Die US-Regierung droht im Nahen Osten eine weit größere Niederlage zu erleiden als bloß den Image-Verlust, weil die größte Militärmacht der Welt nicht in der Lage war, den IS zu besiegen.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat in aller Stille, aber mit großer Schnelligkeit und Konsequenz eine neue Allianz geformt, die sich im Nahen Osten zusammenschließen und ihre jeweiligen Interessen gegen jene der Amerikaner durchsetzen will.
Die Prawda meldet, dass Peking seine Zustimmung erteilt habe, die Russen beim Einsatz in Syrien zu unterstützen. Igor Morozow, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses Russlands sagte der Zeitung, China habe bereits ein erstes Kriegsschiff in das Mittelmeer entsandt und sei bereit, mit Militäreinheiten an die syrische Küste zu fahren, um die Russen zu unterstützen. Der Iran sei ebenfalls Teil der Allianz und werde sich im Kampf gegen den IS mit der Hisbollah beteiligen. Leonid Krukatow sagte der Zeitung, der Hauptkonflikt in der internationalen Politik verlaufe zwischen China und den USA. Russland sei bereit, mit beiden zusammenzuarbeiten. Die Entwicklung werde die Weltordnung auf Jahre hinaus grundlegend verändern.
Putin hat im Kampf gegen den IS mit der Gründung eines Informationszentrums bereits den Iran, Syrien und den Irak auf seine Seite gezogen. Die Staaten haben eine gemeinsame Basis zum Austausch von Informationen in der irakischen Hauptstadt Bagdad gegründet, berichtet die New York Times. Auch die dpa bestätigt die Einrichtung des gemeinsamen Zentrums der Geheimdienste.
Russischen Agenturen zufolge könnte die Einrichtung auch zur Koordination gemeinsamer Kampfeinsätze gegen den IS genutzt werden. Vertreter der Generalstäbe Russlands, Syriens, des Iraks und des Irans sollen die Lage analysieren. Die Leitung übernimmt Berichten zufolge zunächst der Irak. Die Führung soll alle drei Monate wechseln.
Die Regierung in Bagdad wird aktuell von den USA militärisch ausgerüstet. Doch die NYT berichtet, dass der Irak stillschweigend die Russen bei ihren Operationen in Syrien unterstützt habe – trotz Tausender Militär-Berater, die in Bagdad tätig sind.
Putin fischt bewusst in Gewässern, die bisher US-Domäne waren: Noch am Samstag beriet er mit dem saudischen König Salman über die Lage im Syrienkrieg, wie der Kreml mitteilte. Es war bereits das zweite Telefonat innerhalb von zwei Wochen mit dem König, dessen Reich militärisch eng mit den USA verbündet ist und zu den Hauptfinanciers der verschiedenen Kampf-Truppen zählt.
Saudi-Arabien führt einen eigenen Krieg gegen den Jemen, der aus eklatanten Verletzungen des Völkerrechts besteht. Die Zivilbevölkerung kann sich vor den saudischen Luftangriffen faktisch nicht schützen. Die territoriale Integrität des Jemen ist längst Geschichte. Proteste seitens der EU, die Russland genau dies in der Ukraine vorgeworfen hat, sind nicht bekannt.
Für die USA kommt diese Entwicklung offenkundig völlig überraschend: Sie haben in den vergangenen Wochen keine einheitliche Linie in der Außenpolitik verfolgt. Während US-Präsident Barack Obama mit Putin kooperieren will und ihn auch aufgefordert hatte, sich in Syrien zu engagieren, kämpfen die Neocons gegen die Einbindung Russlands.
Doch die Russen verfolgen im Nahen Osten einen viel weitergehenden Plan als nur einen Sieg über den IS: Sie wollen sich den Einfluss auf die Rohstoffe der Region sichern. Russland ist seit langem in Syrien engagiert, weil Syrien für Gazprom ein strategisch wichtiger Ort ist. Putin hat offenbar auf den Zeitpunkt gewartet, an dem Obama als „lame duck“ nur noch bedingt handlungsfähig ist. In den USA findet der Präsidentschaftswahlkampf faktisch alle wichtigen politischen Player. Putin will diese Situation ausnützen – nicht zuletzt, weil er wegen der aggressiven Haltung der USA in der Ukraine nicht mehr darauf vertrauen kann, dass das Verhältnis zwischen den beiden Großmächten in absehbarer Hinsicht wieder normalisiert werden kann. Die Nato-Aktivitäten im Norden Europas dürften Russland in der Überzeugung bestärkt haben, dass die Lage eine Vorwärtsverteidigung erfordert. Die Tatsache, dass Obama Russland einmal als „Regionalmacht“ lächerlich zu machen versuchte, dürfte indes keine große Rolle spielen: Entgegen der westlichen Lesart geht Putin äußerst rational vor, wie man auch aus einem Interview mit CBS erkennen kann (Video am Anfang des Artikels).
