Polizei etwa dreißig Männer zusammenhat, schaffen sie es. Ein Krankenwagen steht bereit. Doch die Notärzte wissen nicht so recht, was sie mit ihr anfangen sollen. Armine Arakelian, eine Spitzenjuristin, wird in die Psychiatrie verfrachtet.

„Das war Folter. Sie haben mich geschlagen und mir irgendwelche Beruhigungsmittel gespritzt“, echauffiert sich Arakelian. „Mehrere Stunden hat das gedauert, bis mich meine Schwester und Freunde von dort wieder wegholen konnten.“ Wenn Armine Arakelian von der Psychiatrie erzählt, redet sie ohne Punkt und Komma. Sie holt kaum Luft. Fragen stellen ist zwecklos.
Ihre Stimme ist laut. Sie zeigt mit den Hände, wie die Instrumente aussahen, mit denen man sie traktiert hat. Sie zeigt, wie die Mitarbeiter der Psychi­atrie sie geschlagen haben. Es scheint, als würde sie alles noch einmal durchmachen. Doch diesmal fühlt sie keine Schmerzen, keine Schande und keine Demütigung. Sie kocht vor Wut. Es ist sowjetische Tradition, politisch unerwünschte Personen in die Psychiatrie zu sperren. Die armenische Regierung will auf dieses Erbe offenbar nicht verzichten.

Drei Jahre in Ruanda

Armine Arakelian lebt in ganz anderen Traditionen. Nach dem Studium ging sie zu den Ver­einten Nationen nach Genf, wo sie als Juristin und Beraterin beim UN-Hochkommissariat für Menschenrechte arbeitete. Später koordinierte sie von Stockholm aus verschiedene Osteuropaprojekte. Nach dem Völkermord in Ruanda von 1994 zog es sie nach Afrika. Drei Jahre lang leitete sie in Ruanda das Ressort für Menschenrechtsförderung bei den Vereinten Na­tionen. Aus dieser Zeit stammen die Frauenskulpturen in ihrem Wohnzimmer.

Armine Arakelian redet und redet. Plötzlich steht Muli vor ihr und fordert Aufmerksamkeit. Die Katze lässt sich bereitwillig von ihre Herrin streicheln. Arakelian lächelt freundlich, steht vom Frühstückstisch auf und füllt Wasser in den Wasserkocher. Muli ist nicht allein in diesem Haus und teilt sich die Aufmerksamkeit mit zwei weiteren Katzen. Alle drei wiederum sind privilegiert gegenüber den vier Hunden draußen auf dem Hof, die das Haus nicht betreten dürfen.

Armine Arakelian erzählt, dass ein Nachbar einmal einen Welpen mit einer Schaufel geschlagen hat. Und der wetterte noch, als Arakelian das ein Verbrechen nannte. „Frauen und Tiere müssen unter der Herrschaft der Männer leben“, knurrte er. „Genau solche Männer dominieren dieses Land!“, schimpft Arakelian.

Fasziniert von Gustav Klimt

Der Status der armenischen Frauen beunruhigt Armine Arakelian besonders. Ihr Blick ruht jetzt auf der Wand. Sie blickt auf die Figur der Danaë aus der griechischen Mythologie, eines der bekanntesten Werke von Gustav Klimt. Sie bewundert die göttliche Liebe und Transzendenz. „Klimt fasziniert mich“, sagt sie. Ihre Liebe zu den Goldfarben rührt auch von dieser Sehnsucht her.
Armine Arakelian will Menschen zivilgesellschaftlich und politisch ausbilden und gründete dazu im Jahr 1999 das Institut für Menschenrechte und Demokratie. Doch das Institut arbeitet nicht mehr. Die Posi­tionen waren zu verschieden, sagt Arakelian. Es gab Unstimmigkeiten. Vielleicht hat das auch mit Arakelian selbst zu tun. Nicht alle waren mit ihren Ak­tio­nen einverstanden.

Doch Armine Arakelian will weiter für den Rechtsstaat kämpfen. Sind die Parlamentswahlen am 2. April denn nicht dazu geeignet, etwas zu verändern? „Ach was. Wahlen werden in Armenien gefälscht. Hier herrscht eine kriminell-oligarchische Regierungsform“, sagt sie. „Die politischen Parteien sind keine demokratischen Institutionen. Sie dienen nur einer Person, dem Parteichef.“ Wenn die Republikanische Partei die Mehrheit bekommt, würde nur eine Partei in diesem Land herrschen, so wie in der Sowjetunion. „Die Parteispitze versucht alle möglichen Formen der Fälschung. Ich kann nur hoffen, dass dieser Plan schiefgeht. Mehr nicht.“

Armine Arakelian fordert daher die Armenier auf, nicht zur Wahl zu gehen. Allerdings bezeichnet sie das nicht als Boykott. „Die Wahlergebnisse stehen schon vor dem Wahltag fest. An diesem Tag werden diese Ergebnisse nur legitimiert“, sagt sie. Und wie geht das? Dadurch, dass die Bürger an den Wahlen teilnehmen und Wahlbeobachter in den Wahllokalen anwesend sind. „Keiner sollte sich instrumentalisieren lassen und wählen gehen“, fordert Armine Arakelian. So könnte die Wahl delegitimiert werden.
Ist Armine Arakelian glaubwürdig? Schließlich könnte sie selbst gar nicht wählen, denn sie hat keinen armenischen Pass. Bisher habe sie darauf verzichtet, erklärt sie. Sie will die armenische Staatsangehörigkeit erst annehmen, wenn Armenien eine demokratische Republik geworden ist, die die Menschenrechte achtet.

Und nun sitzt sie, eine Juristin mit reichlich internationaler Erfahrung, in einem Dorf, wo sich die Nachbarn über ihre Hunde aufregen? Vielleicht ist sie eine etwas zu überqualifizierte Frau für dieses Land? Oder sind ihre Proteste zu radikal? „Armenien ist meine Heimat, die ich auf den Weg zu Demokratie und Menschenrechten bringen will.“ Sie blickt sich kurz um. „Und ich glaube an meine Mission.“

Erschienen auf Armenien/!5392156/" target="_blank">taz

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