Die drei Optionen der Theresa May

  07 Januar 2018    Gelesen: 631
Die drei Optionen der Theresa May
Die britische Regierung muss sich in Kürze entscheiden, wie ihre Beziehung zur EU aussehen soll. Der Wunsch der Bevölkerungsmehrheit kommt für sie nicht in Frage.
"Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" Diese Frage des Philosophen Richard David Precht könnte sich derzeit auch Großbritannien stellen. Die regierende Tory-Partei ist tief darüber zerstritten, wie sie das Land aus der EU führen will. Von allen anderen Parteien trennt die Konservativen nicht nur in dieser, sondern auch in anderen fundamentalen Fragen ein Abgrund. Und was große Teile der Bevölkerung in Sachen Brexit wollen, scheint bei alldem überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.

Das zumindest legen aktuelle Umfragen nahe:

51 Prozent der Briten wollen demnach in der EU bleiben und nur noch 41 Prozent weiterhin austreten.
Den Verbleib in EU-Binnenmarkt und Zollunion befürworten laut einer Umfrage des Londoner Mile End Institute nur etwa ein Viertel der Tory-Mitglieder, aber rund 90 Prozent der Mitglieder von Labour, Liberaldemokraten (LD) und Schottischer Nationalpartei (SNP).
Für ein Referendum über das finale Brexit-Abkommen sprechen sich 14 Prozent der Konservativen, aber 78 Prozent der Labour-Mitglieder aus. Bei LD und SNP sind es 91 beziehungsweise 87 Prozent.
Auch in der Bevölkerung deutet sich laut einer Survation-Umfrage eine Mehrheit für ein zweites Referendum an: Demnach gaben im Dezember 50 Prozent der Befragten an, über den finalen Brexit-Deal abstimmen zu wollen.
Doch ein zweites Referendum wagt derzeit kaum jemand in der britischen Politik zu fordern. Die oppositionelle Labour-Partei eiert in der Brexit-Frage seit Monaten herum, und die einzige Partei mit einer klar pro-europäischen Haltung, die LD, verharrt in der Bedeutungslosigkeit.

Ausgerechnet der noch machtlosere Ex-Premierminister Tony Blair ist inzwischen zum Sprecher der Remainer geworden. In einem am Donnerstag veröffentlichten Essay fordert er, dem Volk eine zweite Gelegenheit zur Abstimmung zu geben. Sein Argument: Im ersten Referendum sei es nur um die aktuelle Mitgliedschaft in der EU gegangen. Was aber nach einem Austritt kommt, habe damals niemand absehen können. Und ein Volk habe das Recht, seine Meinung im Lichte neuer Informationen zu ändern.

Warnschuss ausgerechnet vom britischen EU-Kommissar

Inzwischen ist klar, dass der Brexit mit den Visionen seiner Befürworter wohl wenig zu tun haben wird. Dass Großbritannien die Vorteile von EU-Binnenmarkt und Zollunion weiter genießen kann, ohne die zugehörigen Regeln zu befolgen, hat sich als Fantasie erwiesen. Auch die Frage, wie die Rückkehr einer harten Grenze zwischen Irland und Nordirland vermieden wird, ist nach wie vor ungelöst. Die britische Regierung hat bisher so getan, als gäbe es diese Probleme nicht. Das aber dürfte 2018 endgültig vorbei sein, denn die Zeit drängt.

Der nächste Termin ist der EU-Gipfel am 22. und 23. März. Bis dahin sollen die Regeln für die etwa zweijährige Übergangsphase nach dem Austritt stehen. Gelingt das nicht, werden voraussichtlich zahlreiche britische Unternehmen ihre Notfallpläne aktivieren und in andere EU-Staaten umziehen - um sich nach dem Brexit am 29. März 2019 nicht außerhalb von EU-Binnenmarkt und Zollunion wiederzufinden.

Einen Warnschuss gab am Donnerstag ausgerechnet Großbritanniens Mitglied in der EU-Kommission ab. Der für die Sicherheitsunion zuständige Kommissar Julian King sagte, ein Einstieg in die Gespräche über die Übergangsphase sei derzeit unmöglich. Die britische Regierung habe noch immer nicht klar formuliert, was sie will, sagte King dem "Evening Standard".

