Eine 18-Jährige will in den Bundestag

  13 Auqust 2017    Gelesen: 1029
Eine 18-Jährige will in den Bundestag
Noch hat sie kein Abitur. Dennoch will die Schülerin Denise Köcke aus Halberstadt bald als Direktkandidatin für die FDP in den Bundestag ziehen. Dafür nimmt sie einiges auf sich.
Als sie in gut zehn Metern Höhe bäuchlings in der Luft schwebt, nur mit Gurten an einem Stahlseil befestigt, vergisst sie es doch. Auf der Doppelseilrutsche mit Blick auf die Harz-Hängebrücke und den glitzernden Stausee, Seite an Seite mit FDP-Landeschef Frank Sitta, wollte sie eigentlich noch "German Mut" rufen. Doch dann sind andere Instinkte stärker und Denise Köcke, 18-jährige Schülerin und FDP-Direktkandidatin für den Bundestag, rast mit rund 80 Kilometern je Stunde hinab ins Tal. Ein versprengtes Häuflein schaut zu, fotografiert und filmt: FDP-Getreue, die sie auf ihrer Harz-Tour unterstützen.

Köcke kämpft für ihren Einzug in den Bundestag. Im Frühjahr kürte die FDP im Harz die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren und der schwarz umrandeten Brille zur "jüngsten Direktkandidatin für den Bundestag überhaupt", wie sie sagt. Nun fährt sie Tag für Tag mit ihrem Citroën Cactus den Landkreis ab, zieht von Haustür zu Haustür, besucht Volksfeste und Betriebe und spricht mit jedem, der mit ihr sprechen will. Drei bis vier Dörfer schafft sie an normalen Tagen.

Naturtalent", sagt Frank Muttschall, ein Projektentwickler, der nun als Pressesprecher Köckes fungiert. "Sie könnte den Job im Bundestag gut machen." Er lobt ihren Elan und wie sie die Partei aufmischt. Schließlich hat die FDP besonders im Osten Deutschlands einen schweren Stand. Die Zeiten des Genscher-Booms sind lange vorbei, nach der Westerwelle-Ära lag sie hier wie fast überall am Boden. Bei der Landtagswahl 2016 scheiterte die FDP, wenn auch denkbar knapp, an der Fünf-Prozent-Hürde. Nur rund 90 Mitglieder zählt die Partei noch im Harz, viele von ihnen sind älter als 50 Jahre alt. Da sei es gut, sagt Muttschall, wenn Jüngere sich engagierten. "Und Köcke zieht natürlich."

An diesem August-Tag lädt Köcke gemeinsam mit Landeschef Sitta zur Harz-Tour und steht schon seit morgens um 10 Uhr unter einer flatternden gelben Fahne auf dem Fischmarkt in Halberstadt. Viele ältere Menschen sind unterwegs, einige schieben ihre Rollatoren über das Kopfsteinpflaster, vor einem Kaufhaus besingt ein Kosakentrio aus Weißrussland die Liebe. Köcke verteilt Traubenzucker in FDP-Farben und ihre Flyer "Denise Köcke Aufbruchstimmung." "Es hat mich gefreut", sagt sie nach den kurzen Gesprächen, in denen sie für sich und die FDP wirbt und Hände schüttelt.

Viel Zeit hat Köcke nicht. Kurz vor 12 Uhr müssen sie und ihre Wahlkampfhelfer – die meisten von ihnen deutlich älter als sie – weiterziehen nach Quedlinburg. Im braun getäfelten "Schlosskrug" mit Blick über mittelalterliche Gassen treffen sie zwei Männer von der Bürgerstiftung der Stadt, die über ihre Arbeit berichten. Wie die Zusammenarbeit mit der Lokalpolitik laufe, will Köcke wissen, würdigt den Stiftungsgedanken und sagt: "Gerade hier für die Region wünsche ich mir einen stärkeren Lokalpatriotismus." Als Kandidatin der Region freue es sie, zu sehen, wie es hier laufe. Und wenn etwas sei, dann habe sie immer ein offenes Ohr.

"Die FDP war eine Liebesheirat auf den 18. Blick"

Bereits in der 5. Klasse wurde Köcke Klassensprecherin und lange trug sie bei ihren Klassenkameraden den Spitznamen "Angie". Mit 14 Jahren entschied sie sich, einer Partei beizutreten und begab sich auf die Suche. Sie wollte nicht nur zusehen, sondern auch etwas machen, sagt sie. Nach einem Auslandsjahr in den USA, wo sie der Aufstieg Donald Trumps gleichermaßen entsetzte wie in Deutschland der Aufschwung der AfD, entschied sie sich für die Liberalen. "Die FDP war eine Liebesheirat auf den 18. Blick." Vor allem der Freiheitsgedanke habe sie angezogen. "Mir sind Selbstbestimmung und Chancengleichheit wichtig." In ihrer Familie hat bislang niemand Abitur, sie wird voraussichtlich die Erste sein im nächsten Jahr.

