Haha, sie knutschen fast!

  01 Mai 2018    Gelesen: 1120
Haha, sie knutschen fast!

Kuschelähnliches Verhalten von Männern wird in unserer Gesellschaft entweder belacht oder übereifrig gegen jeden Homosexualitätsverdacht verteidigt. Bestes Beispiel: die Berichterstattung über Macron und Trump.

Fliegt ein Franzose nach Amerika und trifft dort einen Kollegen. Es gibt viel zu tun, beide haben sich einiges an Arbeit vorgenommen, wie immer bei solchen Treffen. Am Ende sprechen die Medien von einer "Kuscheltour" (Deutschlandfunk), einem "Kuschel-Gipfel" (Bild.de) und einer "Romanze" mit "Schmuserei": "öffentliche Umarmungen, Küsse, Getätschel zu jeder sich bietenden Gelegenheit" (Süddeutsche.de). SPIEGEL ONLINE stellt die "Szenen der Bromance" in einem Video zusammen. Der SPIEGEL schreibt von "Geturtel und Gekuschel" und stellt fest: "Es hat ja nicht viel gefehlt, und es wäre zum kapitalistischen Bruderkussgekommen!"

Aber nur ohne Zunge. Und auch nur fast. Denn im Großen und Ganzen haben Donald Trump und Emmanuel Macron eben doch, nach allem was man weiß, einfach gearbeitet. Aber alle drehen durch. Die "Bild" stellt fest: "Es wurde geherzt und gescherzt, gedrückt, umarmt, gekuschelt. Ja, es gab sogar ein Küsschen auf die Wange!" - was man allerdings bei Franzosen auch schon dann und wann mal gesehen hat.

Das Treffen zwischen Trump und Macron war beachtlich, so viel kann man festhalten. Der "Guardian" schrieb leicht irritiert: "Trump and Macron share an awkward handshake and a kiss", und der "Independent" fand, "Trump and Macron awkwardly touch each other".

Die beiden hatten viel körperlichen Kontakt, von dem man aber ausgehen kann, dass er nicht sexuell war. Beide Präsidenten sind als heterosexuell bekannt, beide hatten ihre Ehefrauen dabei, und auch wenn man sich bei Macron vorstellen kann, dass ein zweistelliger Prozentanteil der Weltbevölkerung ihm gerne einen blasen würde, so muss man mit aller journalistischen Sorgfalt davon ausgehen, dass bei diesem Treffen nichts dergleichen passiert ist.

Kein bisschen Machtverlust zulassen


Zumal es nicht nur das "Gekuschel" gab, sondern auch die anderen eigenartigen Szenen, etwa als Trump Macron ein paar Schuppen von der Schulter wischte oder ihn an der Hand nahm und hinter sich herzog, entweder wie ein Kind oder wie einen besoffenen Freund, aber kaum wie jemand, mit dem man irgendwie romantisch ist. Es ist nicht so kompliziert zu sehen, warum sowohl das Verhalten von Donald Trump als auch das von Emmanuel Macron einer politische Symbolik und Strategie entsprechen, in der es vor allem darum geht, kein kleinstes bisschen Machtverlust zuzulassen.

Macron und Trump haben sich nicht das erste Mal getroffen, und die Gesten zwischen beiden waren schon öfter Thema, vor knapp einem Jahr, am Rande eines Nato-Gipfels, bei dem Macron Trumps Hand lange nicht losließ. "Mein Händedruck mit ihm war nicht ohne Hintergedanken", sagte Macron damals. Ein paar Wochen später sagte Trump bei einem Parisbesuch zu und über Macrons Frau, sie sei "gut in Form" und "wunderschön" und ließ wiederum Emmanuel Macrons Hand, wie CNN zählte, ganze 29 Sekunden nicht los.

Es ist logisch, wenn Macron versucht anzuwenden, was er bisher über Trumps körperlichen Politikstil weiß, und es ist auch logisch, dass das Ganze etwas eigenartig aussehen kann, wenn Trump versucht, dabei mitzuhalten. Nur: Das ist alles kein Grund, das Verhältnis der beiden in sexualisierenden Begriffen wie "Romanze" zu beschreiben.

Es sagt aber viel über die Gesellschaft, in der das passiert. Denn kuschelähnliches Verhalten von heterosexuellen Männern muss dann entweder belustigt übertrieben werden - haha, sie knutschen fast! - oder mit Präzisionswaffen vor dem Verdacht der Homo- oder Bisexualität bewahrt werden.


Für Letzteres wurde der Begriff "Bromance" entwickelt, den die englische Wikipedia so definiert: "A bromance is a close but non-sexual relationship between two or more men." Man könnte auch einfach sagen: eine sehr enge Freundschaft. Aber weil aus Freundschaft, so viel weiß man, "auch mal mehr" werden kann, braucht man einen Begriff, der das Nichtsexuelle schon in sich einbetoniert hat, damit alle wissen: no homo.

Anstrengend. Wenn Homo- und Bisexualität als so normal betrachtet würden wie Heterosexualität, wüssten vielleicht ein paar Leute mehr, was Trump und Macron eigentlich inhaltlich besprochen haben. Bussi an alle!

spiegel


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