Boris Johnson hat Russlands „Achillesferse“ gefunden

  24 März 2018    Gelesen: 827
Boris Johnson hat Russlands „Achillesferse“ gefunden

Der britische Außenminister, Boris Johnson, hat sich gegen die vollständige Einstellung der Beziehungen zu Russland ausgesprochen. Unter anderen Umständen könnte das wohl als Zeichen für seine Zurückhaltung oder für sein Interesse an einem konstruktiven Dialog mit Moskau trotz des so genannten „Falls Skripal“ betrachtet werden.

Das Problem ist jedoch, dass Johnson in Wahrheit nichts Konstruktives braucht. Seine Logik im Bezug auf die Relevanz der Aufrechterhaltung der russisch-britischen Beziehungen erklärte der britische Chefdiplomat sehr eindeutig:

„Aber das bedeutet nicht, dass alle Kontakte und das ganze Zusammenwirken eingestellt werden sollten, und ich sage Ihnen warum: Ich glaube, dass viele in Russland nichtsdestotrotz Großbritannien bewundern.“

Damit zeigte Johnson, wie das britische Establishment die Welt und auch Russland betrachtet. Kontakte zwischen einfachen Menschen, diplomatische Beziehungen, die Kooperation auf dem Niveau von Non-Profit-Organisationen, so genannte „Volksdiplomatie“, Kulturaustausch, gemeinsame Forschungen, Tourismus und so weiter sind für Großbritannien nichts als ein Mittel zur Erreichung von zwei Zielen. Erstens sollte es in Russland möglichst viele Menschen geben, die Großbritannien, seine Kultur, Politik und Lebensweise bewundern. Und zweitens sollten diese „England-Bewunderer“ das Instrument zur Verbreitung des britischen Einflusses werden.

Dieses Schema ist keine Verschwörungstheorie. Wer glaubt, dass die „Bewunderung“ einer fremden Zivilisation nicht zu einem politischen Instrument werden könnte, sollte daran denken, dass eine der größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts, der Zerfall der Sowjetunion, nicht deshalb passierte, weil die Sowjets nicht genug Raketen oder Panzer hatten. Die wichtigsten Gründe lagen zwar im Wirtschaftsbereich. Aber die Tatsache, dass die postsowjetische Gesellschaft den Weg der totalen Selbstzerstörung (statt der Selbstreformierung) eingeschlagen hat, lässt sich großteils auf den unbegründeten Glauben der Menschen zurückführen, „dass im Westen alles gut ist und man im Westen besser weiß, was zu tun ist“. Diese Überzeugung resultiert aus der äußerst effizienten Anwendung der so genannten „Soft Power“ durch die USA und Großbritannien. Russland hat auf diesem Gebiet bislang nur ganz wenig Erfahrung. Die schmerzhaften und sehr scharfen Reaktionen im Westen auf die Aktivitäten des Fernsehsenders RT und der Nachrichtenagentur Sputnik zeugen jedoch davon, wie wichtig für Moskaus Opponenten die „Soft Power“ ist und welche Schritte unternommen werden, um Russland bei der Förderung seiner „Soft Power“ zu behindern.
Bei den „Soft Power“-Instrumenten des Vereinigten Königreichs geht es nicht um Verschwörungstheorien oder um seine Geheimdienste und Politologen. Es reicht bereits die Lektüre des 150-seitigen Berichts des Sonderausschusses des britischen House of Lords zum Thema „Persuation and Power in the Modern World“ aus den Jahren 2013-2014. Das Dokument enthält eine detaillierte Beschreibung, auf welche Weise verschiedene Elemente der britischen „Soft Power“ kombiniert werden sollten, damit diese maximal effizient eingesetzt wird. Auffallend ist, dass als Beispiel der Verwendung der „Soft Power“ in Kombination mit der „Hard Power“ (sprich mit Militärgewalt) die Teilnahme der Briten an der Syrien-Krise angeführt wurde. Damit zeigten sie quasi, welchen Zustand die Opfer ihrer „Soft Power“ eventuell erreichen sollten.

