Was lernen Studenten eigentlich an der Uni, wenn sie nicht hingehen?

  19 Dezember 2015    Gelesen: 817
Was lernen Studenten eigentlich an der Uni, wenn sie nicht hingehen?
Fast nichts, sagt der Eichstätter Journalistikprofessor Klaus Meier. Ohne akademischen Diskurs bleibe zu wenig hängen.
Neulich gab es an unserer Universität eine dieser Diskussionen per Rundmail. Studierende wiesen darauf hin, dass laut Kultusministerkonferenz ihre Anwesenheit in Lehrveranstaltungen nicht zum Erwerb von Kompetenzen gehört – und deshalb nicht überprüft werden darf. Ein Philosophieprofessor schrieb, dass ein Lernerfolg in seinen Vorlesungen nur durch Anwesenheit sichergestellt werden könne. Die Debatte griff ich in einem Facebook-Post auf. Es ist eine erbitterte Diskussion: Die Studierenden reagieren auf Anwesenheitspflicht allergisch, die Dozenten erachten das Studium ohne Anwesenheit als sinnlos.

Bei den Studierenden ist die Balance zwischen einer gesunden akademischen Freiheit und der Wertschätzung einer lebendigen Lehr-Lern-Gemeinschaft (mit naturgemäßer Pflicht zur Anwesenheit aus einer inneren Haltung heraus) aus den Fugen geraten.

Es ist absurd: Weil durch die Hochschulreformen die Abschlussprüfungen abgeschafft wurden, zählt jede Lehreinheit für die Gesamtnote, die Universität muss jedes Modul juristisch als Abschlussprüfung absichern. Die Prüfung jedoch darf sich nur auf die Kompetenzen der Studierenden beziehen. Und weil nur verlangt werden darf, was geprüft werden kann, darf man die Anwesenheit nicht einfordern. Wenn Professoren auf die Idee kommen sollten, dass Anwesenheit zum Kompetenzerwerb dazugehört, müssen sie dies – als große Ausnahme! – detailliert begründen und ständig prüfen.

Die Vorgaben der Kultusminister besagen also, dass Kompetenzen dem Menschen in vielfältiger Weise zufliegen, ohne dass es dazu Lehrveranstaltungen an Universitäten brauchte. Das Einzige, wofür die Universität offenbar noch gebraucht wird, ist die Prüfung dieser Kompetenzen. Das Primat der Prüfung bestimmt das universitäre Leben. Man mag nun einwenden, dass die Anwesenheit wegen des digitalen Wandels nicht mehr nötig sei. Aber digitale Wissensquellen diffundieren nicht automatisch in die Köpfe nicht anwesender Studierender. Der akademische Diskurs gehört zwingend zum Lernerfolg. Wozu brauchte man sonst wissenschaftliche Konferenzen und Symposien, zu denen sich Wissenschaftler weltweit regelmäßig treffen?

In meinem Fach, der Journalistik, trainieren wir nicht nur praktische journalistische Fähigkeiten, sondern diskutieren auch Theorien zu Ethik, Qualität und digitalem Wandel des Journalismus. Natürlich muss man da anwesend sein, sonst würde man allein vor sich hin anwenden und interpretieren – ohne gemeinsames praktisches Training und akademischen Diskurs ist der Lernerfolg gering.

Im neuen Universitätssystem sind wir mit dieser Art des Kompetenzerwerbs durch Anwesenheit ein Anachronismus – zum Glück noch geduldet aufgrund einer alten Prüfungsordnung. Künftig müssen wir den Kompetenzerwerb durch Anwesenheit permanent prüfen, was den akademischen Diskurs ad absurdum führt. Ein reiner Prüfungsdiskurs entsteht. "Prüferitis" – die neue Krankheit des Hochschulsystems – missachtet den Wesenskern von Universität, denn alle Kompetenzen, die man an einer Universität erwirbt, müssen justiziabel in Noten übersetzt werden. Die Wertschätzung der Lern- und Forschungsgemeinschaft am Ort Universität geht den Studierenden durch die Sozialisation im Prüfungssystem verloren. Früher gingen Studierende im Regelfall zur Universität, um ihren Horizont im Biotop der Wissenschaft zu erweitern – so haben sie den Wesenskern der Universität kennengelernt. Heute wird man so sozialisiert, dass man hingeht, um Prüfungen abzulegen und sich Bescheinigungen zu verdienen. Und was dazu nicht dient, ist abwegig – was nicht geprüft wird, ist wertlos.


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