Wird bald niemand mehr Football spielen?

  20 Januar 2018    Gelesen: 683
Wird bald niemand mehr Football spielen?
Sie gehören genauso zum American Football dazu wie ein Touchdown: Gehirnerschütterungen. Ein aktueller Fall in der NFL löst große Diskussionen aus.
Cam Newton hat keine Chance. Als ein Gegenspieler auf ihn zukommt, weicht der Quarterback der Carolina Panthers aus – strauchelt dabei allerdings und muss sich mit beiden Händen abstützen. Er richtet sich wieder halbwegs auf, doch es ist zu spät: Ein anderer Gegenspieler reißt ihn mit voller Wucht zu Boden. Newton knallt hart auf den Boden.

Der Quarterback steht mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder auf, muss sich aber kurz darauf wieder setzen. Der Verdacht: Gehirnerschütterung. In solchen Fällen greift das sogenannte concussion protocol. Es handelt sich dabei um eine Untersuchung, bei der geprüft wird, ob ein NFL-Profi eine Gehirnerschütterung hat. Falls ja, wird er aus dem Spiel genommen. Newton kehrte nach einer kurzen Untersuchung zurück – vielen gefiel das gar nicht.

Der Fall hat bei Fans, Experten und Journalisten heftige Debatten ausgelöst. Es geht darum, ob das Sportliche wichtiger als die Gesundheit eines Spielers ist. Es geht um die Liga, die die Regeln macht. Und es geht darum, dass American Football für viele immer noch eine Sportart ist, in der Spieler keine Schwäche zeigen dürfen. Schon gar nicht in wichtigen Spielen, wie das der Carolina Panthers gegen die New Orleans Saints. Es war ein Playoff-Spiel. Wer verliert, für den ist die Saison vorbei.

Als Newton nach dem harten Hit wieder auf das Feld kam, lagen die Panthers 19 zu 31 zurück, etwa fünf Minuten waren noch zu spielen. Zeit genug, um das Spiel zu drehen. Zuvor war der Quarterback am Spielfeldrand behandelt worden, in einem blauen Zelt, das vor neugierigen Blicken schützt. Ein paar Tage vor der Partie hätte das noch dem concussion protocol entsprochen. Doch eine Regeländerung besagt nun, dass Spieler nicht mehr im Zelt, sondern in der Umkleidekabine auf eine Gehirnerschütterung hin untersucht werden müssen.

Die Frage ist außerdem: Was ist im Zelt untersucht worden? Es sei auch um Vorsichtsmaßnahmen für eine Gehirnerschütterung gegangen, sagt Newton. "Es war aber nicht mein Kopf", er sei ins Auge gepiekt worden. Die Liga ermittelt, ob ein Verstoß gegen das concussion protocol vorliegt.



"Ein Spieler sollte nicht, nur weil er einen Schlag am Kopf abbekommen hat, sofort ins concussion protocol. Manchmal wirst du als Spieler zwar getroffen, aber es ist nicht immer gleich eine Gehirnerschütterung", sagt Greg Jennings. Er hat zehn Jahre in der NFL gespielt und ist inzwischen als Experte für Fox tätig.

Sein Kollege, der Sportjournalist Jason Whitlock, findet das concussion protocol "nicht praktikabel". "Wenn ich die Carolina Panthers oder die NFL wäre, würde ich nicht wollen, dass Cam Newton in die Umkleide muss, wenn das Spiel in die entscheidende Phase geht. Football ist ein Kampfsport." Kein Zuschauer mache sich um die Gesundheit der Sportler Sorgen. "Kommt damit klar. Die Football-Spieler tun es auch", so Whitlock. Einer, der den Umgang mit Gehirnerschütterungen kritischer sieht, ist der ESPN-Journalist Adam Schefter. "Wie oft müssen wir noch darüber reden? Es reicht!", sagt Schefter. Seiner Meinung nach taugt das Protokoll in seiner jetzigen Form nicht.

