Belebendes Chaos

  01 Juni 2018    Gelesen: 930
Belebendes Chaos

Unter Mariano Rajoy war Spanien politisch erstarrt: Nichts ging mehr voran mit dem skandalumwitterten Konservativen. Sein Nachfolger, der Sozialist Pedro Sanchez, hat eine Chance verdient - und Europa muss vor ihm keine Angst haben.

Mariano Rajoy ist ein begnadeter Aussitzer. Nun hat der Konservative von der Volkspartei, der seit Ende 2011 die spanische Regierung führte, auch noch das Misstrauensvotum ausgesessen, das der Sozialist Pedro Sánchez gegen ihn anführte. Der PP-Chef bleibt vorest im Parlament zu Madrid - aber nun als Führer der stärksten Oppositionsfraktion. Denn 180 der 350 Abgeordneten haben ihn abgewählt und so Sánchez zum neuen Ministerpräsidenten gemacht.


Mit dem Sturz hatte wohl bis gestern kein Volksparteiminister, hatte auch Rajoy nicht gerechnet. Bislang unterstützten die liberale "Bürger"-Partei Ciudadanos und die Baskischen Nationalpartei PNV sein Minderheitenkabinett. Doch das unverantwortliche Aussitzen des Notars aus Galicien, selbst nachdem ein Gerichtsurteil ein System von Bestechung in seiner Partei für erwiesen erklärte, stimmte die Basken um.

Demokratie kann man nicht aussitzen

Nun beklagen die unterlegenen Konservativen und ihnen nahe stehende politische Kommentatoren, eine Koalition à la "Frankenstein" übernehme die Macht in Spanien und gefährde die Stabilität des Landes. Sánchez ist mit nur 84 Abgeordneten auf Unterstützung anderer Fraktionen angewiesen, will er Gesetze verabschieden. Den wirschaftsliberalen Basken hat der Hochschullehrer für Ökonomie deshalb zugesagt, er werde den Haushaltsplan für 2018, den sie gerade mit Rajoys PP und Ciudadanos verabschiedet hatten, nicht antasten. Den Linken von der Protestbewegung Podemos versprach Sánchez die Aufkündigung der am meisten verhassten Regeln der strengen Arbeitsmarktreform und des sogenannten Maulkorbgesetzes, mit dem Rajoy die Meinungsfreiheit eingeschränkt hatte. Und den Katalanen kündigte er Gespräche an, damit dort die Blockade nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum aufgebrochen wird, das Rajoy nicht durch rechtzeitiges Verhandeln verhindert hatte.

Es könnte selbst für den Meister der Flexibilität sehr schwierig werden, all diese unterschiedlichen Interessen zusammen zu bringen. Debatten könnten nötig werden, wie sie das spanische Parlament in den früheren Zeiten absoluter Mehrheiten der Volkspartei oder der Sozialisten nicht kannte. Statt den Gegner einfach abzuqualifizieren wird man künftig mit Argumenten um Einigung fechten müssen. Dass Sánchez dazu in der Lage ist, hat sein versöhnlicher Auftritt jetzt gezeigt.


Denn Demokratie kann man nicht aussitzen. Die Stabilität, die er vermeintlich garantierte, hat Rajoy verkommen lassen zur Erstarrung. Selbst in seiner Partei duldet er keinen Widerspruch. Bei ihm laufen alle Machtfäden zusammen, er ist mit Bankern auf Du und mit hohen Richtern. Doch seine Partei und er selbst, der in der PP seit mehr als drei Jahrzehnten führende Positionen inne hat, ist so schwer belastet mit Skandalen um Bestechung, dass selbst ein Fortbestand der konservativen Regierung nicht länger gesicherte politische Verhältnisse in Spanien garantiert hätte: In den kommenden Monaten werden in 30 weiteren Korruptionsprozessen Verurteilung von Konservativen erwartet.

spiegel


Tags:


Newsticker