Wenn Autokäufer sich für ein Fahrzeug begeistern, dann liegt es in erster Linie am Design. Mit Formen und Farben werden Emotionen geweckt, Wünsche angesprochen und im besten Fall die eigene Individualität unterstrichen. Kaum eine Marke hat das in den letzten zehn Jahren so konsequenter vollzogen wie Mercedes. Unter der Ägide von Chefdesigner Gorden Wagener wurde aus einer hausbackenen Onkeligkeit eine luxuriöse Dynamik. Wagener spannte den Bogen zwischen "heiß und kalt" und ließ die Sicken, also die Kanten aus dem Blech verschwinden. Seine prinzipielle Ausrichtung orientierte sich am zeitlos schönen SL 300, jenem legendären Flügeltürer aus den 1950er-Jahren.
Die Brücke zwischen den Marken
Es würde aber zu kurz greifen, würde man Wagener und die Arbeit seiner Designer auf Obengenanntes reduzieren. Müssen sie doch inzwischen eine Brücke zwischen den Submarken AMG, Maybach, Mercedes und EQ schlagen. Jeder Markenteil soll eigenständig und als solcher erkennbar sein, dennoch aber immer unter dem Stern subsumiert werden können. Dafür werden den einzelnen Segmenten Attribute zugeordnet, denen aber immer eines angestellt wird: Luxus! So firmiert AMG unter Performance Luxury, Maybach ist Ultimate Luxury, Mercedes präsentiert sich als Modern Luxury und die Elektromarke EQ als Progressive Luxury.
Übertragen auf das Äußere heißt das für AMG in der ausgeprägtesten Form: Panamericana-Grill mit 15 senkrechten Streben, Frontschürze im Jet-Wing-Design, Spoiler, Lamellen in den Lufteinlässen am Heck und ein dominanter Heckdiffusor. Zudem reduziert sich der Anteil an Chromelementen zugunsten von Carbon und im Innenraum spannt sich eine Mittelkonsole im Design eines V8-Triebwerks. Dass sich die Ideen für die einzelnen Design-Philosophien nicht nahtlos voneinander trennen lassen, zeigt sich bereits, wenn man die Merkmale der Kernmarke mit dem Modern-Luxury-Anspruch aufdröselt. Bestimmend sind hier überspannende Flächen ohne Sicken, eine tiefe, langgezogene Motorhaube mit prägnantem Kühlergrill und die Versetzung der Fahrerkabine nach hinten. Im Innenraum geht es ebenfalls um Reduktion und die Schaffung klarer Flächen. Alles Attribute, die man in allen anderen Fahrzeugen wiederfinden wird.
Die Spielarten sind fließend
Egal, ob es sich um EQ handelt, wo die kühle Reduktion den Ton angibt oder um Maybach, der seine Gäste mit opulentem Luxus umgarnen will. Beim EQ spielen die Designer noch konsequenter mit den nahtlosen Übergängen in den Flächen. Keine Kanten soll die fließende Form stören. Türgriffe verschwinden und damit der EQ auch als Mercedes erkannt wird, erhält er den typischen Kühlergrill. Der stellt sich allerdings als aus dem Hintergrund beleuchtet dar. In diese verglaste Fläche ist auch der Mercedes-Stern integriert. Im Innenraum wird weitgehend auf Knöpfe und Schalter verzichtet. Intuitive Bedienflächen sollen hier zukunftsweisend sein, Akzente in Roségold eine warme Atmosphäre schaffen und gleichsam den Übergang von analoger und digitaler Welt herstellen.
Bleibt noch die Welt des ultimativen Luxus im Maybach. Die Studie der bereits auf der Messe in Peking vorgestellten SUV-Limousine ist der Mercedes im Nadelstreifenanzug. Neben schierer Größe setzen die Designer hier auf reichliche Chrome-Einlagen, nahtlose Flächen und im Innenraum auf helles Leder, Glas und viel, sehr viel Rosé-Gold. Im Detail finden sich die Nadelstreifen im Kühlergrill mit seinen feinen, nach oben sich etwas verdickenden Streben wieder, Chrome-Applikationen ziehen sich über die gesamte Fläche der ebenfalls sickenfreien Außenhaut.
Am Ende fällt es nicht schwer, die Gemeinsamkeiten der Konzepte zu finden: überspannende Flächen, Reduktion im Innenraum, Konzentration auf das Wesentliche, das Zusammenspiel von analoger und digitaler Welt und die Möglichkeit zur Individualisierung. Dass die Grenzen zwischen den Konzepten nicht starr, sondern fließend sind, wird noch an zwei anderen Dingen deutlich. Im EQ zeigen die Lüftungsdüsen in Form eines Farbwechsels von Rot zu Blau an, ob geheizt oder gekühlt wird. Ein Feature, das in die neue A-Klasse bereits eingezogen ist. Genau wie die Gestaltung der Grafiken auf den großen, flächigen und scheinbar schwebenden Touchscreens.
