Militärische Faust oder zahmer Ex-Guerillero?

  17 Juni 2018    Gelesen: 1008
Militärische Faust oder zahmer Ex-Guerillero?

Gustavo Petro könnte der erste Linke seit 70 Jahren sein, der Kolumbiens Präsident wird. Beste Chancen in der Stichwahl hat jedoch Iván Duque. Der will mit harter Hand regieren und stellt den Farc-Frieden infrage.

Zwei Takte oder weniger reichen, und Iván Duque erkennt den Song. "Rock'n'Roll all Night" von Kiss. "Living on a Prayer" von Bon Jovi. "Satisfaction" von den Rolling Stones. Der kolumbianische Präsidentschaftskandidat sitzt im Studio einer Radiostation und soll Rock-Klassiker erraten, seine Frau ist auch da, eine Kamera läuft mit. So will der Moderator prüfen, ob der stramm konservative 41-Jährige auch für noch jüngere Erwachsene wählbar ist. Ob die Musikauswahl wohl dafür taugt? Wohl eher nicht. Aber damit, wie Duque sich schlägt: Er lächelt viel, ist umgänglich, ohne Ecken und Kanten; das freundliche Gesicht des Uribismus, benannt nach Ex-Staatschef Alvaro Uribe.

Wahlgegner des Konservativen ist Gustavo Petro, ein 58-jähriger Wirtschaftsexperte und die Hoffnung der gemäßigten Linken. Petro war Mitglied der linken Guerillagruppe M-19, die im Jahr 1985 das Verfassungsgerichtsgebäude in Bogotá blutig besetzte und der eine Zusammenarbeit mit dem berüchtigten Drogenboss Pablo Escobar nachgesagt wird. 1990 löste sich die Organisation auf. Danach sammelte Petro nur noch als Demokrat Erfahrung: Während Uribes Präsidentschaft war er Kongressabgeordneter und deckte Verbindungen Dutzender Abgeordneter mit Paramilitärs auf. Von 2011 bis 2014 war er Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá. Er gilt als progressiv, seine designierte Vizepräsidentin etwa ist Frauenrechtlerin.

Die Kolumbianer wählen heute ihr neues Staatsoberhaupt, und einer Umfragenanalyse von "El País" zufolge liegt die Wahrscheinlichkeit bei 80 Prozent, dass Duque die Stichwahl gewinnt. Er kommt demnach im Schnitt auf 51 Prozent Zustimmung, Petro auf 37 Prozent. Allerdings können Umfragen in Kolumbien trügen: Vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen legten eine ähnliche Analyse einen Sieg Petros nahe, aber er erhielt nur 25 Prozent und Duque 39 Prozent der Stimmen. Auch das Plebiszit über den Farc-Friedensvertrag schien für die Befürworter eine klare Sache zu sein, aber sie verloren hauchdünn.

Rechts oder links


Der Urnengang in Kolumbien ist eine klare Entweder-Oder-Entscheidung: Rechts oder links? Der Weg der Mitte, den Präsident Juan Manuel Santos beschritt und so den Farc-Frieden verhandelte, endet. Er durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Duque hätte nach einem Wahlsieg mehr Handlungsspielraum als Petro, denn der Kongress ist mehrheitlich in konservativer Hand. Neben dem Frieden gibt es noch weitere Themen, in denen sich die beiden Kandidaten unterscheiden: Der Umgang mit der Krise im Nachbarland Venezuela, der Anti-Drogen-Kampf und das richtige Wirtschaftsmodell für das Land.

Eine solche Auswahl ist für die Kolumbianer neu. Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs ist das politische Spektrum des Landes vor allem konservativ geprägt, einen linken Präsidenten gab es seit dem legendären Jorge Eliécer Gaitán nicht mehr. Dessen Ermordung hatte im Jahr 1948 den Bürgerkrieg entfacht, der wohl noch lange nicht beendet ist. In den Städten bestimmt er die politischen Diskussionen und in den ländlichen Gebieten den Alltag. Dort, wo die Farc früher aktiv war, haben nicht etwa staatliche Kräfte, sondern andere bewaffnete Gruppen das Machtvakuum gefüllt. Manche Guerilleros weigerten sich einfach, die Waffen niederzulegen und agieren nun unter anderen Namen.

Die Gegner des Farc-Friedens hatten sich um Uribe geschart, der für die Präsidentschaftswahl eigenhändig Duque als Kandidaten aussuchte. Der ist noch immer ein politisches Schwergewicht in dem südamerikanischen Land, einer der kompromisslosen Art. Mit militärisch eiserner Faust war er gegen die Farc-Guerilla vorgegangen und spricht sich auch heute noch gegen den Friedensvertrag aus. Duque ist sein politischer Schützling. Uribe wird mutmaßlich versuchen, so viel Einfluss wie möglich auf Duque zu nehmen, hat aber juristisch mit möglichen Verwicklungen in paramilitärische Massaker in den 1990er-Jahren zu kämpfen.

Duque auf Linie


Duque zeigt sich bislang größtenteils auf Linie, immer wieder kritisierte er das Friedensabkommen, er will etwa Anführer der Ex-Guerilla für ihre Drogengeschäfte härter belangen lassen und aus dem Kongress werfen. Kolumbianische Friedensforscher befürchten, dass ehemalige Farc-Kämpfer aus Angst vor Haftstrafen wieder an die Waffen und in den Dschungel zurückkehren. Dann würde sich der Bürgerkrieg wieder intensivieren. Petro hingegen will weiter auf Versöhnung setzen und auf Basis des Abkommens eine ganze Reihe von Reformen durchführen: bei der Landverteilung, im Bildungs-, Gesundheits- und Justizsystem.

Der Kampf gegen die Drogen ist ebenfalls ein Dauerthema, es beschäftigt Kolumbien schon seit Jahrzehnten. Erfolge sind trotz hohem militärischen Einsatz nicht nachhaltig. Die Anbaufläche der Kokapflanze, die Basis für Kokain, vergrößert sich seit dem Jahr 2012 stetig. Die Zahlen der US-Antidrogenbehörde DEA für 2017 sind noch nicht veröffentlicht, aber laut "El País" sollen es etwa 230.000 Hektar sein, was 900 Tonnen Kokain ergeben könnte. Dies wäre ein neuer Rekord. Mit den USA hat die kolumbianische Regierung vereinbart, die Fläche in den kommenden fünf Jahren um die Hälfte zu verringern. Dafür sollen mehr Einheiten zur Pflanzenvernichtung eingesetzt werden.

Wie der Kampf darüber hinaus geführt werden soll, darin sind sich die beiden Kandidaten nicht einig. Petro will ein Alternativprogramm zum militarisierten Kampf gegen die Drogenproduktion, etwa den Bauern mehr Land für legalen Anbau verschaffen und medizinische Betreuung für Drogenkonsumenten. Duque hat indes eine härtere Gangart angekündigt und schließt nicht aus, die Flugzeuge mit Pflanzenvernichtungsmitteln wieder aufsteigen zu lassen, um so Kokapflanzungen zu bekämpfen. Er will auch wieder jeglichen Drogenbesitz strafbar machen.

Diese Ankündigungen von Duque dürften Uribe zwar gefallen, aber wenn sein Kronprinz gewinnt, sollte er auf der Hut sein. Auch Juan Manuel Santos war Uribes Kandidat, der aber wandte sich nach seiner Wahl von ihm ab. Jahre später bekam Santos für seinen eigenen politischen Kurs den Friedensnobelpreis.

Quelle: n-tv.de


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