Senegal ist das Opfer des Fifa-Dilemmas

  29 Juni 2018    Gelesen: 1347
Senegal ist das Opfer des Fifa-Dilemmas

Erstmals in der Geschichte der Fußball-WM entscheidet die Fairplay-Regelung über den Einzug eines Teams ins Achtelfinale. Japan jubelt, Senegal trauert. Die Premiere der Wertung hat sich als ein unfaires Werkzeug der Fifa erwiesen.

Aliou Cissé äußerte sich überraschend gefasst. "Senegal ist nicht weiter, weil es Senegal nicht verdient hat", sagte der Mannschaftstrainer nach dem bitteren Vorrunden-Aus bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. "Das sind die Regeln des Spiels", sagte Cissé und meinte damit die Fairplay-Wertung, die dem Achtelfinaleinzug der "Löwen von Teranga" entgegenstand. Der letzte Spieltag der WM-Vorrunde hat gezeigt, wie unfair diese Fairplay-Wertung sein kann. Mit vier Punkten und 4:4 Toren in der Vorrunde hatte sich Senegal nämlich eigentlich eine recht ordentliche Ausgangslage erarbeitet, um als letztes verbleibendes Team aus Afrika ins Achtelfinale einzuziehen. Stattdessen ist das Japan geglückt (im wahrsten Wortsinn), das nun am Montag (20 Uhr bei ZDF und im n-tv.de Liveticker) auf Belgien trifft.

Durch seinen 1:0-Sieg über Senegal im letzten Vorrundenspiel hatte sich Kolumbien als erster der Gruppe H für die Runde der letzten 16 qualifiziert. Für die Afrikaner hingegen entwickelte sich die Partie zum Drama von Samara. Da half es wenig, dass Jan Bednarek im Parallelspiel von Wolgograd seine Polen zum späteren 1:0-Sieg gegen Japan schoss. Senegal und Japan hatten dadurch exakt die gleiche Tor- und Punkteausbeute. Da sich beide Teams im direkten Duell am zweiten Spieltag 2:2 trennten, musste die Fifa nach den Regeln des International Football Association Board (Ifab) schließlich die Fairplay-Wertung bemühen - zum ersten Mal in der Geschichte der Fußball-WM. Und dort sind bei den Senegalesen mit sechs Gelben Karten zwei mehr aufgelistet als bei den Japanern. Deshalb jubeln am Ende die Asiaten, Senegal trauert. So weit, so bürokratisch.

Polen als japanische Steigbügelhalter

Das Problem: Was zunächst als sportlich und fair erscheint, erweist sich in diesem Fall der Gruppe H zu großen Teilen als das Gegenteil. Denn sobald die Japaner vom Zwischenstand in Samara erfahren hatten, schienen sie plötzlich mit Lähmungen zu kämpfen. In der Schlussviertelstunde beschränkte sich das Team auf Sicherheitspässe im Mittelfeld. Auch die Polen hatten fortan wenig Offensivdrang. Das Team um Robert Lewandowski gefiel sich nach erfolgreich vollendetem Torabschluss augenscheinlich in der Rolle des japanischen Steigbügelhalters. Ein solches Verhalten hat wenig mit dem Gedanken von Fair Play zu tun.

Bei aller Aufregung über das Ballgeschiebe ist aber auch Anerkennung für die Japaner angebracht: Die Mannschaft von Kapitän und Frankfurt-Spieler Makoto Hasebe hat bei dieser WM bislang nur 28 Fouls begangen - so wenige wie kein anderes Team. Eine Statistik zu ethischen Vergehen gibt es nicht. Und so ist nicht zu verhehlen, dass der Zwei-Karten-Fall ein Dilemma der Fifa aufzeigt.

Schiedsrichtern sind die Hände gebunden
Ist die Anwendung der Fairplay-Regelung wie im aktuellen Beispiel absehbar, rückt das Fairplay offenbar in den Hintergrund. Mehr noch: Es wird wahrscheinlicher, dass die Spieler das Fairplay-Ansinnen ad absurdum führen. Wenn es um bedeutende Momente wie den Einzug in die K.o.-Runde geht, wird es mit der Fairness nicht mehr allzu genau genommen.

Das Dilemma offenbart sich auch mit Blick auf die Schiedsrichter. Manche meinen, dass Referee Janny Sikazwe aus Sambia die japanischen Ballschieber wegen unsportlichen Verhaltens mit Gelb hätte bestrafen sollen - deren Fairplay-Plus wäre dann geschmolzen. Doch ganz so einfach ist es laut n-tv.de-Schiedsrichter-Experte Alex Feuerherdt nicht: "Man kann eine Mannschaft nicht dazu zwingen anzugreifen", erklärt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Den Schiedsrichtern seien insoweit die Hände gebunden, als dass sie sich nun mal an das Regelwerk halten müssen. Zwar definiert die Fifa in ihrer Regel 12, wann genau sich ein Spieler "gegenüber dem Spiel respektlos verhält", doch von Zeitschinderei im Sinne von Nichtangriffspakten ist dabei keine Rede.

Das einheitliche Regelwerk ändert zudem nichts daran, dass Gelb-Entscheidungen subjektiv gefällt werden. Jeder Schiedsrichter geht mit seiner ganz persönlichen Linie in ein Spiel und verwarnt Spieler möglicherweise schneller als seine Kollegen. Dass derlei subjektive Entscheidungen ausschlaggebend für den Turnierverlauf sein können, ist keineswegs gerecht.

Allein, an adäquaten Alternativen zur Fairplay-Regelung mangelt es. Diese Vorrunde der WM hat aber gezeigt, dass Gelbe Karten sorgfältiger geprüft werden müssen. Soll heißen: Wegen der später außerordentlichen Bedeutung der Verwarnungen könnte der Videoassistent auch solche Entscheidungen noch einmal überprüfen. Feuerherdt favorisiert derweil sogar den Losentscheid als Alternative, "weil es unwürdige Szenen wie gestern verhindert. Und weil es absurd ist, dass eine Mannschaft darauf hoffen muss, dass der Konkurrent sich eine Rote Karte einfängt." Bis zum nächsten großen Turnier hat die Fifa nun Zeit, ihre Qualifikationsregelungen für die K.o.-Phase nachzubessern. Im Sinne der Fairness ist das jedenfalls nötig.

Quelle: n-tv.de


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