USA & Co. ohne Interesse an souveränem Irak – Durch Krieg gegen IS massiv zerstört

  28 Juni 2018    Gelesen: 686
USA & Co. ohne Interesse an souveränem Irak – Durch Krieg gegen IS massiv zerstört

Die Lage im Irak ist nach dem Krieg gegen den Islamischen Staat* trostloser als vorher. So schätzt es der Friedensaktivist Joachim Guilliard ein. Bei einem Vortrag am Samstag in Berlin hat er einen Überblick über die Lage im Land gegeben. Er kritisiert die westliche Politik, die aus seiner Sicht nur an einem schwachen Irak interessiert ist.

Joachim Guilliard befasst sich seit langem mit dem Nahen und Mittleren Osten, schwerpunktmäßig mit dem Irak. Er ist Verfasser zahlreicher Fachartikel sowie Mitherausgeber bzw. —autor mehrerer Bücher über die von Kriegen betroffenen Länder der Region. Guilliard hat Physik studiert, arbeitet hauptberuflich als IT-Berater und ist in der Friedensbewegung aktiv. Seit 2009 betreibt er den Blog „Nachgetragen“.

Am Samstag hielt er im „Marx Engels Zentrum“ Berlin einen Vortrag zum Thema „Der Irak: Krieg, Besetzung, Widerstand – Zur heutigen Lage des geschundenen Landes“. Sputnik nutzte die Gelegenheit, mit Guilliard zu sprechen.

Herr Guilliard, wie sieht die Lage im Irak aktuell aus?

Hier im Lande hat man zwar den Eindruck, dort wäre wieder Normalität eingekehrt, nachdem vor einem halben Jahr der Sieg über den Islamischen Staat verkündet worden ist. Tatsächlich ist die Situation im Land schlimmer als vor dem Einmarsch der dschihadistischen Kräfte. Das Land ist tiefer gespalten als zuvor, gerade durch diesen Krieg gegen den IS, der eine ganze Reihe von Städten und am Ende die Metropole Mossul zerstört hat. Der Konflikt mit den Kurden hat sich auch eher verschärft. Und sonst hat sich an den schlechten sozialen Bedingungen in dieser Zeit nichts geändert. Im Gegenteil: Die Schäden, die so ein Krieg anrichtet, kommen dazu. So eine Kriegssituation ist natürlich nicht dazu angetan, dass es in irgendeiner Form eine Entwicklung gibt – vor allen Dingen nicht in einem Land wie Irak, das so tief korrupt ist und wo die Verwaltung so unfähig ist. Die konnte bisher nicht die Basisdienstleistungen wiederherstellen. Jetzt sind sie mit dem Wiederaufbau der zerstörten Städte konfrontiert. Man kann davon ausgehen, dass da so schnell nichts passieren wird.

Das klingt danach, dass die Schäden des Krieges gegen den Islamischen Saat, geführt auch von der westlich dominierten Koalition, sogar stärker und größer sind als die nach dem US-Einmarsch 2003. Wie lässt sich das einschätzen?

Größer als damals wahrscheinlich nicht, es konzentriert sich in den betroffenen Regionen. Falludschah ist auch 2004 schon mal fast vollständig zerstört worden. Jetzt ein zweites Mal. Es wurde halbwegs wiederaufgebaut. Aber gerade so etwas wie Mossul: Das war sicherlich bisher mit Abstand die verheerendste Schlacht, die da geschlagen wurde. Das wurde auch von US-Kommandeuren als eine der tödlichsten urbanen Schlachten seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Das war sicherlich fast zerstörerischer als bei der Invasion.

Nun gab es gerade Wahlen im Irak. Das klingt nach Demokratie. Wie ist das einzuschätzen? Wie sind die siegreichen Kräfte, die Al-Sadr-Milizen, die jetzt gemeinsam mit der Kommunistischen Partei des Irak zumindest versuchen, regieren zu wollen, einzuschätzen?

Man muss sich einfach mal vorstellen: Wie sollen wirklich demokratische Wahlen in so einem Umfeld stattfinden? Ich habe diese Zerstörungen im Norden und Westen angesprochen. Wir haben immer noch zwei Millionen Binnenvertriebene durch diesen Feldzug, die natürlich Schwierigkeiten haben, überhaupt zu wählen. Aber auch sonst: Es kann natürlich kein richtiger Wahlkampf stattfinden. Das Land ist geprägt – im politischen  Bereich, muss man sagen, nicht im gesellschaftlichen – durch diese Aufteilung nach Konfessionen und Volkszugehörigkeit. Wahllisten bestehen im Großen und Ganzen dann aus Gruppen, die entweder schiitisch, kurdisch oder sunnitisch zugeordnet sind. Wie soll in so einem Umfeld eine wirklich demokratische Wahl stattfinden?