Idee für neuen GLE liefert Maybach-Studie
Aber die Studien verraten noch mehr über Kommendes. Zum Beispiel findet sich im Maybach die Idee für das Interieur des neuen GLE und damit auch GLS. Anders als in der S- und E-Klasse stehen die zwei großen Bildschirme nicht mehr völlig frei auf dem Dashboard, sondern werden von recht erhabenen Lüftungsdüsen umspannt. )Wobei nur die linke funktionabel ist, die rechte dient der Symmetrie.) Die darunter liegenden Luftausströmer sind, wie im Maybach, nicht mehr rund, sondern eckig. Auch die mächtigen Handriffe an der Mittelkonsole werden sich in der neuen E-Klasse wiederfinden. Anders als im Maybach sind Schalter im großen SUV der Stuttgarter noch nicht verschwunden. Allerdings ist die Schalterleiste mit durchsichtigen, fast gläsern wirkenden und hinterleuchteten Tasten besetzt. Den Cupholder und ein schräges Ablagefach mit Induktionsfeld, das es zulässt, das Display im Blick zu behalten, wird auf Wunsch von einem in Echtholz gehaltenen Schiebefach überspannt. Der Gangwahlhebel, der mercedestypisch dort ist, wo andere Hersteller den Scheibenwischer bedienen, ist nicht so filigran wie in der neuen A-Klasse, zeichnet aber mit Chromstreifen deren schlanke Konturen nach.
Das Lenkrad ist aus A-, E- und S-Klasse bekannt und hat die Touch-Felder, mit denen sich die Multimediasysteme bedienen lassen. Informationen werden in 3D-Grafiken angezeigt, lassen sich horizontal verschieben und die dahinterliegenden Informationen auf das Wesentliche reduzieren. Wir erinnern uns an die Philosophie der Progressive Luxury für den EQ. Genau da stammt die Idee her. Auch die überspannenden Flächen finden sich in den anderen Spielarten wieder. Über die Kombination von Handwerkskunst, sinnlicher Klarheit und Hightech muss eigentlich nicht mehr geredet werden, denn mit großer Sicherheit wird auch dem GLE die MBUX (Mercedes-Benz User Experience) - aus der A-Klasse zuteil, die sich vor allem durch ihre künstliche Intelligenz und die damit einhergehende Lernfähigkeit auszeichnet.
Der T 80 lässt grüßen
Doch bei allem, was hier besprochen wurde, ist Design nichts Statisches. Was heute neu, hip und unumstößlich erscheint, ist in kürzester Zeit schon wieder überholt. Insofern wollte Wagener natürlich auch noch ein Flash Light für die Zukunft setzen. Enthüllt wurde die Skulptur eines einsitzigen Rennwagens, der sich zum Heck hin wie ein Transformer auflöst, sich digitalisiert. Als optische Idee wunderschön anzuschauen, als Zukunftsvision passt es nicht so wirklich in die zuvor gezeigten Konzepte. Erinnert das skulpturale Rennmobil doch sehr an eine Neuauflage des T 80. Eben jenes Rennwagens, der, gezeichnet von Ferdinand Porsche im Jahr 1940, mit Hans Stuck am Steuer einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen sollte. Angetrieben von zwei Flugzeugmotoren sollten insgesamt 2000 PS den drei Tonnen schweren Boliden auf über 500 km/h beschleunigen. Zu dem Rekordversuch kam es in den Wirren des Zweiten Weltkrieges nicht. Die von Porsche gezeichnete Form findet sich aber später im Formel-1-Rennwagen W 196 wieder und wird zur Grundidee für den späteren zweisitzigen 300 SLR.
Glaubt man Wagener, dass dieses Modell sehr nah an einem zu erwartenden Fahrzeug ist, dann kann es sich hierbei eigentlich nur um einen batteriebetriebenen Rennwagen handeln. Nach dem Hypercar Project One aus dem vergangenen Jahr also das Project 2? Man darf gespannt sein, inwieweit sich diese Art einer Symbiose von Performance und Progressive Luxury in den künftigen Modellen von Daimler widerspiegeln wird. Eins dürfte aber klar sein, die neue S-Klasse wird kein Einsitzer werden und auch der GLE bietet weiterhin fünf Personen Platz.
Quelle: n-tv.de
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