Märchenhafter Spielplatz wird Hassobjekt

  06 November 2017    Gelesen: 444
Märchenhafter Spielplatz wird Hassobjekt
In Berlin-Neukölln wird ein Kinderspielplatz nach Vorbild des orientalischen Märchens "Ali Baba und die 40 Räuber" gestaltet. Die politische Rechte sieht darin den neusten Beweis für eine Islamisierung des Abendlandes.
Es gibt nicht wenige Berliner, die betrachten den Stadtbezirk Neukölln als Hort des Bösen. Irgendwer brachte dieses Gefühl in großen, weißen Lettern zum Ausdruck und schrieb auf den Putz der hässlichen Hauswand an der Walterstraße 22 das englische Wort für "Hölle": "HELL",

Direkt daneben befindet sich ein nagelneuer, hübsch anzusehender Kinderspielplatz. Noch ist er von einem Bauzaun abgesperrt. Die Kosten werden mit 220.000 Euro angegeben. Sein Motto: Ali Baba, die Figur aus der morgenländischen Märchensammlung "Tausendundeine Nacht". Gewünscht hatte sich das der rund 400 Meter entfernt gelegene Kinderladen "Ali Baba und seine Räuber", der sich als "multikulturelle Einrichtung im Kiez" bezeichnet. Nun steht ein freundlicher, kleiner Holz-Ali vor einem Klettergerüst, das stilistisch an einen Basar, eine Moschee oder einen orientalischen Palast erinnern soll.

"Wir haben schon mehrere Themenspielplätze im Bezirk, die sich an Kinderliteratur orientieren", sagt die Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey. Als Beispiel nennt die Sozialdemokratin Pippi Langstrumpf, Käpt'n Blaubär, Robin Hood, Schneewittchen und Lukas der Lokomotivführer. Die Figuren sind allesamt Geschöpfe des christlichen Kulturkreises des Abendlandes – Ali Baba hingegen wird dem muslimisch geprägten Morgenland zugerechnet. Die Thüringer Firma Spielart, die ihre Produkte unter anderem nach Australien, Dubai, Russland, Frankreich und Skandinavien verkauft, entschied daher, das Klettergerüst mit einer Mondsichel zu krönen, hierzulande besser als Halbmond und damit Symbol des Islams bekannt.

AfD fürchtet Untergang des Abendlandes

Das rief AfD-Politiker und -Anhänger auf den Plan, die den Spielplatz als neusten Beleg ihrer These vom Untergang des Abendlandes auf Grund eines mehr oder weniger schleichenden Vormarschs radikaler Muslime werteten. Carsten U​bbelohde, AfD-Abgeordneter im Berliner Landesparlament, twitterte: "Spielplatz mit Moschee – die Islamisierung schreitet voran!" Auf der Facebook-Seite von Pegida erklärten selbsternannte Abendlandverteidiger. "Christen-Kinder passe!? ...mitten in Europa!" Andere vermuten "Indoktrination auf dem Spielplatz" oder prognostizierten der Bundesrepublik den baldigen Tod: "Jeden Tag stirbt ein Stück Deutschland!". Auch Androhungen von Gewaltanwendung blieben nicht aus: "Wie gut, dass Holz brennt."

Ein User, der auf seinem Profilbild "FCK AfD" stehen hat und durch das Weglassen des Buchstabens "U" die Facebook-Regeln zur Anwendung von Fäkalsprache umgeht, schrieb als Kommentar dazu: "Es kann wohl nur ein indoktrinierter Pegida-Spaten glauben, dass Kinder sich durch so etwas religiös beeinflussen lassen." Auch Bürgermeisterin Giffey bezog in dem sozialen Medium Stellung. "In der gesamten Vorbereitung der Gestaltung der Spielstätte, zu dem auch ein Bolzplatz für Straßenkicker gehört, habe "das Thema Islamisierung nie eine Rolle gespielt". Von einer "Spielmoschee" und den "Beweis für die Islamisierung Deutschlands" könne nicht die Rede sein. In der Neuköllner Hasenheide gebe es seit zwölf Jahren einen Spielplatz, der orientalische Märchen zum Inhalt habe und kein Problem darstelle.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landesparlament, Burkard Dregger, bekannt für seine scharfe Zunge, bezog zunächst Stellung gegen Form und Inhalt des Spielplatzes, ruderte aber rasch zurück. "Man könnte die Gestaltung natürlich als originell bezeichnen. Oder auch ganz einfach als schwachsinnig", zitierte ihn die "Berliner Zeitung". Und weiter: "Vermutlich hat sich dieses doch sehr fragwürdige Projekt irgendein Beamter ausgedacht, der meint, er hätte damit einen Beitrag zur Völkerverständigung erreicht." Einen Tag später empfahl er im "Tagesspiegel", die Diskussion zu beenden, die er selbst befeuert hatte. "Es gibt in Berlin wichtigere Themen als diesen Spielplatz."

Neuköllner haben andere Sorgen

Die Leiterin des "Ali Baba"-Kinderladens, Güldane Yilmaz, bedauert es, dass Orte zum Toben für Jungen und Mädchen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung gerieten. Der Halbmond habe keine Bedeutung, sagte die gläubige Muslimin, die Kopftuch trägt, der "Berliner Morgenpost". Beim Anblick der Kuppel habe sie sich selbst gefreut wie ein Kind. "Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie mit einer Moschee zu verbinden." Auch Giffey bezeichnet die Diskussion als "absurd und an den Haaren herbeigezogen".

Tatjana, eine 26-jährige Bewohnerin des Hauses direkt neben dem Spielplatz, pflichtet dem bei. Sie lobt die neue Tummelstätte für kleine Neuköllner: "Das sieht alles voll hochwertig aus", sagt die junge Frau." Auf dem alten, ekligen Spielplatz hätte ich meine Kinder niemals raufgelassen. Der neue ist ästhetisch schön." Im Übrigen gehe die Debatte an den wirklichen Problemen der Menschen im Viertel vorbei. "Die sich über den Halbmond aufregen, sollten sich mal überlegen, was das ganze Aufhübschen bedeutet: steigende Mieten."

Die Gentrifizierung bewege sie und andere Neuköllner weitaus mehr als eine Mondsichel auf einem Klettergerüst, erklärte Tatjana. Auffällig sei, dass die Bauarbeiten stillstünden, seit über den Spielplatz diskutiert werde. Die 26-Jährige freut sich auf die Eröffnung der Kinderspielstätte. "Auf dem alten hingen nur Leute rum, die Drogen zu nehmen. Ansonsten war da niemand." Doch, irgendwer muss da gewesen sein. Und der hat "HELL" an die Wand geschrieben.

Quelle: n-tv.de

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