Julia Ebner: Ich würde sagen, das ist für beide ein Triumph, weil beide unsere demokratischen Strukturen und Werte, auf denen unsere europäischen Länder aufbauen, ins Wanken bringen wollen. Bei den Rechtsextremisten, die ja nachweislich Kontakte zu Orban pflegen, ist die Strategie offensichtlich. Aber auch für Dschihadisten ist sie bekannt. Es gibt ein Strategiehandbuch, das auch von Al Kaida veröffentlich wurde. Darin geht es darum, in den Gesellschaften derart zu polarisieren, dass sich der Westen am Ende von innen auffrisst. In dem Plan wird eine zunehmende Konfrontation zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen beschrieben, die in einem Endkampf im Jahr 2020 gipfeln werde.
Das Beispiel Orban könnte nahelegen, dass wir genau im Zeitplan liegen…
Genau. Nicht jede Stufe dieses Plans trifft exakt so zu, wie sie geplant wurde, aber wir haben uns in den vergangenen Jahren in die vorgesehene Richtung entwickelt. Islamistischer Terror soll zu politischen Überreaktionen führen. Drastischere Sicherheitsvorkehrungen und Einschränkungen der Freiheit sollen auch dazu führen, dass Muslime und Minderheiten ausgrenzt werden. Das soll sie empfänglicher für die Ideologie der Dschihadisten machen.
Sie befassen sich als Forscherin genau mit diesem Spannungsfeld zwischen rechtem und religiösem Extremismus. Sie beschreiben, wie sehr sich beide Seiten befeuern, aber auch wie ähnlich sie sich eigentlich sind.
Beide bedienen das Narrativ einer apokalyptischen Konfrontation der Rassen, Religionen oder Kulturen. Dabei stehen der Westen auf der einen und der Islam auf der anderen Seite. Beide wollen polarisieren und einen Keil in die Gesellschaft treiben. Beide setzten auf militante und subversive Techniken, um Überreaktionen auszulösen bei Politikern, Medien und der Zivilgesellschaft.
Bevor Sie in dieses Thema eingetaucht sind, haben Sie sich zunächst nur mit islamistischem Terrorismus befasst. Dabei haben Sie mit Aussteigern aus der Szene zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Ich habe meine Masterarbeit über Selbstmordattentäterinnen und Frauen im Terrorismus geschrieben und bin so zu einem Job bei Quilliam gekommen, einer Londoner Denkfabrik, in der viele Aussteiger arbeiten. Einer meiner Chefs war vor seinem Ausstieg auf internationaler Ebene einer der führenden Anwerber für Hizb ut-Tahrir, eine Gruppe, die auch in Deutschland verboten ist. Mein anderer Chef war der Gründer der Libyan Fighting Group und hatte sehr viel strategisch mit Osama bin Laden und Al-Kaida zusammengearbeitet.
Das waren Ihre Chefs?
Meine Kollegen und ich haben schnell ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Angst hatte ich nicht. Zu dem Zeitpunkt war es für sie schon viel zu spät, in ihr altes Leben zurückzukehren. Sie bekamen Todesdrohungen. Durch meine Kollegen hatte ich deutlich bessere Einblicke, wie islamistische Netzwerke funktionieren und hatte einen besonderen Zugang zu ihrer Literatur.
Wie kamen Sie von dort zum Rechtsextremismus?
Die britische Abgeordnete Jo Cox war ein großes Vorbild von mir. Sie wurde kurz vor dem Brexit-Referendum von einem Rechtsextremisten erstochen. Ich habe damals angefangen, mich in meiner Freizeit mit dem Rechtsextremismus zu beschäftigen und stellte fest, wie viel mich dabei an meine Erfahrungen vom Islamismus erinnerte und den Strategien, von denen mir die Aussteiger bei Quilliam berichteten. Ich fand es schade, dass beide Phänomene so isoliert betrachtet wurden.
In Ihrem Buch "Wut - Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen" schildern Sie, wie Sie sich verdeckt in die beiden Szenen eingeschlichen haben.
Ich bin zum Beispiel auf eine Veranstaltung von Hizb ut-Tahrir in London gegangen. Ich war als einzige Nicht-Muslimin da. Ich habe mich als naive Interessierte vorgestellt. Vorbereitet hatte ich mich in Chat Gruppen des IS.
Was konnten Sie herausfinden?
Mir ist vor allem aufgefallen, wie oft die Leute auf der Veranstaltung auf rechtspopulistische Politiker und Rechtsextremismus eingehen. Mir war komplett neu, welche Rolle das in den Opfer-Narrativen der Islamisten spielt. Es ging auch immer wieder um Diskriminierungserfahrungen muslimischer Frauen. Es ging um Erzählungen von Vergewaltigungen und Unterdrückung.
Und genau das fanden Sie auch bei den Rechtsextremen?