Auch wenn ihre Wahlkampfhelfer wesentlich zurückhaltender klingen: Zumindest nach außen lässt Köcke kaum Zweifel daran, dass sie im Herbst als Abgeordnete nach Berlin zieht. "Selbstverständlich will ich in den Bundestag", sagt sie und rechnet sich gute Chancen aus. Nicht über ihren aussichtslosen Listenplatz Nummer 6, sondern als Direktkandidatin, wofür sie nach eigenen Berechnungen rund 35.000 Stimmen benötigt. Seit acht Jahren ist allerdings die CDU-Politikerin Heike Brehmer Direktkandidatin der Region – zuletzt lag sie mit 46 Prozent der Erststimmen weit vor ihrer Konkurrenz. Der FDP-Kandidat erhielt 2013 gerade 1,4 Prozent der Erststimmen.

Doch Köcke schreckt das nicht. Sie sieht sich als Kämpfernatur, seit zwölf Jahren betreibt sie Kampfsport. Dass der politische Kampf etwas anders aussieht, weiß sie allerdings auch. Zurzeit muss sie vor allem reden, Hände schütteln, von einem Termin zum nächsten hetzen. In Quedlinburg bleibt ihrer Truppe nicht viel Zeit, das Mittagessen fällt aus, schnell ein Gruppenfoto mit Blick ins Tal, dann weiter zur Doppelseilrutsche. Eigentlich wollte Köcke hier sogar einen Bungeesprung machen – trotz ihrer Höhenangst hätte sie sich für die FDP dazu überwunden. Aber da weigerte sich Sitta, der auch Mitglied im FDP-Präsidium ist. Nun steht er oben auf dem Berg mit Blick auf die Rappbodetalsperre und fragt nach dem weiteren Ablauf. Kommen noch Journalisten? Gibt es noch ein Gespräch mit dem Betreiber? Nein, so Köcke, das sei nicht eingeplant. Auch der Mann vom lokalen Fernsehsender erscheint nicht. Nachher wird Köcke sagen, sie hätten ein spannendes Gespräch mit beiden Angestellten der Seilbahn auf dem Turm gehabt, als diese sie in den Haltevorrichtungen festschnallten.

Wieder drängt die Zeit. Um 16 Uhr will Köcke mit dem Kinderschutzbund in Wernigerode Luftballons steigen lassen. Am Platz vor dem Rathaus, zwischen Parfümerie und Blumenhandlung, bauen Köcke und Sitta erneut den Plastik-Stehtisch auf und legen die Aufbruchstimmung-Flyer und Anhänger für die Luftballons aus. Immer wieder bläst der Wind diese vom Tisch und fegt sie über die Einkaufsstraße. "Eigentlich sollten auch Kinder schon vor Ort sein", so Köcke. Doch wegen der Sommerferien ist wohl alles etwas komplizierter. So spricht sie selbst kleine Jungen und Mädchen an und reicht ihnen gelbe, blaue oder rosa Luftballons. An ihnen hängt eine Karte mit ihrem Namen und dem Aufruf, etwas für den Kinderschutzbund zu spenden. Auch eine Schar Jugendlicher, nur wenig jünger als Köcke, schart sich um sie und greift einige Ballons ab.

"Eine echte Vertreterin meiner Generation"

Dass sie noch so jung ist, sieht Köcke eher als Vorteil. "Ich bin eine echte Vertreterin meiner Generation." Beim Thema Bildung, wisse sie genau, worum es gehe, weshalb sie auch gerne im Bildungsausschuss im Bundestag sitzen würde. "Manche Erfahrung nicht zu haben, macht mich nicht schlecht, sondern authentisch." Und schließlich habe sie neue, unkonventionelle Ideen. Schon früher hätten ihr Leute gesagt, dass sie in die Politik gehen solle.

Nach dem Ferienende will Köcke, deren ganzes Taschengeld nun in den Wahlkampf fließt, kaum mehr in die Schule gehen. Dem Bundestagswahlkampf ordnet sie alles unter. Ihr Gymnasium in Halberstadt sei da offen, sagt sie, ihre Eltern, die bislang mit der FDP nichts am Hut hatten, auch. Dabei könnte der Stress weitergehen, sollte sie in den Bundestag einziehen: Sie müsste dann nebenbei Abitur machen – was sie aber nicht für ein Problem hält. Und danach will sie neben ihrer Abgeordnetentätigkeit im Fernstudium Psychologie und Philosophie studieren.

"Du bist doch anders als alle anderen Kandidaten", sagt ihr Pressesprecher Muttschall, nachdem in Wernigerode einige Luftballons mit dem FDP-Schriftzug in den Himmel gestiegen waren. "Hat ja alles perfekt geklappt." Auch Köcke ist zufrieden, als sie alles abgebaut haben und auf dem Rückweg nach Halberstadt sind. Der Tag sei reibungslos verlaufen. Am Abend erwartet sie noch eine Kneipentour und am nächsten Tag wird sie schauen. Wahrscheinlich macht sie wieder Hausbesuche. Von Tür zu Tür, von Dorf zu Dorf. Es sind nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl.

Quelle: n-tv.de

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