Naher Osten: „Moskau bricht die Dominanz der USA“

  13 März 2018    Gelesen: 2005
Naher Osten: „Moskau bricht die Dominanz der USA“

Russlands Präsenz in Syrien ist langfristig angelegt, und die russischen Flugabwehrtruppen im Nahen Osten bedrohen die Dominanz der US-Luftstreitkräfte in der Region – zu diesen Schlussfolgerungen kam der Oberbefehlshaber des US-Zentralkommandos (CENTCOM) Joseph L. Votel. Was das Pentagon befürchtet, darüber schreibt die Onlinezeitung Gazeta.ru.

General Joseph L. Votel hat dem US-Kongress seine Einschätzung der Lage und Prognose für den Nahen und Mittleren Osten vorgelegt. Zunächst konzentrierte er sich auf die Erfolge der USA im Verantwortungsbereich des CENTCOM, eines teilstreitkraftübergreifenden Regionalkommandos der Streitkräfte der Vereinigten Staaten.

Ihm zufolge erreichten die US-geführte Koalition und insbesondere die irakischen Sicherheitskräfte ISF und die Demokratischen Kräfte Syriens (DKS) innerhalb der letzten drei Jahre einen bedeutenden Fortschritt, wobei die ehemaligen IS*-Hochburgen Mossul und Rakka befreit wurden. Jetzt werden mehr als 98 Prozent der Gebiete im Irak und in Syrien, die zuvor unter der Kontrolle des IS gestanden hatten, nicht mehr von Extremisten kontrolliert.

In Afghanistan schaffen die Handlungen der USA, die von der Koalition aus 39 Staaten unterstützt werden, Bedingungen für die Erhöhung der Kampffähigkeit der Kräfte der afghanischen nationalen Verteidigung und Sicherheit (ANDSF). Votel zufolge erzielte ANDSF in der letzten Zeit einen bedeutenden Fortschritt im Kampf gegen die Taliban und bei der Beseitigung der IS-Sicherheitszonen. Immer mehr Provinzen kommen unter Kontrolle der Regierungskräfte Afghanistans.

Allerdings bleiben weiterhin sehr viele Probleme im CENTCOM-Verantwortungsbereich, so Votel.

Dazu gehören der Terrorismus, andauernde bewaffnete Konflikte, eine riesengroße Flüchtlingszahl, Wirtschaftsflaute, Korruptheit, soziale Instabilität, Drohung der Anwendung von Raketen- und Atomwaffen, humanitäre Krisen und ein starker Einfluss auf die einheimische Bevölkerung radikaler islamistischer Ideologien.

Laut Votel besteht zwischen den zwei Atommächten Indien und Pakistan nachhaltige Spannung. Das verschlechtere die Instabilität in der Region.

Indes kämpfen Staaten mit zerstörter Infrastruktur – Jemen und Syrien – heute gegen riesengroße humanitäre Probleme.

Außerdem sei der israelisch-palästinensische Konflikt im Laufe von mehreren Generationen am Höhepunkt, so Votel.

Der Iran, Russland und China konkurrieren immer mehr in dieser strategisch wichtigen Region mit den USA und ihren Verbündeten fast in allen Bereichen, darunter im politischen, militärischen und wirtschaftlichen.

Laut dem General lösten viele Jahre der bewaffneten Konfrontation im Irak, in Syrien, Afghanistan und Jemen großangelegte humanitären Krisen aus, zerstörten Staatsgrenzen in der Region und schufen für den Iran und Russland Möglichkeiten zur Erweiterung ihres Einflusses im CENTCOM-Verantwortungsbereich.

Millionen Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten begaben sich in europäische Länder. Eine besonders schwere Lage bildete sich im Jemen, wo 80 Prozent der Bevölkerung an Hunger leiden und große Gebiete von einer Cholera-Epidemie erfasst sind, weshalb der Staat dringend humanitäre Hilfe braucht.

Die USA sind aber besonders wegen des Iran beunruhigt. Laut den Amerikanern zieht Teheran in den CENTCOM-Verantwortungsbereich ein, wobei er seine zahlreichen Anhänger und Verbündeten nutzt, darunter die libanesische Hisbollah, die in vielen Ländern vorgeht, und schiitische paramilitärische Bildungen in Syrien und im Irak. Zudem unterstützt der Iran die Handlungen der Huthis im Jemen.

Das verschlimmert den Bürgerkrieg im Jemen, bedroht Saudi-Arabien und die VAE, andere Länder der Region. Zudem könnte der Bürgerkrieg im Jemen sich in einen regionalen Konflikt verwandeln.

Laut Votel bleibt der Iran eine große Bedrohung für US-Interessen. Der Wettbewerb zwischen dem Iran und Saudi-Arabien um den Einfluss in der Region festige die Instabilität im ganzen Nahen Osten.