Ich war am selben Tag bei einer Demonstration der Englisch Defense League, einst die größte antimuslimische Straßenprotestbewegung Europas. Dort hab ich mich als österreichische FPÖ-Sympathisantin ausgegeben. Das Narrativ der bedrohten Frau war auch prominent. Auf beiden Veranstaltungen stieß ich auch auf die sehr puristische Idee, den eigenen Lebensraum von äußeren Einflüssen zu reinigen. Bei den Dschihadisten durch den Aufbau des Kalifats, bei den Rechtsextremen durch den Kampf gegen Migration.
Sie waren auch über Monate undercover unter Identitären unterwegs und trieben sich in IS-nahen Chat-Gruppen herum, um Parallelen aufzudecken. Wie war das für Sie, sich derart intensiv in diesen Kreisen zu bewegen?
Manchmal hat es meine Wahrnehmung total verzehrt. Dadurch, dass ich zum Teil meine gesamte Freizeit in diesen Gruppen verbracht habe, hatte ich selbst schon apokalyptische Vorstellungen von dieser Welt. Ich musste mich dann manchmal ganz bewusst davon distanzieren.
Auch wenn man sich als Wissenschaftler in diesen Bereich hineinbewegt, sind die Erzählungen so stark, dass das eigene Weltbild ins Wanken gerät?
Meine Einstellung ist nicht ins Wanken geraten, aber meine Hoffnung, dass der Radikalisierungsprozess reversibel ist, manchmal schon. Wenn ich zu viel Zeit in diesen ganz extremen Echokammern und Filterblasen verbracht habe, habe ich viel von meinem Optimismus eingebüßt.
Beide Seiten sind ja auch erschreckend erfolgreich. Woran liegt das?
Vor allem Überreaktionen nach Terroranschlägen spielen da eine Rolle. Es gab wenige politische Maßnahmen, die über Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen hinausgegangen wären. Gegen die Angst der Bürger half das nicht. Und so wurde ein Vakuum geschaffen, das sehr leicht Rechtsextreme füllen konnten mit ihren simplen Lösungen. Das hat wiederum dazu geführt, dass der politische Diskurs immer weiter nach rechts gerückt ist, und sich Muslime und Minderheiten immer mehr angegriffen gefühlt haben, was wiederum islamistische Netzwerke ausgenutzt haben.
In Deutschland wurde gerade wieder debattiert, ob der Islam zu Deutschland gehört und ob es nicht wichtig wäre, wieder mehr für "Einheimische" zu tun.
Horst Seehofers Aussage, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ist genau das, was Rechtsextreme und Dschihadisten bewirken wollen. Die Kampagnen der Rechtsextremen sind auch deshalb so erfolgreich, weil es zu wenig Mut auf politischer und gesellschaftlicher Ebene gibt, dagegen aufzustehen. Aber für Politiker ist das nicht einfach. Sie wählen oft nicht die strategisch sinnvollste, sondern die politisch interessanteste Option. Im Moment ist alles auf die direkte Reaktion auf Terroranschläge ausgelegt, weil es für die kurzfristige Außenwirkung wichtig ist. Es gibt wenig längerfristige Denkprozesse, die anerkennen, dass die Vision eines Krieges der Kulturen eine selbsterfüllende Prophezeiung werden könnte.
Ist Rechtsextremen und Islamisten eigentlich bewusst, dass sie einander ähneln?
Dass es zu expliziter Kooperation kommt, das ist vor allem zwischen Neonazi-Gruppen und islamistischen Gruppen so. Das hat tatsächlich eine historische Dimension. Ein Beispiel: Said Qutb, der islamistische Hauptideologe, der auch Al-Kaida inspiriert hat, wurde vom selben Biologen, Alexis Carrel, inspiriert wie das pro-faschistische Vichy-Regime in Frankreich. Gerade jetzt gab es auch einen aktuellen Fall. Es gab Ermittlungen wegen Terrorverdachts bei der rechtsextremen Gruppe "Nordadler". Einer der Verdächtigen fiel den Behörden auf, weil er Kontakte zu IS-Sympathisanten pflegte.
Die Parallelen sind also allen voll bewusst?
Nein. Vor allem bei Gruppen, die versucht haben, sich ein neues Image zu geben, sie nicht mehr so explizit auf den Nationalsozialismus beziehen, fehlt dieses Bewusstsein oft.
In Ihrem Buch schreiben Sie auch darüber, dass man Extremisten nicht entmenschlichen dürfe. Sie seien immer Menschen "mit guten und schlechten Eigenschaften." Wie wichtig ist diese Sichtweise, wenn es um Prävention geht?
Unglaublich wichtig. Vor allem bei Menschen, die sich der Sache noch nicht total verschrieben haben, kommt es darauf an, sich auf die menschliche Dimension zu konzentrieren. Bei meiner Arbeit mit Aussteigern ist mir erst so richtig bewusst geworden, wie facettenreich Menschen doch sind, wie stark sie sich wandeln können. Letztendlich ist jeder Radikalisierungsprozess reversibel. Denn es handelt sich nicht um einen biologischen, sondern einen psychologischen und sozialen Prozess, der immer rückgängig gemacht werden kann. Darauf sollten wir setzen.
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