Die meisten Bäume wurden für Kakaoplantagen abgeholzt, wegen der steigenden Nachfrage nach Schokolade aus dem Rest der Welt. Die Elfenbeinküste ist der weltweit größte Produzent - rund die Hälfte aller Kakaobohnen kommt von dort. Firmen wie Nestlé oder Mars beziehen die Bohnen aus Westafrika, die sie in Europa oder den USA zu Schokolade verarbeiten und verkaufen.
Die US-Organisation Mighty Earth hat in der Elfenbeinküste recherchiert, die Lieferketten vor Ort nachverfolgt, mit Bauern, Transporteuren, Händlern und den Konzernen gesprochen. Sie alle wissen, dass der Kakao seit Jahren vermehrt aus illegalem Anbau in Naturschutzgebieten kommt. Der Bericht "Chocolate's Dark Secret", den Mighty Earth jetzt veröffentlicht und den der SPIEGEL vorab auswerten konnte, zeigt das Ausmaß der Zerstörung in dem Land und den Unwillen oder die Unfähigkeit der Profiteure, an der Situation etwas zu ändern.
Die Bauern lassen sich zunehmend mitten in den Naturschutzgebieten nieder, sie holzen oder brennen die Wälder ab, um Kakaobäume zu pflanzen. In einigen Naturschutzgebieten sind nach Angaben der Organisation rund 90 Prozent der Flächen abgeholzt und durch Kakaoplantagen ersetzt.
Wenn die Kakaobäume nach Jahren die ersten Früchte tragen, beginnt die Verwertungskette. Die Bauern verkaufen die Bohnen an sogenannte Pisteurs, die den Kakao in die Städte transportieren und an Mittelsmänner verkaufen. In den Hafenstädten San Pedro oder Abidjan kaufen die großen Agrarhändler Olam, Cargill und Barry Callebaut den größten Teil der Ernten. Die drei Konzerne beherrschen etwa die Hälfte des weltweiten Kakaohandels. Ihre Kunden sind Weltmarken, die in Europa und den USA fast jeder kennt: Mars, Ferrero, Lindt, Mondelez, Nestlé oder Cadbury. Sie bestimmen Nachfrage und Preis - illegal angebauter Kakao ist günstiger als Ware von kontrollierten Plantagen.
Unternehmen räumen Probleme ein
Und alle wissen, woher die Ware kommt - oder sie könnten es wissen. Händler bestätigten den Rechercheuren von Mighty Earth, dass die Herkunft nicht verheimlicht wird. Die Organisation konfrontierte 70 Firmen, die Kakao handeln oder zu Schokolade verarbeiten, mit den Ergebnissen der Recherche - nahezu alle antworteten, eine Ausnahme ist der US-Lebensmittelgigant Mars.
In Gesprächen und E-Mails bestätigten die Konzerne die von Mighty Earth gesammelten Fakten, der Händler Barry Caulebaut lobte die Arbeit. Die meisten Firmen versicherten, dass auch sie gegen illegale Abholzungen seien. Der zweite große Händler Cargill schrieb davon, dass sie ähnliche Daten über die Entwaldung in Westafrika gesammelt hätten und das ein Großteil davon mit dem Kakaoanbau zusammenhänge. Ausdrücklich nannte auch der weltgrößte Lebensmittelkonzern Nestlé die Abholzung ein großes Problem und begrüßte die Empfehlungen der Organisation.
Der Schweizer Konzern verspricht sogar, wie einige andere Unternehmen der Branche auch, dagegen vorzugehen, allerdings nicht zum ersten Mal: Bereits im März kündigten 34 Unternehmen gemeinsam mit Prinz Charles an, sie würden bis November einen Plan entwerfen - Details blieben sie bisher aber schuldig. Auch andere mit großen Versprechungen gestartete Initiativen zum Schutz des Waldes haben bisher laut Mighty Earth wenig bis nichts erreicht.