Der Iran arbeite auch über seine Einflussagenten in Syrien, im Irak und Libanon, um den Einflussbogen bzw. „schiitischen Halbmond“ über den ganzen Nahen Osten einzuführen. „Da vor uns heute sehr viele Probleme im CENTCOM-Verantwortungsbereich stehen, betrachten wir sie teilweise aus dem Blickwinkel der Senkung des negativen Einflusses Teherans“, so General Votel.

Allerdings hätten die USA auch stärkere Rivalen in der Region.

„Wir müssen auch mit Russland und China konkurrieren, weil sie um den Einfluss auf die Lage im Nahen und Mittleren Osten buhlen“, fügte Votel hinzu.

Russland verhindert die Dominanz
Votel zufolge kennzeichnete die Präsenz Russlands in Syrien Moskau als langfristigen Akteur in der Region. Der Kreml habe den Konflikt in diesem Land genutzt, um aussichtsreiche Waffen und Militärtechnik sowie eigene taktische Neuheiten zu prüfen.

Die Erhöhung der Zahl der Einheiten und russischen Flugabwehr-Raketentruppen in der Region bedrohe den freien Zugang der US-Luftstreitkräfte in den Luftraum der Länder der Region und ihre Herrschaft in der Luft, so der CENTCOM-Oberbefehlshaber.

„Der Luftraum eines jeweiligen Staates ist ein Element der staatlichen Souveränität. Die Amerikaner wollen im Nahen Osten so fliegen, wie sie wollen, ohne auf die Staatsgrenzen der jeweiligen Länder zu achten“, sagte der ehemalige Leiter des Hauptstabs der russischen Flugabwehrtruppen, Generaloberst Igor Malzew. „So etwas können wir nicht zulassen. Wir müssen unsere Verbündeten in der Region verteidigen.“

Was die in Syrien stationierten Flugabwehrsysteme betrifft, kennzeichnen sie sich durch hohe Kampfeigenschaften und lösen gerecht Befürchtungen bei der US-Seite aus.

Laut Votel spielt Moskau an der diplomatischen Front die Rolle eines Brandstifters und einer Feuerwehrmannschaft zugleich, indem es zunächst ein Konflikt in Syrien zwischen dem Regime, YPG-Einheiten und der Türkei entfache und dann die Rolle eines Schiedsrichters übernehme.

Dabei begann Russland die Militäroperation in Syrien erst deutlich nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in diesem Land.

Laut CENTCOM bereitet Moskau Hindernisse für die vom Westen initiierten diplomatischen Initiativen zur politischen Regelung in Syrien und Friedensprozesse in Afghanistan, indem man versucht, den zunehmenden US-Einfluss zu begrenzen.

Unterschiedliche Diplomatie
Votel gefallen zudem die Initiativen Moskaus zur friedlichen Syrien-Regelung in Astana und Sotschi nicht, weil das die auf der internationalen Ebene genehmigten Verhandlungen in Genf herabwürdige.

Moskau übertreibe die Bedrohungen, die mit der Tätigkeit des „Islamischen Staates“ verbunden seien, so CENTCOM. Nur die Kräfte der westlichen Koalition und afghanische Sicherheitskräfte kämpfen aktiv gegen IS-Einheiten in diesem Land. Russland versucht laut Votel die IS-Präsenz in Afghanistan als ein eindeutiges Scheitern der USA und der Nato darzustellen.

Russland versuche ferner, vielfältige Verbindungen mit dem Iran zu entwickeln. Moskau und Teheran seien zwar historisch gesehen Konkurrenten und hätten oft verschiedene Interessen, sie hätten aber einen gemeinsamen Wunsch, und zwar den US-Einfluss im Nahen und Mittleren Osten zu begrenzen, so der General.

Ihm zufolge versuchen Russland und der Iran ein hartes Regime in Syrien zu unterstützen, den militärischen Einfluss der USA im Irak und in Afghanistan einzuschränken und die alte strategische Partnerschaft der USA und der Türkei zu brechen.

Zugleich reiften die Widersprüche in den Beziehungen zwischen Washington und Ankara lange heran und seien in vielerlei Hinsicht nicht mit den Handlungen der Teilnehmer des Syrien-Konfliktes verbunden.

Moskau und Peking im Kampf um Asien
Im Bericht wird Russland unter anderem ein bedeutender Einfluss auf die wirtschaftliche und militärpolitische Lage in Zentralasien vorgeworfen, wo postsowjetische Staaten sich in vielerlei Hinsicht auf Moskau bei Wirtschafts- und Sicherheitsfragen stützen. Laut CENTCOM-Einschätzung bietet das zusätzliche Probleme für die USA, weil die Anstrengungen Russlands die Verpflichtungen der USA gegenüber den Ländern der Zentralasiatischen strategischen Region einschränken und Moskau zusätzliche Einflusshebel auf die Regierungen dieser Länder geben könnten.

Inzwischen hängen die Nato-Kräfte in Afghanistan stark von zentralasiatischen Partnern bei der Logistik-Unterstützung ab.

