Bolt stolpert legendär ins Ziel

  27 Dezember 2017    Gelesen: 955
Bolt stolpert legendär ins Ziel
Mit einem Knall endet im August eine Karriere der Superlative: Die von Übersprinter Usain Bolt. In seinem allerletzten Rennen kommt er nicht ins Ziel. Damit verleiht sich der Jamaikaner endgültig Legendenstatus, trotz aller Dopingverdächtigungen.
12. August 2017, 22:03 Uhr: Ein Schrei, ein Sturz, eine Rolle, ein paar Schritte Humpeln, der Fall auf die Bahn - das ist der letzte Auftritt von Weltrekordler Usain Bolt auf der großen Leichtathletik-Bühne. Die 4x100-Meter-Staffel Jamaikas kommt bei der Leichtathletik-WM 2017 nicht ins Ziel. Ihr Schlussläufer, der berühmteste Leichtathlet der Welt, der Sport-Clown, der Übersprinter, bleibt auf Bahn fünf des Londoner Olympiastadions liegen.

Während die britischen Sprinter ekstatisch ihren überraschenden WM-Titel feiern, nimmt das heimische Publikum die Sensation mäßig enthusiastisch auf. Schließlich liegt der Publikumsliebling darnieder, sogar ein Rollstuhl wird für Bolt auf die rote Tartanbahn geschoben. Er wird ihn nicht brauchen. Stattdessen stützen ihn seine Kollegen. Staffel-Startläufer Omar McLeod muntert ihn auf: "So etwas passiert einfach. Usain Bolts Name wird für immer weiterleben." Aber: Eine der größten Sportlerkarrieren aller Zeiten endet tragisch.

Schon eine Woche zuvor nimmt die Leichtathletik-Geschichte nicht ihren vorgesehenen Verlauf. Am 5. August tritt der schnellste Mann der Welt zu seinem letzten internationalen Einzel-Rennen an. Ein weiteres Bolt-Gold, das ist die Erwartung vieler Fans. Doch Bolt ist nach 100 Metern nicht als Erster im Ziel, nicht mal als Zweiter. Die Goldmedaille heimst der US-Amerikaner Justin Gatlin ein. Der zweimalige Dopingsünder wird dafür vom gesamten Stadion gellend ausgebuht. Er, der in 9,92 Sekunden zum WM-Titel sprintet, kniet im Ziel vor dem "nur" Drittschnellsten, Bolt (9,95), nieder. Es ist die Huldigung einer Legende.

"Ein richtig langer Lulatsch"

Angefangen hatte alles als "hyperaktives Kind", wie sein Vater Wellesley Bolt dem NDR sagte. Er rennt ständig herum, muss sich bewegen, landet beim Sport. Sein erster Trainer - damals noch beim Cricket - Pastor Devere Nugent, sagte: Bolt war schon mit sieben Jahren "ein richtig langer Lulatsch". Ein schneller und guter noch dazu. Bereits nach kurzer Zeit spielt er gegen drei Jahre ältere Konkurrenten. Er wird gefordert und gefördert - beste Voraussetzungen für eine Sportkarriere. Und dennoch: "Wir haben zu dem Zeitpunkt natürlich nicht daran gedacht, dass er einmal ein internationaler Superstar werden würde."

2002 tritt Bolt erstmals international in Erscheinung. Da ist der Jamaikaner gerade mal 15 Jahre jung und krönt sich in seiner Heimat Kingston über 200 Meter zum jüngsten Juniorenweltmeister aller Zeiten. 20,61 Sekunden braucht er für die halbe Stadionrunde - gilt er als herausragendes Talent. Er wird alle Erwartungen übertreffen. Ein Jahr später nimmt die Starwerdung Form an. Junioren-Weltrekord über 200 Meter - bis heute ist er der einzige U20-Sprinter, der die 200 Meter in unter 20 Sekunden (19,93) zurückgelegt hat. Auch ein schiefer Rücken behindert den Schlaks nicht. An den lässt er übrigens nur einen: Arzt-Urgestein Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt aus München. Und der hat so manches Wehwehchen zu bearbeiten. Der Karriere schaden die nicht.

Bolt spielt mit seinen Fans

Die startet 2008 so richtig durch. Da ist Bolt, der es in seiner Freizeit gern lässig mag, bereits doppelter Vizeweltmeister. Doch er schwingt sich auf in neue Sphären. Im Mai lässt er New York staunen, als er als 21-Jähriger in 9,72 Sekunden zum neuen 100-Meter-Weltrekord sprintet. Die Olympischen Spiele in Peking werden drei Monate später zur Bolt-Show. Der Mann aus der Karibik markiert erneut einen Weltrekord (9,69) und wird der erste jamaikanische Olympiasieger über 100 Meter. Der Lauf geht in die Historie ein. Allerdings weniger wegen des Rekords, sondern weil er noch viel schneller hätte sein können: Er drosselt sein Tempo - in der Spitze 43,9 km/h - vor dem Ziel, breitet jubelnd die Arme aus, ein Schnürsenkel ist offen. Völlig egal. Natürlich gewinnt der 1,95 Meter große Modellathlet auch über 200 Meter und mit der Staffel Gold. Natürlich beides mit Weltrekord - drunter macht er's nicht.