Für Europa könnte diese Entwicklung äußerst unerfreulich werden: Die massiven Militärschläge gegen den IS werden die Zivilbevölkerung massiv betreffen. Es wird weitere Vertreibungen und ethnische Säuberungen geben. Die Russen werden nichts dagegen unternehmen. Sie wissen, dass vor allem Deutschland mit seiner Ankündigung, alle Flüchtlinge aus der Krisenregion aufzunehmen, eine Tatsache geschaffen hat, die den Kriegsparteien die „Arbeit“ erleichtert.
Der Westen hat sich außerdem mit seiner Haltung in der Ukraine diskreditiert: Denn dort findet ebenfalls eine ethnische Säuberung statt. Die Aussage des von den Amerikanern inthronisierten Premiers Arseni Jazenjuk, dass Russen die Ukraine am besten verlassen sollten und die nachfolgende Vertreibung von Hundertttausenden ethnischen Russen aus der Ost-Ukraine geben Putin ein schlagendes Argument an die Hand: Er kann dem Westen vorhalten, selbst an ethnischen Säuberungen beteiligt zu sein – und daraus für sich ableiten, dass er freie Hand im Nahen Osten hat. Er sieht die EU als Rückzugsraum für die Vertriebenen.
Die nach oben offene Einladung der Kanzlerin und die deutsche Flüchtlingspolitik, die sich faktisch in ihr Schicksal ergeben hat, kommen für Putin wie gerufen. Er ist ein eisenharter Machtpolitiker, der davon überzeugt ist, dass man in einer Welt der globalen Bedrohungen nur mit eiserner Hand regieren könne. Und er findet mit dieser Politik immer neue Anhänger: Dieser Tage hat es das demokratische Indien Russland gleichgetan und beschlossen, ausländischen NGOs und Think Tanks des Landes zu verweisen, wenn der Verdacht auf politische Agitation besteht.
Putin kommt auch zugute, dass der Westen immer unkoordinierter gegen den IS vorgeht: Frankreich brüstet sich seit dem Wochenende damit, auch Luftangriffe gegen den IS zu fliegen. Die Briten sind militärisch engagiert, lassen aber keinerlei Willen erkennen, eine diplomatische Lösung herbeiführen zu wollen.
Die Lage ist auch für Israel äußerst bedrohlich: Der Iran hat auch nach der Unterzeichnung des Atom-Deals keine Gelegenheit ausgelassen, um zu verkünden, dass Israel vom Erdboden verschwinden müsse. Die Aufrüstung der Hisbollah, die vom Chef der Organisation Nasrallah bereits freudig begrüßt wurde, ist eine existentielle Bedrohung für Israel. Ob sich die Israelis und Russland über das Vorgehen verständigt haben, ist unklar. Premier Netanjahu war eigens nach Moskau gereist, um mit Putin über die Lage zu beraten. Die israelische Regierung fühlt sich von den USA verraten, weil Netanjahu bis zuletzt gegen den Iran-Deal polemisiert hatte. Ob der Mossad von der neuen Allianz bereits Kenntnis hatte, ist unbekannt.
Ebenso unbekannt ist, wie sich die USA verhalten werden. Es ist nicht auszuschließen, dass sie das Angebot Putins annehmen werden, um nicht von der Entwicklung überrollt zu werden. Eine Schlüsselrolle dürfte auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spielen: Er will die PKK zerschlagen und mit ihr auch nicht gewalttätige, kurdische Opposition. Seit Monaten bombardiert die Türkei Kurden-Stellungen in Syrien und im Irak – auch ohne die geringste Rücksichtnahme auf zivile Opfer. Das Schweigen des Westens dürfte Erdogan sich erkauft haben, indem er bis jetzt stillschweigende zwei Millionen Flüchtlinge in der Türkei toleriert. Doch auch das wird keine humanitäre Geste auf Dauer sei: Die Türkei hat Bulgarien bereits gewarnt, dass sieben Millionen Flüchtlinge in der Türkei nur darauf warteten, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Bulgarien hat dies der EU zur Kenntnis gebracht. Eine sichtbare Reaktion ist nicht erfolgt. Der EU-Kommissar Johannes Hahn hat der Türkei die baldige Visa-Freiheit in Aussicht gestellt. Es ist bekannt, dass in der Türkei massenweise falsche Reisedokumente kursieren.
Die neue Allianz, vor allem zwischen China und Russland, findet auch ihren Niederschlag in der engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit: Das Projekt Seidenstraße ist das größte Infrastruktur-Projekt der Gegenwart. Mit der neuen asiatischen Investitionsbank AIIB haben Chinesen und Russen einen Gegenspieler zum IWF geschaffen, dessen Ziel das Ende der Vorherrschaft des Dollars ist.
Im Nahen Osten könnte diese Strategie durch einen Angriff auf den Petro-Dollar ergänzt werden. Aus der Regionalmacht Russland würde dann ein ernsthafter, globaler Player.
US-Präsident Obama wird in der kommenden Woche mit der chinesischen Führung zusammentreffen. Im Vorfeld hatte die US-Regierung für China vor allem Drohungen parat. Die Chinesen werden sich die amerikanischen Ausführungen geduldig anhören. Sie wissen, dass sie mit einer Weltmacht sprechen, deren globales Monopol schon bald der Vergangenheit angehören könnte.
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