In dem Bericht wurden folgende Instrumente der „Soft Power“ beschrieben: Diplomatie, humanitäre beziehungsweise Wohltätigkeitsprogramme, „britische Werte“, Handel mit Großbritannien, sein Image als sehr reiches Land, Tourismus, Bildungswesen, wissenschaftliche Kooperation, Englisch-Sprachkurse und sogar Sport. Ein besonderer Punkt zu „Kultur, Einfluss, Soft Power und Vertrauen“ thematsiert den British Council, diverse „kulturelle Veranstaltungen“ sowie die so genannte „kreative Industrie“ und somit alles, was mit Design, Branding, Werbung et cetera verbunden ist. Als das russische Außenministerium vor wenigen Tagen die Arbeit des British Council auf dem Territorium Russlands verbot, ging es nicht darum, dass die Russen „die Möglichkeiten für einen kulturellen Austausch und ein Englisch-Studium“ verlieren. Vielmehr ging es darum, dass London eines der wichtigsten Instrumente seiner „Soft Power“ verliert.

Erwähnenswert ist ein Abschnitt in dem genannten Bericht, der mit der von Johnson geäußerten Position übereinstimmt:

„Der globale Einfluss des Vereinigten Königreichs stützt sich auf seinen Ruf als Ort höchster Professionalität und Kreativität sowie auf seinen Status der globalen Führungskraft auf Gebieten wie Finanzwesen, Rechtswesen, Wissenschaft, Forschungen, Kunst und kreative Industrie.“ Dieser „Ruf als Führungskraft“, dieser „Ort höchster Professionalität und Kreativität“ ist im Grunde eben das, was viele Russen nach Auffassung Johnsons in Großbritannien bewundern.

Zu Russlands Glück tut er selbst vieles, damit die britische „Soft Power“ an Effektivität verliert und die Russen das Vereinigte Königreich nicht bewundern, sondern verachten. Man sollte die Wirksamkeit aber nicht überschätzen. Jedes Mal, wenn russische Internetnutzer in sozialen Netzwerken Beiträge von „populären Publizisten“ mit den Behauptungen verbreiten, in London würde die faktische „Hauptstadt der Welt“ liegen und dort würde die „aristokratische und allmächtige Elite“ leben, die russischen Politikern weit überlegen sei, sollte man an folgendes denken: Auf diese Weise wird in den Köpfen der Russen die Basis der britischen „Soft Power“ gebildet. Wenn russische Internetnutzer und Medien die Vorbereitung einer neuen Hochzeit im britischen Königshaus oder die Geburt eines weiteren Prinzen auf der Insel bewundern bedeutet das faktisch, dass die britische „Soft Power“ in den Köpfen der Russen „Fuß fasst“. Und dass es in vielen russischen Regionen mehr Fans von englischen Fußballvereinen als Fans von eigenen Mannschaften gibt, bedeutet nur eines: Die britische „Soft Power“ hat die russischen Sportfunktionäre klar besiegt. Dass es in Russland junge Menschen gibt, die sich für die politischen Ansichten des britischen Schauspielers und offensichtlichen Russland-Hassers Hugh Laurie interessieren und an den Sinn des Romans „Krieg und Frieden“ denken, weil sie die gleichnamige BBC-Serie gesehen haben, ist in Wahrheit ein großes Problem der russischen Kultur und des russischen Bildungswesens. Natürlich ist die Situation jetzt wesentlich besser als vor zehn oder 20 Jahren, aber trotzdem steht auf diesem Gebiet noch enorm viel Arbeit bevor.


Die beschriebenen Missstände bedeuten jedoch keineswegs, dass für ihre Bekämpfung „britischer“ Content in Russland zensiert geschweige denn verboten werden sollte. Im Grunde wäre das selbstmörderisch, da bekanntlich verbotene Früchte gut schmecken und die UdSSR viele schmerzhafte Nachteile der „Verbotspolitik“ bereits am eigenen Leibe spüren musste. Um der britischen „Soft Power“ erfolgreich zu widerstehen, muss Russland die Qualitätsstandards der eigenen „Soft Power“ erhöhen, damit diese zumindest auf dem russischen Markt effizient wird.

Angefangen bei Forschungs- und Bildungsprogrammen bis zu sportlichen Wettbewerben und der Filmkunst. Das ist eine schwere Aufgabe. Aber wenn Russland sie nicht löst, dann riskiert es das Eintreten von Boris Johnsons Behauptungen, was erniedrigend und in jeder Hinsicht bedauernswert für Russland wäre. Man sollte lieber die besten Momente der „Soft Power“ anderer Länder herauspicken, sie weiter verbessern und dann damit die ganze Welt überraschen und Russland bewundern lassen. Das wäre die beste Antwort auf jegliche Herausforderungen der antirussischen „Soft Power“.


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