Dazu kommt, dass irakische Wahlen aufgrund der schwachen, korrupten Strukturen natürlich immer geprägt waren von massiven Manipulationen. Das hat sich diesmal wieder gezeigt. Die Stimmen mussten komplett noch einmal neuausgezählt werden, weil so starke Unregelmäßigkeiten festgestellt worden sind. Aus allen Ecken gibt es massive Vorwürfe gezielter Manipulationen – bis dahin, dass Urnen aufgefüllt wurden mit gefälschten Wahlzetteln und so weiter. Demokratisch ist da sicherlich nicht viel.

Trotzdem hat die Wahl auch einen positiven Aspekt, weil eine Liste gewonnen hat, eine säkular orientierte, gegen das Establishment gerichtete Liste: ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung, kommunistischer Partei und anderen linken, liberalen Kräften. Insgesamt ist die Wahlbeteiligung um ein Viertel eingebrochen, was zeigt, dass immer mehr Iraker sehr unzufrieden mit diesem Regime sind und auch wenig Hoffnung haben, durch Wahlen etwas zu ändern. Aber dieses Bündnis hat sogar 300.000 Stimmen mehr gekriegt als sie vorher hatten. Es letztlich ein Bündnis, das aus einer starken Protestbewegung hervorgegangen ist, das seit 2015 immer aktiv ist, das mit Hunderttausenden auf der Straße ist und tatsächlich auch als eines der Hauptziele die Überwindung dieser Spaltung hat, den Kampf gegen Korruption. Das ist ein positives Zeichen. Aber eher in der Hinsicht, dass man sieht, in der Bevölkerung gibt es starke Kräfte, die so eine Richtung unterstützen.

Im Irak gibt es Kräfte, mit denen man eigentlich auch im Westen mehr erreichen könnte. Aber bisher war es so, dass es da kein Interesse gab. Man hat früher die Protestbewegungen nicht unterstützt und jetzt ist man eher erschrocken, dass sozusagen die Falschen rankamen. Man wollte eher mit dem alten Premierminister weitermachen. Von daher glaube ich, dass es keine Unterstützung gibt, unter diesen Umständen, weil sie zwar gewonnen, aber nur ein Sechstel der Parlamentssitze erreicht haben. Das heißt, sie werden in jeder Koalition, falls sie eine anführen, nur ein Drittel der Stimmen haben, sind angewiesen auf Parteien aus dem Establishment. Das engt den Spielraum natürlich sehr stark ein.

Wie ist die Rolle der westlichen Staaten und der westlichen Politik, der USA, aber auch der Bundesrepublik, heute im Irak zu verstehen und einzuordnen?

Wenn man das auf den Punkt bringt: Dieser ganze Feldzug, so wie er gegen den Islamischen Staat geführt worden ist, ist, hat eine schiitisch dominierte Regierung unterstützt. Die ist in diesem Feldzug nicht nur gegen den Islamischen Staat vorgegangen. Sondern der wurde so geführt, dass er ihre ganzen sunnitischen Gegner auch getroffen hat. Wenn man sich die Verwüstung anschaut, kann man nur zum Schluss kommen, es ging auch darum, die sunnitische Bewegung, die sich immer wieder gegen das von den USA letztlich eingeführte Regime gewehrt hat, praktisch für eine ganze Weile oder ein für alle Mal zu schwächen. Das wurde von den USA und den europäischen Staaten, auch Deutschland, mitgetragen.

Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass es den westlichen Staaten darum geht, eine „Teile-und-Herrsche“-Politik gegen den Irak fortzusetzen. Dass es darum geht, dass ein Wiedererstarken eines souveränen Iraks,  als eigenständigen und an eigenen Interessen orientierten Staates verhindert wird. Man hat damals Krieg gegen Irak geführt – da ging es um die Dominanz über die Region. Dieses Ziel hat man nicht aufgegeben. Irak war damals eine Regionalmacht. Es ist gelungen, ihn quasi auszuschalten. Gut, jetzt steht der Iran natürlich auf dem Programm. Aber den Irak möchte man auf jeden Fall auf dem jetzigen Status halten.

Das hat auch noch einen anderen Vorteil. Es klingt zwar seltsam, dass ein nicht funktionierender Staat Vorteile bringt. Aber in solchen Ländern wie dem Irak bietet es den Konzernen, die dort arbeiten, vor allem den Ölkonzernen, sehr große Freiheiten. Sie werden kaum kontrolliert, sie werden kontrolliert von sehr korrupten staatlichen Strukturen, zum Beispiel bei den Ölquellen. Sie können letztlich relativ frei bestimmen, wie und wieviel sie produzieren. Es ist schwer zu kontrollieren vom irakischen Staat, ob er da nicht über den Tisch gezogen wird bei der Abrechnung am Ende.

sputniknews


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