Die chinesische Wirtschaft läuft offiziell wie ein Uhrwerk. Seit einigen Quartalen liegt das Wachstum jeweils zwischen 6,7 und 6,9 Prozent und damit genau im Rahmen der Vorhersage der chinesischen Regierung. Derartig stabile Zahlen sorgen für Verwunderung, liegen doch die Daten vieler anderer Länder manchmal unter und manchmal über den Prognosen der Volkswirte. Die chinesischen Daten schaffen aber praktisch immer eine Punktlandung und zeigen damit ein anhaltend robustes Wachstum.
"Dass sich die Konjunktur bereits in den vergangenen Monaten deutlich abkühlt haben dürfte, darauf deuten die Häuserpreise hin", sagt aber Carlo Alberto De Casa, Chef-Analyst beim britischen Broker Activtrades. "Sie sind im März in den 70 größten Städten um lediglich 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr geklettert." Das sie der niedrigste Anstieg seit März 2016 gewesen. "In Peking und Shanghai sind die Preise sogar gesunken", ergänzt De Casa.
Die Notenbank reagiert jedenfalls schon auf das sich eintrübende Umfeld und hat Ende April den Mindestreservesatz für einige Geldhäuser um stattliche 100 Basispunkte, was einem Prozentpunkt entspricht, gesenkt. Je niedriger der Satz ist, umso mehr Möglichkeiten haben die Banken bei der Kreditvergabe, wodurch die Wirtschaft angekurbelt werden soll.
Mit dieser Politik geht der neue Chef der Notenbank Yi Gang allerdings ein Risiko ein. Denn die niedrigeren Zinsen führen zu einer stärkeren Kreditnachfrage, wodurch wiederum der Schuldenberg der Chinesen, vor allem der Unternehmen, noch weiter ansteigt. Dabei haben die Firmen in den vergangenen Jahren bereits hohe Schulden aufgetürmt, ein schuldengetriebenes Wachstum ist wie in vielen anderen Regionen der Welt kaum mehr möglich. In China sind sie zudem besonders groß: Die Unternehmensschulden liegen aktuell bei 165 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im Vergleich dazu liegen die Schulden bei US-Firmen, die ebenfalls in den vergangenen Jahren massiv angestiegen sind, bei 72,2 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Risiken für die Finanzstabilität
Die sehr hohe Verschuldung engt den Handlungsspielraum der chinesischen Unternehmen in einer Krise ein. Schon eine moderate Konjunkturabkühlung dürfte sie unter Druck bringen. Doch nicht nur die gestiegenen Unternehmensschulden verschärfen das Verschuldungsproblem Chinas. Die Verbindlichkeiten der privaten Haushalte sind mit 48 Prozent der Wirtschaftsleistung zwar noch moderat, stiegen zuletzt aber um 15 Prozentpunkte.
Daher hat der IWF wiederholt vor der Schuldensause in China gewarnt, nicht nur bei den Unternehmen. Laut den Berechnungen der Experten sind die Verbindlichkeiten von Staat, privaten Haushalten und Unternehmen außerhalb des Finanzsektors Ende 2017 auf den Rekord von 282 Prozent der Wirtschaftsleistung gestiegen – Ende 2008 lag die Quote noch bei 158 Prozent. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist das Niveau um 54 Prozentpunkte geklettert, eine mehr als bedenkliche Entwicklung. Der IWF hat 43 Schulden-Booms untersucht, bei denen der Wert im gleichen Zeitraum um mehr als 30 Prozentpunkte zugelegt hatte. Das Ergebnis: Bis auf fünf Fälle endeten alle mit einer erheblichen Abschwächung des Wachstums oder gar einer Finanzkrise.
"Das Schuldenwachstum Chinas war stärker als das Wirtschaftswachstum. Die Schuldenquote liegt um 25 Prozentpunkte über dem langfristigen Trend, das ist nach internationalen Standards sehr hoch und deutet damit eine hohe Wahrscheinlichkeit für (bevorstehenden) Stress im Finanzsystem hin", schreiben die Analysten des IWF. "Die länderübergreifende Erfahrung deutet daraufhin, dass das Schuldenwachstum Chinas auf einem gefährlichen Weg ist, mit zunehmenden Risiken für eine (...) merkliche Abschwächung des Wirtschaftswachstums", warnt der IWF.
Aktienmarkt spürt die Krise bereits
Am Aktienmarkt ist diese Warnung möglicherweise bereits angekommen. So ist der Shanghai Shenzhen CSI 300 Index in die Nähe des tiefsten Niveaus seit September vergangenen Jahres gesunken. Gegenüber dem Mehr-Jahres-Hoch vom Januar steht damit ein Minus von 15 Prozent zu Buche. Sorge bereitet vielen Investoren auch der Handelsstreit zwischen den USA und China, womit sich die Perspektiven für die chinesische Wirtschaft weiter eintrüben könnten. Trotz des Umbaus der vergangenen Jahre in Richtung mehr Konsum ist die Wirtschaft weiterhin stark abhängig von den Exporten, gerade in die USA.
Zwar dürften die Daten zum Wirtschaftswachstum Chinas auch in den nächsten Quartalen eine Punktlandung schaffen. Allerdings deuten gerade die Entwicklung am Aktien- und Immobilienmarkt an, wie die tatsächliche Lage ist. Umso mehr könnte die Notenbank versuchen, mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik die Schuldensause am Laufen zu halten.
Quelle: n-tv.de
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