Ex-Außenminister Fischer: Westen steigt ab und China wird neue Weltmacht

  07 März 2018    Gelesen: 1612
Ex-Außenminister Fischer: Westen steigt ab und China wird neue Weltmacht

Was wird aus dem Westen in der neuen globalen Ordnung, die sich herausbildet? Diese Frage beschäftigt den ehemaligen bundesdeutschen Außenminister Joseph „Joschka“ Fischer. In einem neuen Buch warnt er vor dem „Abstieg des Westens“.

Es handele sich um „unglaublich erschütternde Prozesse“, erklärte der frühere Außenminister und Grünen-Politiker Joseph Fischer am Montag in Berlin. Seit dem Jahr 2016 gebe es mit dem Brexit und dem US-Präsidenten Donald Trump tiefgreifende Veränderungen. Diese würden zu der Frage führen, ob der Westen sich verabschiede. Fischer zählte dazu, dass Marine Le Pen bei der Wahl in Frankreich nur knapp Emmanuel Macron unterlag.

Der Ex-Politiker, der sich noch immer „Joschka“ nennt und nennen lässt, stellte in der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin sein neues Buch vor. Das erscheint am Donnerstag unter dem Titel „Der Abstieg des Westens – Europa in der neuen Weltordnung des 21. Jahrhunderts“ im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Darin fragt Fischer: „Dem Westen geht es nach wie vor gut, verglichen mit anderen Teilen der Welt. Nur – wird es so bleiben?“ Und: „Der Boden, auf dem der Westen stand – Eliten wie die Bevölkerungen gleichermaßen –, ist schwankend geworden und die Fragen nach der Zukunft des Westens und Europas, die noch vor wenigen Jahren als absurd erschienen wären, sind heute in den Mittelpunkt des Interesses gerückt.“

Ordnungsverlust seit 1989 - Fischer meinte, dass nach 1989 im Westen geglaubt wurde, das globale System nach dem 2. Weltkrieg verschwinde, ohne das alle Beteiligten davon betroffen sind. Statt eine neue Ordnung nach dem Kalten Krieg zu entwerfen, seien nur die Europäische Union (EU) und die Nato nach Osten erweitert worden. Der buchschreibende Ex-Minister, der in diesem Jahr 70 wird, meinte dazu:

„Der Ordnungsverlust, der 1989 begonnen hat, die Ordnungsveränderungen, die holen uns jetzt ein. Es entsteht zugleich eine neue Ordnung, neue Akteure, neue Zentralachsen, mit neuen Zentren – die nicht mehr im nordatlantischen Raum sind, die nicht mehr im Westen sind, sondern im indopazifischen Raum, in Ostasien.“

Aus seiner Sicht ist das eine Rückkehr zur historischen Normalität. Fischer erinnerte daran, dass China und Indien bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die größten und bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften waren. „Was wir als normal empfinden, dass der Westen dominiert, war bis dato nicht normal.“ Die entscheidende Frage sei: „Hat der Westen ohne die beiden Gründungsnationen Großbritannien und USA eine Zukunft?“ „Ich habe da meine großen Zweifel“, so die eigene Antwort des Ex-Außenministers darauf.

Kommende Weltmacht China - Er persönlich sieht eine „absolute Abstiegsgefahr“ für den Westen – „demografisch ist das schon zu sehen. Wirtschaftlich werden wir das auch sehen“. Fischers Schlussfolgerung: „Das Einzige, was uns bleibt, ist eigentlich Europa.“ Er sprach sich für das „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ aus. Er sehe das zwar nur als „zweitbeste Lösung“, aber nur die sei realistisch, um zu verhindern, dass „Europa abgehängt“ werde. Dabei müssten Deutschland und Frankreich als „Avantgarde“ vorangehen.

Der Ex-Grünen-Politiker sieht China als „kommende Weltmacht“ aufsteigen, auch dank der Digitalisierung. „Wenn die Europäer nicht achtgeben, spielt sich das zwischen China und den USA ab – ohne uns.“ Das halte er für „hochgefährlich“, weil die Europäer in der technologischen Spitze nicht mehr ausreichend vertreten sein würden. „Unsere Besten werden weggekauft“, beklagte Fischer. Am Ende bleibe nur noch die Entscheidung, „ob wir Shenzhen in China bevorzugen oder Silicon Valley in den Vereinigten Staaten“.

In China dominiere ein „digital gestützter Leninismus“, der bis hin die Wirtschaft hineinwirke. Der Aufstieg des Landes innerhalb weniger Jahrzehnte zeige, dass es bei der chinesischen Führung „keinen Absturz in den Irrationalismus“ geben werde. „Sie haben sich sehr genau angeschaut, woran Japan und das Deutsche Reich gescheitert sind und auch die Sowjetunion gescheitert ist.“ Peking werde „eindeutig an einer nichtdemokratischen Struktur“ festhalten, betonte Fischer. Aber zugleich erscheine das chinesische Modell mehr und mehr reizvoll für andere Schwellenländer. Das könne zu einer Auseinandersetzung um Werte führen, sagte der Befürworter von Kriegen für Menschenrechte.

Russland als natürlicher Partner ignoriert - 

Europa habe eigene Potenziale, so der Ex-Minister, der ausdrücklich die Ukraine dabei mit einschloss. Dagegen spielt Russland als möglicher natürlicher Partner in seinem Buch keine Rolle, auch nicht die mehrfach von Moskau vorgebrachten Vorschläge für eine Wirtschaftsunionvon Wladiwostok bis Lissabon. Erst auf die Frage einer Journalistin äußerte er sich bei der Buchvorstellung dazu und meinte, Russland habe sich noch nicht strategisch entschieden, wo es hingehöre – „nach Ostasien, nein, in die südliche Nachbarschaft zum Islam, nein“. Aber Moskau wolle „dieses Europa“ nicht und verstehe es nicht. Ob er Russland versteht, bleibt zu fragen, beispielsweise wenn er dem russischen Präsidenten Wladimir Putin unterstellt, auf die breite Modernisierung des Landes verzichtet zu haben. Moskau wiederhole nun den Fehler der Sowjetunion und setze auf einen Rüstungswettlauf mit den USA, findet Fischer.

Er meinte, Europa müsse mit dem „schwierigen Nachbar“ Russland auskommen. Auf die Sputnik-Nachfrage zu den russischen Vorschlägen für eine Zusammenarbeit mit der EU, wie jüngst von Außenminister Sergej Lawrow in München, ging Fischer nicht ein. Dafür empörte er sich, Moskau unterstütze die neuen Nationalisten in Europa, die er zuvor als innere Gefahr beschrieben hatte, und lade sie zu Konferenzen in Moskau ein. Auf die Kritik bundesdeutscher Ex-Politiker und —Diplomaten wie Horst Teltschik und Frank Elbe an der westlichen Ignoranz gegenüber den russischen Angeboten hingewiesen, reagierte der Ex-Außenminister beleidigt und beleidigend: „Völliger Blödsinn. Die Namen, die Sie mir genannt haben, vor allem Elbe, disqualifizieren sich von selbst. Da kommen Sie bei mir gerade recht mit diesem Namen.“ 2004 hatte es zwischen Elbe, Ex-Mitarbeiter von Hans-Dietrich Genscher und dem damaligen grünen Außenminister Auseinandersetzungen gegeben, die zur Entlassung des Diplomaten aus dem aktiven Dienst führten.


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