Niger leidet unter hoher Geburtenrate

  29 November 2017    Gelesen: 866
Niger leidet unter hoher Geburtenrate
Bis 2050 soll sich die Bevölkerung Afrikas auf 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln. Hunderte Millionen werden Arbeit brauchen. Besonders kritisch ist die Lage im Niger. Um Armut und Fluchtbewegungen zu bekämpfen, heißt es, müsste die Geburtenrate sinken.
Hadjo Haruna hat 13 Kinder und mehr als 100 Enkel. So viele, dass sie irgendwann aufgehört hat zu zählen, sagt die 71-jährige. Ihre Familie ist Harunas ganzer Stolz. Sie sei die reichste Frau im Dorf Koygorou, meint die Bauersfrau. Die Siedlung liegt gut 130 Kilometer nördlich der nigrischen Hauptstadt Niamey. Mit Geld hat das wenig zu tun. Haruna spricht von Kinderreichtum.

In einem bunten Rock und mit braunem Kopftuch sitzt die alte Frau vor ihrer kleinen Strohhütte. Eine Handvoll Enkel spielt neben ihr im Sand. Die Älteren sammeln Feuerholz, tragen Wasser, helfen im Haushalt und auf dem Feld. Haruna ist arm, aber glücklich. Von Familienplanung hält sie gar nichts. "Verhütung gehört nicht zu unserer Tradition", erklärt sie bestimmt in der Lokalsprache Zarma. "Jede Frau sollte so viele Kinder haben wie sie nur kann."

In Afrika wächst die Bevölkerung insgesamt weiterhin rasant. Die Geburtenrate fällt, doch UN-Experten erwarten, dass sich die Zahl der Einwohner in den Staaten des afrikanischen Kontinents dennoch bis 2050 auf 2,5 Milliarden verdoppeln wird. Bis zum Jahr 2100 werden demnach 40 Prozent aller Menschen, 4,5 Milliarden, in Afrika leben. "Afrika wird in den nächsten Jahrzehnten eine zentrale Rolle für die Größe und Verteilung der Weltbevölkerung spielen", heißt es bei der UN. Ein nachhaltiges Senken der Geburtenrate in Afrika wird sich nur mit mehr Familienplanung, besserer Bildung und einem Senken der Armut erreichen lassen.

Nigers Präsident erkennt Problem

Das Bevölkerungswachstum wird daher eines der Themen sein, das den EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste zu Perspektiven für die Jugend in Afrika heute und morgen bestimmen wird. Je mehr die Bevölkerung wächst, desto mehr junge Menschen brauchen Arbeit, desto mehr Münder müssen gestopft werden, desto mehr Afrikaner werden an eine Flucht nach Europa denken. Sich heute um die Bevölkerung von übermorgen zu sorgen, könnte für Europa langfristig einer der effektivsten Wege zur Bekämpfung von Fluchtursachen sein.

Der Präsident des westafrikanischen Nigers, Mahamadou Issoufou, hat die Gefahr erkannt. "Wenn wir unsere Jugend nicht ausbilden, für sie sorgen und ihnen Arbeitsplätze bieten können, wird sie zu einer Behinderung oder sogar einer Bedrohung für unseren sozialen Zusammenhalt und Wohlstand werden", warnte Issoufou jüngst. Der Niger ist ein Land der Superlative, doch nicht unbedingt der besten: Frauen gebären hier im Durchschnitt 7,5 Kinder, die weltweit höchste Geburtenrate. Nigers Bevölkerung von rund 20 Millionen Menschen soll sich bis 2050 verdreifachen. Der Niger ist einer UN-Statistik zufolge vor dem Bürgerkriegsland Zentralafrikanische Republik das zweitärmste Land der Welt.

Bildung für Mädchen effektivstes Mittel

Experten warnen angesichts des Bevölkerungswachstums vor einer Zeitbombe, die auch zu mehr Migration durch die Sahara und Richtung Europa führen könnte. Der Niger zeigt auch, wie schwierig es ist, die Geburtenrate zu senken. UN und Regierung bieten Programme an, die Paare zur Familienplanung ermuntern sollen. Doch der Fortschritt ist zäh. "Zwischen 2012 und 2015 stieg die Zahl um nur einen Prozentpunkt", sagt UN-Projektleiter Amadou Manzo in Niamey. Zuletzt benutzen demnach nur etwa zwölf Prozent der Frauen Verhütungsmittel.

Insgesamt ist die Geburtenrate in Afrika seit Anfang des Jahrtausends von 5,1 Geburten pro Frau auf 4,7 gesunken. In Europa liegt die Rate den UN-Zahlen zufolge bei 1,6. Zu den Ländern mit dem größten Bevölkerungswachstum in Afrika gehören etwa auch Nigeria, Mali und die Demokratische Republik Kongo. Die Bevölkerung Nigerias - schon heute das bevölkerungsreichste Land Afrikas - soll sich demnach von derzeit 185 Millionen Menschen bis 2100 auf 914 Millionen mehr als vervierfachen. Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungssystem sind dort schon heute überfordert.

Selbst wenn die Geburtenrate in Afrika plötzlich auf das Reproduktionsniveau von etwa 2 fiele, würde die Bevölkerung weiter wachsen, weil es jetzt schon so viele Kinder und Jugendliche gibt. Rund 60 Prozent der Afrikaner sind jünger als 25 Jahre. Neben der Familienplanung liegt aus der Sicht der UN-Experten eines der effektivsten und einfachsten Mittel, die Geburtenrate zu senken, darin, den weiblichen Teil der Bevölkerung länger und besser als bisher auszubilden. Je länger Mädchen in die Schule gehen, desto weniger Kinder bekommen sie, heißt es.

Lebenslanger Wettbewerb in polygamer Ehe

Wenn alle Mädchen in Afrika und Asien eine weiterführende Schule besuchen könnten, würde die Zahl der Geburten vor dem 18. Geburtstag um geschätzt 60 Prozent fallen, wie ein Sprecher des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) erklärte. Die Geburtenrate würde um 42 Prozent von 6,7 Kindern auf 3,9 Kinder zurückgehen. Doch im Niger zeigt sich, wie schwierig dieses Ziel zu erreichen ist: Drei Viertel aller Mädchen heiraten hier vor ihrem 18. Geburtstag.

Fatouma Ibrahima von der US-Hilfsorganisation Pathfinder International erklärt, dass sowohl Kinderheirat als auch Polygamie in der nigrischen Gesellschaft tief verankert seien. Kinderreichtum bestimme auch den Status der Frau in der Familie. Die Frau mit den meisten Kindern habe das meiste Sagen, das größte Budget, die schönsten Kleider. Vom lebenslangen Wettbewerb in einer polygamen Ehe erzählt Mariama Sabou, eine Mutter von zehn Kindern und die zweite Ehefrau ihres Mannes. "Sobald eine von uns schwanger ist, steht die andere unter Druck, auch noch ein Kind zu bekommen", erklärt die 48-jährige. Sie lebt in der Stadt Dosso, zwei Autostunden nördlich von Niamey. Hätte sie die Wahl, würde sie verhüten, aber das sei in der Familie tabu.

Eine der wenigen Frauen, die von ihrem Mann Erlaubnis erhalten hat, die Beratungsstelle von Pathfinder in Dosso zu besuchen, ist die 29-jährige Aishatou Daouda. Sie habe drei Kinder und sich mit ihrem Mann darauf geeinigt, dass es insgesamt fünf Kinder werden sollen, sagt sie. "Ich weiß, fünf ist wenig, aber wenn wir es dabei belassen, können wir alle zur Schule schicken."

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