Die Organisation empfiehlt, auf andere Anbaumethoden umzusteigen: So können Kakaobäume unter großen Bäumen angepflanzt werden - im Schatten wachsen die Pflanzen demzufolge besser - und die Wälder müssten nicht abgeholzt werden. Darüber hinaus stehe die Schokoladenindustrie in der Verantwortung, Programme zur Wiederaufforstung zu finanzieren.
Einfach ist es jedenfalls nicht, den Wald zu schützen, die ivorischen Behörden sind damit ganz offensichtlich überfordert. Rechercheure von Mighty Earth reisten in die Naturschutzgebiete und fanden ganze illegale Städte: mit Tausenden Einwohnern, Kirchen, Moscheen, staatlichen Schulen und Gesundheitszentren. Das Problem ist der Organisation zufolge die korrupte, wenig durchsetzungsstarke Regierung, die gegen die Besiedlung ebenso wenig vorgeht wie die staatliche Waldschutzbehörde Sodefor.
Bauern berichteten Mighty Earth, dass Sodefor-Angestellte Schmiergelder verlangten und dazu raten, die Plantagen so anzulegen, dass sie von den Straßen aus nicht zu sehen sind. Der Direktor der Behörde schätzt sogar, dass 40 Prozent des Kakaos aus Nationalparks kommt.
Helfen könnte es nach Ansicht von Mighty Earth, wenn sich alle Unternehmen in der Wertschöpfungskette dazu verpflichten, nicht mehr von Lieferanten zu kaufen, die illegal roden und die Lieferkette transparent zu machen, beispielsweise durch die Veröffentlichung aller beteiligten Firmen.
6,6 Prozent für die Bauern
Die größte Wirkung aber hätte etwas anders, sagt Johannes Schorling von der Kampagne "Make Chocolate Fair!" der Organisation Inkota, die sich seit Jahren in Deutschland und Europa für einen nachhaltigen Kakaoanbau und eine faire Bezahlung der Bauern einsetzt. Zwar versprächen einige Schokoladenunternehmen entwaldungsfreie Lieferketten, sagt Schorling, "wenn sie ihre Versprechen aber ernst nehmen, müssen sie die Armut unter den Bauern bekämpfen. Die Bauern sind auch deshalb in den Regenwald gegangen, um zusätzliche Einkommen zu haben."
Wer wie viel am Kakao verdient
Der Weltmarkt für Schokolade ist ein 100-Milliarden-Dollar-Geschäft. Aber die Bauern, die am Beginn der Wertschöpfungskette stehen, profitieren von der hohen Nachfrage nach Kakao kaum. Im Schnitt verdienen sie in der Elfenbeinküste 50 Cent am Tag, im Nachbarland Ghana, das mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat, sind es rund 84 Cent. Ihre Lage ist seit den Achtzigerjahren kontinuierlich schlechter geworden. Damals bekamen sie noch etwa 16 Prozent des Preises einer Tafel Schokolade. Heute sind es nur noch 6,6 Prozent. Gewinner sind die anderen: Die Schokoladen-Firmen stecken rund 35 Prozent ein, die Supermärkte sogar 44 Prozent.
Indonesien, Kongo und Peru sind die nächsten Länder
Immerhin ist die Öffentlichkeit auf die Probleme in der Elfenbeinküste aufmerksam geworden: Im März 2017 beschwerten sich die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die Europäische Union und die Uno in einem Brief beim ivorischen Premierminister über den Kahlschlag. Die Regierung räumte daraufhin einige Siedlungen in den Nationalparks - allerdings planlos und unter Verletzung der Menschenrechte. Kurze Zeit später aber waren die Bauern zurück - sie zahlen nun schlicht mehr Schmiergeld als vorher.
Die Kehrseite: Händler sehen sich jetzt in anderen Ländern um, die weniger im Fokus von Aktivisten oder Umweltschützern stehen. So wird für den Kakaoanbau jetzt auch Regenwald in Indonesien, der Demokratischen Republik Kongo oder in Peru gerodet. Denn die Nachfrage nach Schokolade wächst weiter - jedes Jahr im Schnitt um drei Prozent.
Quelle:spiegel
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