Wie hart wird der Brexit die britische Wirtschaft treffen? Die Regierung in London hat sich in dieser Frage bis jetzt immer bedeckt gehalten. Entsprechend groß war der Aufschrei, als Details aus einer internen Studie des Brexit-Ministeriums an die Öffentlichkeit gelangten. Denn die zeichnen ein düsteres Bild: Großbritannien würde bei jedem untersuchten Brexit-Szenario schlechter dastehen als bei einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft.
Ein harter Brexit - also ohne ein Abkommen mit der EU - wäre demnach besonders folgenschwer: Großbritannien würde in den kommenden 15 Jahren acht Prozent seines bisher erwarteten Wachstums einbüßen. Selbst bei einem - nicht sehr wahrscheinlichen - Verbleib im Binnenmarkt dürften zwei Prozent an Wachstum verloren gehen.
Downing Street wollte den Leak zunächst nicht kommentieren. Aus Regierungskreisen hieß es zunächst nur, die Studie habe sich nicht mit der Option befasst, die Premierministerin Theresa May bevorzuge: eine "tiefe und besondere Partnerschaft" mit der EU. Wie genau die aber aussehen soll, ist bis heute unklar.
Weitere Details aus dem Bericht bringen die Regierung in zusätzliche Erklärungsnot. Denn darin heißt es auch, dass eine sinkende Zahl an EU-Einwanderern die britische Wirtschaft schwer treffen würde. Selbst ein relativ offenes Einwanderungssystem würde die 0,2 Prozent Wachstum nivellieren, die sich etwa aus einem Handelsabkommen mit den USA ergeben würden. Eine restriktive Einwanderungspolitik, wie May sie anstrebt, würde die Wirtschaft noch stärker belasten.
Die EU-Bürger bleiben zu Hause
Dabei ist Netto-Zuwanderung seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 schon stark gefallen: von 336.000 im Jahr zuvor auf nur noch 230.000 in den zwölf Monaten nach dem Referendum. Laut der Statistikbehörde ONS sind für drei Viertel dieses Rückgangs die gesunkene Zuwanderung aus der EU verantwortlich.
Viele EU-Bürger haben die Brexit-Entscheidung als Schock erlebt. Das Land, in dem viele von ihnen jahrelang gelebt und gearbeitet haben, kam ihnen auf einen Schlag ungastlich vor. Tatsächlich ist die Zahl der Hassverbrechen - zu denen auch ausländerfeindliche Übergriffe zählen - in dem Jahr nach dem Referendum stark gestiegen.
Dass EU-Bürger fernbleiben, hat aber auch ganz banale wirtschaftliche Gründe: Das britische Pfund hat seit dem Brexit-Votum gegenüber dem Euro etwa 15 Prozent an Wert verloren, zudem boomt die Wirtschaft in Kontinentaleuropa. Dadurch wirkt Großbritannien heute weitaus weniger attraktiv als noch vor zwei Jahren.
Das bringt schon heute Teile der Wirtschaft in Bedrängnis. Laut einer Umfrage des Wirtschaftsverbandes CBI ist die Auftragslage bei kleinen und mittleren Unternehmen derzeit zwar gut. Rund ein Drittel der befragten Unternehmen beklagten sich jedoch über den Fachkräftemangel - so viele wie seit 30 Jahren nicht mehr. "Das unterstreicht die Bedeutung eines zukünftigen Einwanderungssystems, das Firmen Zugang zu Arbeitskräften ermöglicht", sagte Alpesh Paleja, Chefökonom der Organisation.
spiegel.de
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