Etwa zehn Monate nach dem Brexit-Votum gehören die Fischer in Großbritannien noch immer zu den vehementesten Befürwortern des EU-Austritts. Sie fühlen sich seit langem von der Europäischen Union stiefmütterlich behandelt. Ihr Argument: Durch die gemeinsame Fischereipolitik dürfen sie nur ein Drittel der Fische aus ihren eigenen Gewässern fangen. Den Rest holen sich Boote aus anderen EU-Ländern oder Drittstaaten.
"Kolossaler Betrug"
Fischer aus anderen EU-Ländern etwa fangen mehr als sieben Mal so viel Fisch in britischen Gewässern wie andersherum. Der Kabeljau aus dem östlichen Ärmelkanal steht beispielsweise zu rund 85 Prozent französischen Fischern zu. Auch deutsche Trawler können bislang ungehindert und legal in britischen Hoheitsgewässern auf Fischfang gehen. Hering, Makrele und Blauer Wittling gehen - EU sei Dank - nicht nur in britische Netze.
Doch bald könnte es in der 200-Seemeilen-Zone rund um die Insel heißen: "UK first". Dann wäre das Gebiet in Nordsee und Nordost-Atlantik für die deutsche und die EU-Fischereiflotte tabu. Das ist genau, was zum Beispiel der Verband der schottischen Fischer SFF (Scottish Fishermen's Federation) fordert. "Alles andere als die Wiederherstellung kompletter Kontrolle wäre ein kolossaler Betrug", tönt SFF-Chef Bertie Armstrong.
100 Millionen Euro Schaden möglich
Für deutsche Fischer wäre das ein Riesen-Problem. "100 Prozent der deutschen Nordseeherings-Quote werden in britischen Gewässern gefangen", sagt der Vorsitzende des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes, Uwe Richter. Das sind mehr als 50.000 Tonnen Hering pro Jahr. Der Hering gehört mit Makrele und Wittling zu den sogenannten pelagischen Fischarten. 66 Prozent der deutschen Quote davon wurden von 2014 bis 2016 laut Richter in der britischen Zone gefangen. Er rechnet schlimmstenfalls mit einem Verlust von rund 100 Millionen Euro im Jahr.
Es geht also um viel, vor allem um Arbeitsplätze. Richter ist auch Geschäftsführer der Euro-Baltic Fischverarbeitung in Sassnitz-Mukran (Mecklenburg-Vorpommern), wo jährlich 40.000 Tonnen Nordseehering verarbeitet werden. Allein dort stünden 230 Arbeitsplätze auf dem Spiel, sagt Richter, der auch die Berliner Politik auf die Untiefen des Brexit-Kurses hinweist. Der Zugang zu britischen Gewässern sei für die EU-Flotte wichtig.
"Dann droht der Kollaps"
Sollten sich die Briten künftig nicht mehr an die EU-Quoten gebunden sehen und in ihrer Wirtschaftszone deutlich mehr Fische fangen, könnte dies zu einer Überfischung von Beständen führen. "Das funktioniert natürlich so nicht. Das kann auch das Vereinigte Königreich nicht machen", warnt Richter. "Es kann sich nicht jeder nehmen, soviel er braucht. Dann droht der Kollaps."
Bertie Armstrong von der Scottish Fishermen Federation zeigt sich verhandlungsbereit. Er lässt aber keinen Zweifel daran, dass sich die Briten ein viel größeres Stück vom Kuchen nehmen wollen als bisher. "In den Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU wird es darum gehen, wie die Aufteilung der erlaubten Gesamtfangmenge nach dem Austritt aussehen soll", so Ralf Döring vom Thünen-Institut für Seefischerei. Dabei schließt er nicht aus, dass die EU und damit auch Deutschland am Ende deutlich schlechter dastehen könnten.
Allerdings geht es nicht nur ums Fangen, sondern auch ums Verkaufen. Die britischen Fischer exportieren einen großen Anteil ihrer Fänge in EU-Länder. Nach einem Brexit könnten Zölle fällig werden. Richter hat so seine Zweifel, ob das den britischen Fischern gefallen würde. "Aber man muss es ja nicht auf Krawall ankommen lassen. Es gibt ja noch viele vernünftige Leute in der UK-Fischereibranche. Wir arbeiten ja seit Jahrzehnten mit ihnen zusammen."
Quelle: n-tv.de
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