Der Innenausschuss soll nun wesentliche Verletzungen der europäischen Grundwerte auflisten. Auf dieser Grundlage will das Plenum später darüber abstimmen, ob es die EU-Länder auffordert, ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Polen einzuleiten. Dies könnte den Entzug des Stimmrechts im EU-Ministerrat zur Folge haben.
Als "anschauliches Beispiel" dafür, dass sich Polen nicht an die EU-Verträge halte, wird in der Resolution die Weigerung genannt, Entscheidungen des EU-Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen. Die Abgeordneten beziehen sich damit auf die Anordnung des EuGH, die Abholzung im Bialowieza-Urwald vorerst zu beenden, sowie die Vorgabe des Menschenrechtsgerichtshofs, Asylsuchende bis auf weiteres nicht nach Weißrussland zurückzuschicken.
Regierungschefin hält Abstimmung für "skandalös"
Der polnische EU-Abgeordnete Janusz Lewandowski von der christdemokratischen EVP-Fraktion bedauerte, dass es wegen der Politik der nationalkonservativen Regierung in Warschau überhaupt zu diesen Debatten kommt. "Wir wollen diese Debatten nicht", sagte er und fügte hinzu: "Wir wollen, dass die Welt stolz ist auf Polen." Er gehört der Oppositionspartei Bürgerplattform PO an.
Die konservative EKR-Fraktion, zu der auch die polnische Regierungspartei PiS zählt, unterstützte die Resolution nicht. "Es geht hier nicht um Rechtsstaatlichkeit", sagte der PiS-Abgeordnete Ryszard Legutko. "Man möchte einfach zeigen, wer den Hammer in der Hand hält", warf er den Befürwortern vor. Das Ganze sei "eine antipolnische Orgie", sagte er und verließ demonstrativ den Saal, ohne das Ende der Debatte abzuwarten. Polens Regierungschefin Beata Szydlo bezeichnete die Ereignisse im Europaparlament als "skandalös". In einem eigenen Papier hatte die EKR vor einer politisch motivierten Debatte gewarnt und der EU-Kommission vorgeworfen, bei der Bewertung der Rechtsstaatlichkeit der EU-Länder mit "zweierlei Maß" zu messen.
Die Brüsseler Behörde droht bereits seit einigen Monaten mit der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7. "Der Justizminister in Polen ist auch der Generalstaatsanwalt. Und es liegt im Ermessen des Generalstaatsanwalts, die Präsidenten der Gerichte einzusetzen und zu entlassen", sagte Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans vor den Abgeordneten. "Lassen Sie das mal für einen Moment sacken."
Polen droht der Verlust des Stimmrechts
Bei "schwerwiegender und anhaltender Verletzung" von Werten wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, greift Artikel 7 des EU-Vertrags. Ein Drittel der Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament oder die EU-Kommission können solch ein Verfahren auslösen. Als schwerste Sanktion ist eine Aussetzung der Stimmrechte des Mitgliedstaates vorgesehen. Damit es jedoch zu diesem Schritt kommen kann, müssen vorher die Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Staaten einstimmig feststellen, dass tatsächlich ein "schwerwiegender und anhaltender" Verstoß vorliegt.
Auch die Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban müsste also zustimmen, was unwahrscheinlich ist - denn das nun für Polen angestoßene Verfahren wird im EU-Parlament bereits seit Mai auch für Ungarn beraten. Im September 2018 soll im Plenum abgestimmt werden. Die beiden Länder sind nicht die einzigen über deren Rechtsstaatlichkeit man sich diese Woche in Straßburg Gedanken machte: Nach dem Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia und Korruptions- sowie Geldwäschevorwürfen fragten sich die Abgeordneten auch, ob auch in dem Mittelmeerstaat alles mit rechten Dingen zugeht.
Angesichts des Dauerstreits mit Polen und Ungarn will Deutschland auch die Vergabe von EU-Mitteln künftig an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit knüpfen. Die Bundesregierung machte beim Treffen der Europaminister zur Zukunft der milliardenschweren EU-Kohäsionspolitik einen entsprechenden Vorstoß. Die Kohäsionspolitik soll eine Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Europa voranbringen und umfasst rund ein Drittel des gesamten EU-Haushaltes. Die Europaminister diskutierten erstmals über die Ausrichtung im EU-Finanzzeitraum von 2021 bis 2027. In ihm stehen durch den EU-Austritt des Nettozahlers Großbritannien voraussichtlich deutliche Kürzungen an.
Quelle: n-tv.de
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