Sollte sie es rechtzeitig schaffen, ist das nächste Zwischenziel der EU-Gipfel am 18. und 19. Oktober. Bis dahin soll der Rahmen für die künftigen Beziehungen verhandelt werden. Die britische Regierung wird sich nun zwischen drei Optionen entscheiden müssen:

aus der EU aussteigen, aber Mitglied in Binnenmarkt und Zollunion bleiben;
die EU, ihren Binnenmarkt und die Zollunion verlassen und dafür ein möglichst umfassendes Freihandelsabkommen abschließen;
ohne Einigung über ein Handelsabkommen aus allen EU-Strukturen ausscheiden und vorerst auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) mit der EU Handel treiben.
Option eins hat die britische Premierministerin Theresa May wiederholt ausgeschlossen - denn sie würde bedeuten, dass Großbritannien weiterhin in den EU-Haushalt einzahlen, Zuwanderung aus den anderen Mitgliedsländern in Kauf nehmen und neue EU-Verordnungen befolgen müsste, ohne bei deren Entstehung noch mitreden zu können.

Deshalb strebt die britische Regierung Option zwei an. Allerdings: Den "maßgeschneiderten Deal", den London verlangt, lehnt die EU ab - schon weil sie Sonderrechte, die sie den Briten gewährte, automatisch auch allen anderen Drittstaaten schenken müsste.

Außerdem gilt: Je umfassender und detaillierter ein Handelsabkommen wird, desto mehr gemeinsame Regeln müssten die Briten befolgen. Deshalb liebäugeln nach wie vor zahlreiche Brexit-Hardliner in der Tory-Partei mit Option drei - ungeachtet zahlreicher Warnungen, dass ein solch radikaler Bruch für die britische Wirtschaft katastrophal wäre. Doch auch May hat ihren Satz "kein Deal ist besser als ein schlechter Deal" bisher nicht zurückgenommen.

Hoffnung auf Exit vom Brexit

Neben den Handelsfragen gilt es auch zahlreiche weitere Details zumindest grundlegend zu klären, allen voran die brisante Irland-Frage. In Brüssel ist deshalb mancher skeptisch, ob die Frist zum 18. Oktober ausreicht. Möglich wäre eventuell ein Aufschub auf den EU-Gipfel am 13. und 14. Dezember. Das aber wäre wohl der allerletzte Termin - denn bis zum Brexit-Tag am 29. März 2019 müssen die Regierungen aller anderen EU-Staaten sowie das EU-Parlament den Austrittsdeal noch absegnen.

Die vierte Option - ein zweites Referendum und ein möglicher Exit vom Brexit - liegt derzeit in London nicht auf dem Tisch. Dabei gibt es nach Überzeugung des britischen Historikers Timothy Garton Ash nur noch in diesem Jahr die Chance, den Brexit zu stoppen. Habe das Londoner Parlament den Austrittsdeal am Jahresende erst durchgewunken, sei es zu spät - dann werde Großbritannien "den überflüssigsten und folgenschwersten Akt nationaler Selbstverletzung in der Nachkriegsgeschichte" begehen, schreibt Ash im "Guardian". Dabei habe sogar der britische Brexit-Minister David Davis vor dem Referendum geschrieben: "Wenn eine Demokratie ihre Meinung nicht ändern kann, hört sie auf, eine Demokratie zu sein."

Ironischerwiese hat ausgerechnet der britische Handelsminister Liam Fox dem Lager von Ash und Blair unfreiwillig Munition geliefert. Der Brexit-Hardliner nahm diese Woche Stellung zu Berichten, Großbritannien wolle dem transpazifischen Handelsabkommen TPP beitreten. "Wir wissen noch nicht, wie erfolgreich TPP sein wird, weil es noch nicht zu Ende verhandelt ist", sagte Fox. Und es wäre verfrüht, sich zu etwas zu verpflichten, "wenn wir nicht wissen, wie die finalen Details aussehen."

Quelle : spiegel.de

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