Doch sogar das olympische Gold-Triple ist nicht der Höhepunkt seiner Karriere. Der Name Bolt wird immer mit Berlin und dem Jahr 2009 verbunden sein. Bei der Weltmeisterschaft im Berliner Olympiastadion ist das Publikum am Abend des 16. August totenstill, dann tobend, aufgepeitscht, frenetisch. Für das ZDF kommentiert Wolf-Dieter Poschmann: "Neun Komma Fünf Acht - Weltrekord. Ein Wahnsinn." Bolt - wie er eben so ist, "Scherz-Bolt", "Witz-Bolt", "Thunder-Bolt" - spielt mit dem entfesselten Publikum, zeigt seine längst berühmt gewordene "Bogenschützen"-Pose und macht Maskottchen "Berlino" zum Kassenschlager. In Erinnerung vom schnellsten 100-Meter-Rennen der Geschichte bleibt nur der Sieger, der Fabel-Weltrekordler. Wer die Platzierten sind, gerät in Vergessenheit. Zu krass ist der Vorsprung. Erst recht vier Tage später über die doppelte Distanz. "Natürlich ist es Weltrekord", sagt Poschmann da. 19,19 Sekunden, seine eigene alte Bestmarke ist pulverisiert. Kein Weltrekord sondern "nur" Meisterschaftsrekord gibt's beim dritten Titel, dem mit der Staffel. Natürlich ist es das nächste Bolt-Gold-Triple.

Doping vermiest ihm das Triple-Triple

Es geht immer so weiter - wenn da nicht der üble Fehlstart im 100-Meter-Finale von 2011 wäre. Also nur zweimal Gold bei der WM 2011, aber je dreimal 2013 und 2015. Insgesamt elf Weltmeistertitel heimst der Jamaikaner ein. In 86 Finalrennen über 100 und 200 Meter kassiert er seit 2008 lediglich sechs Niederlagen. Zudem ergattert er das olympische Triple-Triple: Dreimal Gold von drei Olympischen Spielen, nach 2008 in Peking auch 2012 in London und 2016 in Rio de Janeiro. Zumindest vorübergehend: Anfang dieses Jahres wird der Staffel von 2008 die Goldmedaille aberkannt. Startläufer Nesta Carter ist des Dopings überführt. "Solche Dinge passieren im Leben, ich bin nicht traurig", sagte Bolt dazu lapidar. Dabei hatte er den Hattrick vor den Spielen in Rio de Janeiro so erhofft: "Das würde meinen Status untermauern, einer der Größten zu sein", sagte er dem NDR.

Gatlin und Carter bleiben nicht die einzigen Sünder an Bolts Seite. Seine Landsmänner Asafa Powell und Yohan Blake werden zwischenzeitlich gesperrt, auch der US-Amerikaner Tyson Gay. Während also die Läufer links und rechts auf den Bahnen neben dem schnellsten Menschen der Welt wegen Dopings umfallen wie die Fliegen, hält der Übersprinter jedem Test stand. Wissenschaftler analysieren seine Körpergröße, seine Hebel, seinen Laufstil, sie versuchen das Phänomen Bolt zu erklären. Sie schaffen es nur ansatzweise. Ist ausgerechnet der Schnellste der Schnellen ein fairer und vor allem sauberer Sportsmann?

Bolt vergleicht sich mit Sportlegende

Im Zweifel für den Angeklagten, heißt es juristisch, doch Zweifel bleiben. Etwa bei Mediziner und Dopingforscher Perikles Simon. "Jetzt aber ist einer davongerannt, und alle anderen liefen innerhalb kürzester Zeit fast genauso schnell hinterher", sagte der Deutsche bereits 2013: "Das ist einfach nicht plausibel." Ähnlich äußerte sich die ehemalige DDR-Sprinterin und heutige Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfevereins, Ines Geipel, gegenüber der "Stuttgarter Zeitung". Die Überführung etwa von Ex-Weltmeister Tyson Gay und Ex-Weltrekordler Asafa Powell sei ein "Warnschuss in Richtung Usain Bolt. Ohne Befund zu sein, ist noch kein Wert an sich."

Bolt selbst beteuert natürlich seine weiße Weste. "Ich kann immer nur wieder betonen, dass ich sauber bin. Ich werde ständig getestet, ich trainiere hart, ich bin echt." Und Ende August, da ist er sein letztes Rennen schon gelaufen, antwortete er auf die Dopingfrage ziemlich garstig: "Ich werte diese Frage als ein Zeichen des mangelnden Respekts." Dabei besteht ein feiner Unterschied: Hat er Respekt verdient? Ja, denn der Ausnahmesprinter und Lebemann hat ihn sich erarbeitet. Verbietet der Respekt kritische Nachfragen? Nein.

In seiner Heimat ist die Diskussion um mögliches Doping vielen egal, sie huldigen ihm: Am 4. Dezember wird eine riesige Bronzestatue vor dem Stadion in Kingston eingeweiht. Der Leichtathlet ist ein Aushängeschild des Karibikstaates, dessen bekanntester Botschafter seit Reggae-Man Bob Marley. An diesem Abend im Dezember ringt selbst der schlagfertige Bolt um Worte: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt gedacht, dass ich jemals so viel erreichen würde - aber immer weiter gemacht."

15 Jahre auf der Weltbühne des Sprints, Seriensieger, dabei stets locker, offen und unterhaltsam. Selbst nach seinem dramatischen Abgang von der großen Sportbühne: "Muhammad Ali hat auch seinen letzten Kampf verloren", sagt Bolt da. Die Herzen der Fans hatten bei diesem Spruch längst beide Legenden gewonnen.

Quelle: n-tv.de

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