Nach Vorlage des neuen Berichts der Bundesregierung zur Sicherheitslage in Afghanistan gibt es in der großen Koalition Streit über die Konsequenzen. Während CSU-Generalsekretär Markus Blume wieder mehr abgelehnte Asylbewerber in das Land abschieben will, warnt SPD-Vizechef Ralf Stegner vor übereilten Änderungen. Pro Asyl verlangt auf Grundlage des Berichts hingegen einen sofortigen Abschiebestopp.
Deutschland schiebt seit Dezember 2016 wieder nach Afghanistan ab. Das betrifft jedoch nur Menschen, die als Straftäter oder als Gefährder eingestuft sind oder die nach Einschätzung der Behörden etwa ihre Identität hartnäckig verschleiern.
Mit langer Verzögerung hatte das Auswärtige Amt den neuen Lagebericht vor wenigen Tagen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), den Verwaltungsgerichten und den Landesinnenbehörden zur Verfügung gestellt. Der Bericht dient den Behörden bei ihrer Entscheidung über Asylanträge und Abschiebungen von Afghanen als Informationsgrundlage.
Die Bundesregierung spricht in dem der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden Bericht von einer "weiterhin volatilen Sicherheitslage" in Afghanistan. Diese weise "starke regionale Unterschiede" auf. "Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist."
Neubewertung alter Entscheidungen?
CSU-Generalsekretär Blume forderte, der generelle Abschiebestopp nach Afghanistan müsse "auf den Prüfstand". Es gebe in Afghanistan "stabile Regionen", in die "abgelehnte Asylbewerber wieder zurückgeführt werden" könnten, sagte Blume der "Bild am Sonntag". "Wir können nicht immer über mehr Abschiebungen reden, aber dann die Hürden so hoch legen, dass sie nicht möglich sind."
Beim Koalitionspartner riefen Blumes Forderungen Widerspruch hervor. "Gerade bei der instabilen Lage in Afghanistan ist größte Vorsicht angebracht", sagte SPD-Vizechef Stegner der Zeitung. Für "hektische Änderungen der restriktiven Abschiebepraxis" sehe er keinen Anlass.
Die Organisation Pro Asyl bekräftigte ihre Forderung nach einem Abschiebestopp. "Wir müssen davon ausgehen, dass sowohl die ablehnenden Asylbescheide als auch die Abschiebungsentscheidungen aufgrund dieser Neubewertung der Lage haltlos sind", sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Er verlangte zudem eine Neubewertung der in den vergangenen Jahren abgelehnten Anträge afghanischer Asylsuchender.
Ablehnungsquote für Afghanen "rapide gestiegen"
Pro Asyl kritisiert, dass die Ablehnung afghanischer Asylsuchender in den letzten beiden Jahren "rapide gestiegen" sei. Dies werde in der Regel begründet mit dem Hinweis, Verfolgte hätten an einem anderen Ort in Afghanistan Schutz finden können. Diese Argumentation sieht die Menschenrechtsorganisation durch den neuen Bericht der Bundesregierung nicht gedeckt.
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Menschen hingen "maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab", heißt es in der Bewertung. Zudem sei besonders im Umfeld größerer Städte die "Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten" durch die "hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen". Reisen vor allem auf dem Landweg seien gefährlich.
Pro Asyl schlussfolgert daraus, dass es für eine Vielzahl der nach Deutschland geflohenen Afghanen keine Ausweichmöglichkeit gebe, weder in der Hauptstadt Kabul, "noch mangels sicherer Reisewege in der Herkunftsregion oder anderswo in Afghanistan".
Quelle: n-tv.de
Tags: