In zehn Tagen wählt der Irak ein neues Parlament. Mehr als 200 Parteien und 7000 Kandidaten treten am 12. Mai an. Einer der bekanntesten unter ihnen ist der Journalist Montazer al-Zaidi. Er sorgte im Dezember 2008 für internationales Aufsehen, als er bei einer Pressekonferenz in Bagdad den scheidenden US-Präsidenten George W. Bush mit zwei Schuhen bewarf.
Nun bewirbt sich Zaidi für einen Parlamentssitz in der irakischen Hauptstadt. Im Interview schildert der 39-Jährige, was ihm in den vergangenen zehn Jahren widerfahren ist und wie seine Vision für den Irak aussieht. Und Zaidi erklärt, ob er seinen Schuhwurf bereut.
SPIEGEL ONLINE: Herr Zaidi, vor fast zehn Jahren wurden Sie weltberühmt, als Sie bei einer Pressekonferenz in Bagdad den damaligen US-Präsidenten George W. Bush mit zwei Schuhen bewarfen. Was ist seither mit Ihnen passiert?
Zaidi: Direkt nach meiner Aktion wurde ich für neun Monate ins Gefängnis gesteckt. Als ich im September 2009 freikam, bin ich nach Genf gegangen und habe eine Organisation gegründet, die sich um Opfer der US-Besatzung im Irak kümmert. 2011 kehrte ich erstmals nach Bagdad zurück und wurde nach meiner Ankunft gleich wieder für drei Tage in den Knast gesteckt. Also ging ich nach Beirut. Da habe ich die vergangenen sieben Jahre gelebt. Erst vor einem Monat bin ich wieder dauerhaft nach Bagdad zurückgekehrt.
SPIEGEL ONLINE: Und jetzt kandidieren Sie direkt für die Parlamentswahlen am 12. Mai. Warum?
Zaidi: Weil es meinem Land viel schlechter geht als noch vor zehn Jahren. Eine Million Kinder leben auf der Straße und gehen nicht zur Schule. Ganze Städte verfallen. Die Sicherheitslage ist schlecht. Die Politik ist korrupt. Und unsere Regierung ist ein Spielball der Nachbarstaaten.
SPIEGEL ONLINE: Wen meinen Sie damit genau?
Zaidi: Iran und Saudi-Arabien. Vor allem Iran hat überall seine Finger im Spiel und immer das letzte Wort. Ich sehe es so: 2008 habe ich mit meinen Schuhwürfen auf George Bush gegen die amerikanische Besatzung des Irak protestiert. Heute kämpfe ich mit meiner Kandidatur gegen die iranische Einmischung im Irak.
SPIEGEL ONLINE: Sie lehnen die US-geführte Invasion im Irak 2003 noch immer scharf ab. Aber wäre Diktator Saddam Hussein heute noch im Amt, gäbe es überhaupt gar keine Wahlen und Sie könnten erst gar nicht kandidieren. Ist das nicht ein Widerspruch?
Zaidi: Nein. Die US-Invasion und die folgende Besatzung haben uns eine Million Tote gebracht, aber weder Freiheit noch Demokratie. Stattdessen haben wir heute lauter kleine Diktatoren in Ministerien, Moscheen, Schulen. Der Einfluss der Religion auf die Politik und die Gesellschaft ist Gift für unser Land. Wir brauchen einen säkularen Irak, in dem Platz für jeden Bürger ist, egal, ob Sunnit, Schiit, Christ, Jeside, Kurde, Turkmene.
SPIEGEL ONLINE: Aber die "Sairun-Koalition", für die Sie kandidieren, wird doch auch von Muqtada al-Sadr unterstützt, einem schiitischen Kleriker.
Zaidi: Das ist so nicht richtig. Sadr unterstützt einige Technokraten aus unserer Koalition, aber ich bin völlig unabhängig.
SPIEGEL ONLINE: Wenn Sie die Zeit zurückdrehen könnten: Würden Sie heute alles wieder genauso machen und George Bush mit Schuhen bewerfen?
Zaidi: Natürlich würde ich das wieder tun. Bush ist ein Verbrecher. Und ich träume noch immer davon, ihn eines Tages hinter Gitter zu bringen.
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