Presseschau zu Merkel und Macron

  20 Juni 2018    Gelesen: 1068
Presseschau zu Merkel und Macron

Während ihres gemeinsamen Treffens sichert Frankreichs Präsident der Bundeskanzlerin Rückendeckung in der Asylpolitik zu. Doch für seine Unterstützung muss die geschwächte Merkel viel einbüßen. Sie ist auf Europa angewiesen. Deutsche Kommentatoren analysieren.

Während ihres gemeinsamen Treffens sichert Frankreichs Präsident der Bundeskanzlerin Rückendeckung in der Asylpolitik zu. Doch für seine Unterstützung muss die geschwächte Merkel viel einbüßen. Sie ist auf Europa angewiesen. Deutsche Kommentatoren analysieren.

Ganz kurz und knapp bringt es der "Kölner Stadtanzeiger" auf den Punkt: "Die Zeiten, in denen Angela Merkel nach Brüssel fuhr und dort allen anderen ihren Willen aufzwang, sind vorbei. Sie ist zur Bittstellerin geworden. Das Publikum wird Zeuge eines atemberaubenden Autoritätsverfalls der Kanzlerin - in Deutschland wie in Europa."

Auch die "Frankfurter Allgemeine" stellt eine verdrehte Rollenaufteilung fest. "Unter solchen Umständen hat noch selten ein deutsch-französischer Ministerrat stattgefunden. Auf der einen Seite eine Bundeskanzlerin, die daheim massiv in Bedrängnisist - durch ein Ultimatum der Schwesterpartei in der Migrationsfrage und große Sorgen in ihrer eigenen Partei vor einer Transferunion in der EU." Auf der anderen Seite stehe ein französischer Präsident, der zu Hause über eine solide Machtbasis verfüge und sich in der Kohlschen Rolle des europäischen Baumeisters versuche. "Vor ein paar Jahren war es anders herum: Merkel konnte bei solchen Gelegenheiten als starke Anführerin auftreten, französische Politiker waren oft die Getriebenen der Ereignisse."

Auch die "Rheinpfalz" kommentierte den Kontrast beider EU-Länder. "Auch wenn das offiziell nie jemand so sagte, waren die Gewichte im deutsch-französischen Verhältnis in den vergangenen Jahren klar verteilt: Hier die wirtschaftlich starke und politisch stabile Bundesrepublik, dort das wirtschaftlich lahmende Frankreich, dessen politischem Führungspersonal es nicht gelang, dem an sich zweifelnden Land Zuversicht zu vermitteln. Aber innerhalb weniger Monate scheinen sich die Verhältnisse in weiten Teilen umgekehrt zu haben." Frankreich fasse ökonomisch wieder Tritt und habe mit Macron einen Präsidenten, der seinen Reformkurs unbeirrt und bisher erfolgreich durchziehe. "Welch ein Kontrast zu Deutschland,wo Angela Merkel einer Koalition vorsteht, die von Anfang an jede Aufbruchsstimmung vermissen ließ."

Für die "Neue Osnabrücker Zeitung" ist ein anderer Kontrast eher von Bedeutung - die gänzlich unterschiedlichen Kurse Merkels und Macrons. "Alle Küsschen-Fotos aus Meseberg können nicht darüber hinwegtäuschen: Angela Merkel und Emmanuel Macron liegen weit auseinander, wenn es um die Megathemen Asyl und Währungsunion geht. Beide Problemfelder haben das Zeug, die EU zu sprengen." Die Kanzlerin sei klar in der schwächeren Position. "In der Asylfrage setzt die CSU ihr die Pistole auf die Brust. Während Merkel weiter eine europäische Lösung herbeifantasiert, kann sie von ihrem Pariser Konterpart höchstens rhetorische Hilfe erwarten." Denn Macron fahre zu Hause einen härteren Kurs gegen illegale Einwanderung, als ihn sich die CSU vorstelle. "Sein Plädoyer für mehr Souveränität und Geschlossenheit in Europa ist ein Seitenhieb auf Merkel, die in der Migrationsfrage isoliert ist."

Politisch isoliert sieht auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" Kanzlerin Merkel. Die Zeiten, in denen eine Einigung zwischen Deutschland und Frankreich genüge, um etwas in der EU zu bewegen, sei lange vorbei, schreibt das Blatt. Viel zu unterschiedlich seien die politischen Einstellungen einzelner Länder. "Die gegensätzlichen Interessen sind bekannt. Im Norden Europas sträubt man sich gegen Transfers, im Osten gegen Flüchtlinge; im Süden ist man für Transfers, will aber keine Flüchtlinge zurücknehmen. Das alles berührt die nationalen Befindlichkeiten der europäischen Völker so tief, dass der klassische Brüsseler Kompromiss nicht mehr funktioniert, der die EU so lange am Laufen gehalten hat. Diesen gordischen Knoten in zwei Wochen zu durchschlagen, wäre ein Kunststück, das selbst politische Großmeister aus Bayern an die Grenze ihrer Staatskunst bringen würde."

Den neuen Antrieb Frankreichs und Deutschlands findet die "Mitteldeutsche Zeitung" nicht verkehrt - jedoch sieht sie keine schnelle Lösung des Konflikts. "Ohne Zweifel ist die Migrationspolitik auch jenseits des Streits zwischen den deutschen Schwesterparteien eine der wichtigsten Baustellen Europas. Wenn hier neue Dynamik entsteht, ist das an sich zu begrüßen. Nur sind schnelle Lösungen, wie Merkel sie jetzt braucht, nicht in Sicht. Merkel will jetzt Abkommen mit einigen wenigen EU-Staaten, die sicherstellen sollen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland einreisen." Die Kanzlerin sei den Partnern ausgeliefert. "Ihr Schicksal liegt auch in den Händen von Figuren wie dem rechtsradikalen italienischen Innenminister Matteo Salvini. Der träumt seit Jahren davon, es den Deutschen mal so richtig zu zeigen."

Die "Volksstimme" aus Magdeburg sieht Merkels Stellung zwar weniger dramatisch. Im Hinblick auf die europäische Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage müsse die Kanzlerin jedoch tief in die Tasche greifen. "Das grandiose europäische Reformwerk, das Emmanuel Macron vor einem dreiviertel Jahr in Paris entworfen hatte, ist zu einem nüchternen Maßnahmenkatalog geschrumpft." Die deutsche Seite habe die epochalen Visionen aus Frankreich vor allem zur "Meseberger Erklärung" zurechtgestutzt. "Immerhin: Angela Merkel erweist sich mitten im Ramba-Zamba mit der CSU als handlungsfähig - und das gemeinsam mit dem wichtigsten EU-Partner." Trotz intensiven französischen Werbens sei Berlin nicht von der Rolle als Sparschwein Europas abgerückt. "Beim für die Kanzlerin existenziellen Thema, der Flüchtlingspolitik, hatte Merkel Macron verbal an ihrer Seite." Anderthalb Wochen blieben Merkel noch, den bekannten Schwall von Absichtserklärungen tatsächlich mit europäischer Substanz zu füllen. "Sie wird viel Geld lockermachen müssen, damit Italien oder Griechenland bei ihren Rückführungsplänen mitmachen."

Quelle: n-tv.de


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