Der Fall des Sacharow-Preisträgers zeigt: Um die Religions- und Meinungsfreiheit steht es in Saudi-Arabien schlecht. Die Rechtsprechung unterscheidet sich nicht wesentlich von der der Terrorgruppe "Islamischer Staat". Das will Mohammed bin Salman nun angeblich ändern.
Der saudische Kronprinz hat auf einem Wirtschaftsforum in Riad angekündigt, die bislang vorherrschende ultrakonservative Religionsauslegung zu liberalisieren. "Wir gehen zu dem zurück, wie wir waren: dem moderaten Islam, der offen gegenüber der Welt und allen Religionen ist", sagte er am Dienstag.
Klingt gut, aber wie realistisch ist das? War das Land, in dem sich die für alle Muslime heiligen Stätten von Mekka und Medina befinden, jemals moderat in Glaubensfragen?
Staatsdoktrin in Saudi-Arabien ist der Wahhabismus, eine puritanische und radikale Auslegung des Islam. Das Land wird politisch von der Herrscherfamilie der Sauds regiert, in religiösen Fragen haben die Nachkommen des fundamentalistischen Klerikers Mohammed Ibn Abd al-Wahhab das Sagen. Die Hassprediger bereiteten über Jahrzehnte den Nährboden für radikale Dschihadisten im In- und Ausland.
Erst in den vergangenen Jahren gab es einige Reformen, wie etwa 2015 das Frauenwahlrecht bei Gemeinderatswahlen. Im Mai dieses Jahres eröffnete König Salman dann in Riad während des Besuchs von US-Präsident Donald Trump ein Zentrum zur Bekämpfung von ideologischem Extremismus.
Und seit Mohammed bin Salman im Juni offiziell zum Thronfolger ernannt wurde, beschleunigt sich das Tempo der Reformversuche und -ankündigungen deutlich. Der Grund: Der 32-Jährige treibt das Megaprojekt "Vision 2030" voran, mit dem die Autokratenfamilie nicht nur unabhängiger vom Öl und damit wirtschaftlich zukunftsfähig werden soll, sondern auch eine Modernisierung des Landes anpeilt. Die Folgen:
Im Juli wurde bekannt, dass erstmals ein saudi-arabisches Comic mit einer Superheldin veröffentlicht wird.
Als letztes Land der Welt hat Saudi-Arabien im September entschieden, Frauen das Autofahren zu erlauben. Wenige Tage vor diesem Beschluss durften sie anlässlich des 87. Nationalfeiertages erstmals in Begleitung ihrer Familien das König-Fahd-Stadion in Riad betreten.
Mitte Oktober verkündete das Königshaus zudem, einen weltweit agierenden Wissenschaftsrat einzusetzen. Dieser soll seinen Hauptsitz in Medina haben und radikale Schriften als solche öffentlich enttarnen.
Es tut sich folglich was in der wahhabitischen Diktatur. Die Zeit der Aufklärung ist in diesem jungen Land - drei von vier Bürgern sind unter 30 Jahre alt - dennoch nicht angebrochen.
Brutale Unterdrückung der schiitischen Minderheit
Denn der Kronprinz lässt bislang offen, wie er religiöse Fanatiker bändigen will. Zudem hat er sein vages Versprechen mit dem Hinweis verbunden, sein Land sei vor 1979 anders gewesen. In jenem Jahr starben bei einem Anschlag sunnitischer Extremisten auf die Große Moschee in Mekka fast tausend Menschen. Die Tat gilt als Geburtsstunde des Terrors in Saudi-Arabien.
Dass Saudi-Arabien vor 1979 moderater gewesen sei, ist mit Blick auf den Pakt zwischen dem Herrscherhaus der Sauds und den Klerikern der al-Wahhabs nicht nur historisch falsch, sondern impliziert zudem auch einen Verweis auf den schiitischen Erzfeind Iran.
Seit 1979 der Schah von Persien gestürzt und die Islamische Republik in Teheran ausgerufen wurde, sind die beiden Länder im Hass vereint und kämpfen um die Vorherrschaft in der Region. Die Folge: Die Herrscher in Riad unterdrücken auch die schiitische Minderheit im ölreichen Osten des Landes - immerhin rund 15 Prozent der Gesamtbevölkerung - brutal. Sie betrachten ihre rund zwei Millionen schiitischen Untertanen als Ungläubige und fünfte Kolonne Teherans.
Das Saudi-Arabien von morgen dürfte für die Schiiten - und viele andere wie den Liberalen Raif Badawi - nicht anders aussehen als bisher. Denn die wahhabitischen Kleriker und Sittenwächter der Religionspolizei sind zwar nicht mehr so mächtig wie noch zur Jahrtausendwende. Aber freiwillig werden sie ihre Macht nicht aufgeben.
Quelle: spiegel
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