Mit der Regelung will die NFL ihre Spieler schützen. Es greift, sobald ein Spieler Anzeichen einer Gehirnerschütterung zeigt – zum Beispiel, wenn er nach einem Schlag gegen den Kopf langsam aufsteht oder Probleme mit dem Gleichgewicht hat. Die Untersuchung vor Ort führen der eigene Teamarzt und ein unabhängiger Arzt durch, den die NFL stellt. So soll vermieden werden, dass das Team den sportlichen Erfolg über die Gesundheit seiner Spieler stellt. Die Ärzte entscheiden dann, wie es mit dem Spieler weitergeht.

Das Protokoll sieht auch vor, dass zwei Athletiktrainer die Spieler genau beobachten. Sie bekommen im Stadion einen Platz mit sehr guter Sicht auf das Feld und können sich zusätzlich Videoaufnahmen der Partie ansehen. Sobald ein Spieler Anzeichen einer Gehirnerschütterung zeigt, können sie dem Team-Arzt und dem unabhängigen Arzt per Funk Bescheid geben.

Die NFL passt die Regelung ständig an, um sie eigenen Angaben nach zu verbessern – auch während der Saison. Zu Beginn der aktuellen Spielzeit musste die erste Untersuchung noch am Spielfeldrand stattfinden. Für betroffene Spieler hieß das: "Ab ins Zelt!" Die – falls nötig – weiterführenden Untersuchungen wurden in der Kabine durchgeführt. Kurz vor dem Jahreswechsel wurde das jedoch geändert, die Spieler müssen nun sofort in die Kabine. Außerdem dürfen Profis, die nach einem Zusammenprall einen Anfall haben, nicht weiterspielen.

Anlass für diese Regeländerungen war Tom Savage, Quarterback der Houston Texans. Beim Spiel gegen die San Francisco 49ers lag er nach einem Hit mit zitternden Armen am Boden. Nach wenigen Minuten im Zelt lief er wieder auf, allerdings nur kurz. Ein Arzt untersuchte ihn erneut und stellte eine Gehirnerschütterung fest. Auch damals wurde viel diskutiert. Die NFL ermittelte, stellte aber keinen Regelverstoß fest.



Anders war das bei den Seattle Seahawks. Der Vorfall ereignete sich ebenfalls in dieser Saison. Weil das Team seinen Quarterback Russell Wilson aus dem Zelt und zurück auf das Feld ließ, bevor er untersucht werden konnte, musste der Club 100.000 US-Dollar Strafe zahlen. Angesichts der Millionengehälter, die in der NFL gezahlt werden, eine geringe Summe. Das Regelwerk erlaubt der Liga, bei Verstößen härter durchzugreifen: Sie kann ein Team bei der jährlichen Draft (einer Talentschau, bei der sich die Mannschaften der Reihe nach die Rechte an Nachwuchsspielern sichern) benachteiligen. Diese Strafe wurde bisher jedoch nicht angewendet.

Die NFL versucht seit Jahren, die Zahl der Gehirnerschütterungen zu verringern. Sie hat zum Beispiel die Trainingseinheiten, in denen mit Vollkontakt trainiert wird, reglementiert und die Spielregeln angepasst. Es ist zum Beispiel verboten, mit dem eigenen Helm den Helm des Gegners zu attackieren. Die Zahl der Gehirnerschütterungen ist im Vergleich von 2015 zu 2016 gesunken, von 275 auf 244. Das ist jedoch mehr als in den beiden Vorjahren. Die Liga begründet den Anstieg unter anderem damit, dass weniger Spieler die Symptome totschweigen und zum Teamarzt gehen würden. Profis und Clubs seien für das Thema sensibilisiert.

Dass American Football dem Gehirn schadet, ist bekannt. Auch die NFL musste das einräumen. Geht es nach Hunt Batjer, muss die Liga mehr für die Sicherheit der Spieler tun. Er ist Hirnchirurg und ehemaliges Mitglied des NFL-Ausschusses, der sich mit Kopf-, Nacken- und Wirbelsäulen-Verletzungen beschäftigt. "Der größte Hebel wäre es, zu sagen: 'Wir als amerikanische Eltern glauben nicht, dass Football sicher genug für unsere Kinder ist. Deshalb lassen wir sie diese Sportart nicht ausüben.'"

Das würde bedeuten: Der NFL gehen irgendwann die Spieler aus.

Quelle: zeit

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