Viktor Nadehin-Rajewski, Forscher des russischen Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen, meinte gegenüber Sputnik, Erdogan befürchte, dass seine Autorität bei den Wählern mit der Zeit schwinden könnte, und wolle deshalb die Wahlen früher stattfinden lassen als ursprünglich geplant. Erdogan wolle seine angestrebten Ziele sichern, und zwar den Umstieg auf ein präsidentielles Regierungssystem mit breiten Befugnissen für den Präsidenten.
Jelena Suponina, Expertin des Russischen Instituts für strategische Studien, sagte in einem Sputnik-Gespräch: „Das Vorrücken der türkischen Armee im Norden Syriens hätte laut Kalkül Erdogans und seiner Anhänger zu einem merklichen Anstieg seiner persönlichen Popularität und der Zustimmungswerte der Partei AKP führen sollen. Doch die jüngsten Meinungsumfragen ergaben keine drastische Zunahme.“
„Die Stimmung der türkischen Wähler wird derzeit nicht so sehr vom Syrien-Einsatz beeinflusst, sondern eher von Fragen der Wirtschaftsentwicklung, der Meinungsfreiheit und von weiteren inneren Faktoren. Vor diesem Hintergrund geht die Popularität Erdogans etwas zurück. Er ist sich über die möglichen Risiken im Klaren und hat beschlossen, das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, also die Wahlen bereits jetzt auszuschreiben, solange noch viele für ihn stimmen könnten“, so Suponina.
Dass die nächsten Präsidenten- und Parlamentswahlen nicht am 3. November 2019 wie bisher geplant, sondern bereits am 24. Juni 2018 stattfinden sollen, kündigte Erdogan in der laufenden Woche an. Nach den Wahlen sollen die im April 2017 verabschiedeten Verfassungsänderungen in Kraft treten, die einen Umstieg auf das Präsidialsystem vorsehen.
Alexander Gussew, Experte des russischen Europa-Instituts, sagte dem Radiosender BFM, Erdogan habe die Sozial- und Wirtschaftssituation in der Türkei gemeistert. Auch bei der Verhinderung neuer blutiger Terroranschläge im Land sei man im laufenden Jahr erfolgreich vorgegangen.
Zum Thema Außenpolitik wies Gussew auf die aktuelle Kooperation der Türkei mit Russland hin, insbesondere auf den Bau der Gaspipeline Turkish Stream durch das Schwarze Meer sowie die kürzlich gestartete Errichtung des ersten türkischen Atomkraftwerks Akkuyu unter russischer Federführung.
„Wie es mir scheint, hat Erdogan sich Gedanken gemacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass die Präsidentenwahl jetzt stattfinden sollte, da das Volk ihn unterstützt. Ich kann nicht umfassend urteilen, denn dort gibt es ziemlich viele Menschen, die gegenüber Erdogan skeptisch, neutral oder gar feindlich gestimmt sind, doch ich bin der Meinung, dass Erdogan im ersten Wahlgang mit mehr als 50 Prozent der Stimmen siegen wird“, prognostizierte Gussew.
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