Votel machte ferner darauf aufmerksam, dass Russland seit 2014 seine eurasischen Anstrengungen zur Integration der Länder der Zentralasiatischen strategischen Region in einen gemeinsamen wirtschaftlichen und militärpolitischen Raum deutlich erhöht habe. Ihm zufolge will Moskau seinen dominierenden Einfluss in dieser wichtigen Region bestätigen.

Zugleich bestreitet China, das seine wirtschaftliche und militärische Stärke rasant erhöht, den Einfluss Russlands in der Wirtschaft und Sicherheit in Zentralasien. Die wachsende Stärke Pekings bereitet auch den USA Probleme in dieser Region.

„China will Gewinne aus regionalen Befürchtungen der Regierungen der Staaten der Region ziehen“, sagte der stellvertretende Direktor des russischen Zentrums für Analyse der Strategien und Technologien, Konstantin Makijenko.

Ihm zufolge spürt Peking, dass der US-Einfluss in Zentralasien abnimmt. Deswegen baut China den Umfang der Handelsoperationen aus, befasst sich mit Infrastrukturprojekten, übt Einfluss auf die Verteidigung und politische Beziehungen im Nahen und Mittleren Osten, in Zentral- und Südasien aus.

China ziele auf ein langfristiges, stabiles Wirtschaftswachstum ab, das seinen internationalen Einfluss und Zugang zu Energieressourcen sichere, so Makijenko. Diesen Zielen diene das Projekt der neuen Seidenstraße. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es das einzige umfassende multilaterale Projekt des 21. Jahrhunderts. Neben Wirtschaftsaussichten könnten die chinesischen Pläne zur Schaffung der neuen Seidenstraße die militärpolitische Lage Chinas bedeutend verbessern.

Diese Kombination von Infrastrukturprojekten bietet China Zugang zum Flughafen Gwadar in Pakistan, der in Zukunft den strategischen Einfluss Chinas im Indischen Ozean deutlich erhöhen wird.

Zudem schuf China vor Kurzem einen Militärstützpunkt in Dschibuti, der die Kontrolle der Meeresstraße Bab al-Mandab ermöglichen wird.

Peking behauptet, dass beide Häfen für humanitäre Operationen und Friedensförderung bestimmt seien, doch sowohl Gwadar als auch der Stützpunkt in Dschibuti ermöglichen China eine ständige Präsenz in der Region und den Einfluss auf strategisch wichtige globale Handels-Wasserwege.

Friedensvermittler im Nahen Osten
Laut Makijenko will China ebenfalls seine wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit mit dem Iran ausbauen. Die Aufhebung einiger Sanktionen eröffnete für den Iran die Möglichkeit, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) beizutreten, die sich mit politischen, wirtschaftlichen Fragen sowie Sicherheitsfragen in der Region befasst. Das werde zur weiteren Festigung der Verbindungen zwischen Teheran und Peking führen, so der Experte.

Zudem bezeichnet Peking seine Beziehungen zu den Golfstaaten als sehr wichtig für seine aktuellen Wirtschaftsbedürfnisse. Diese Staaten decken rund einen Drittel des Ölbedarfs Chinas. Katar liefert auch Gas an China.

Wie auch Russland will China ein Schiedsrichter in der Region sein, indem es zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu vermitteln vorschlägt. Peking will anscheinend die Hauptrolle bei der Verhinderung von Militärkonflikten in der Region spielen.

Laut dem US-Zentralkommando spielt Nordkorea eine relativ vorrangige Rolle in seinem Verantwortungsbereich, doch der potentielle Export von Raketen- und Atomtechnologien bleibt ein großes Problem für diese Region.

Im Laufe von mehreren Jahrzehnten stellte Nordkorea vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens Angaben zur Schaffung ballistischer Raketen bereit, darunter dem Iran und Syrien.

Pjöngjang exportiert auch billige Arbeitskräfte an verschiedene Nahostländer. Geldüberweisungen von diesen Arbeitern bilden eine bedeutende Einnahmequelle für Nordkorea. Inzwischen unternahm laut Votel das US-Außenministerium mehrmals Anstrengungen, um US-Verbündete davon zu überzeugen, diese Arbeiter in deren Heimat auszuliefern.

Zum Schluss betonte Votel, dass die USA die notwendige Präsenz in der Region beibehalten würden, um das Land selbst vor Terrorangriffen zu schützen, ein günstiges regionales Kräfteverhältnis beizubehalten und strategische Ziele und Interessen zu erreichen, die in der nationalen US-Strategie festgeschrieben seien.

Der General enthielt sich nicht der Komplimente an sich selbst und nannte CENTCOM ein Kommando von Weltniveau. Ihm zufolge sind im Zentralkommando derzeit mehr als 90.000 Soldaten, Matrosen, Flieger, Marineinfanteristen, Küstenschutz-Spezialisten und Zivilisten tätig.

Laut Votel ist CENTCOM eines der am aktivsten kämpfenden US-Kommandos, das bereit ist, alles zur Erfüllung der gestellten Aufgaben zu tun.

* Islamischer Staat, auch IS, eine in Russland verbotene Terrorvereinigung

sputniknews


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