Als das US-Geheimdienstgericht Fisa die 412 Seiten ins Netz stellt, wartet Donald Trump nicht lange. Er twittert die üblichen Attacken. Über die "lügende" Hillary Clinton, "betrügende" Demokraten, die "Hexenjagd" von Sonderermittler Robert Mueller. Der untersucht Russlands versuchte Einflussnahme auf die Präsidentschaftswahlen 2016 sowie eine mögliche Kollaboration mit Trumps Wahlkampfteam, um die Wahl für den Republikaner zu entscheiden. Die "New York Times" und verschiedene Nichtregierungsorganisationen hatten die Herausgabe der Dokumente erwirkt. Sie zeigen, dass das FBI ab Oktober 2016 die Überwachung von Carter Page beantragte, den der Geheimdienst für einen russischen Agenten hielt. Page war einer von Trumps außenpolitischen Beratern im Wahlkampf.
Carter Page, konfrontiert mit dem Inhalt der hunderten Seiten, nannte die Vorwürfe des FBI "einen einzigen Witz". Page hatte mehrere Jahre in Russland gelebt und in dieser Zeit Kontakte zu dortigen Unternehmen geknüpft. Er bezeichnete sich in der Vergangenheit als informeller Berater des Kreml. "Ich saß in ein paar Meetings", sagte er relativierend bei CNN. Trump behauptete, die Ermittlungen gegen Page basierten auf einem Dokument der Demokraten, seien also parteipolitisch motiviert. Das stimmt zwar nicht, passt aber zur Linie, die der Präsident gezogen hat und vehement verteidigt: Es gab keine Absprachen, und wer wie die Geheimdienste in diese Richtung ermittelt, ist eben befangen. Trump kämpft um Deutungshoheit.
Bei dem Konflikt geht es um viel mehr als nur um Carter Page. Es geht um Trumps Präsidentschaft und womöglich viel, sehr viel Geld. Mit seiner offensiven Strategie sieht er wohl bessere Chancen, die Amerikaner für sich zu vereinnahmen. Wer ist für euch vertrauenswürdiger? Ich oder die Institutionen? Der Präsident oder die Geheimdienste? Der Dealmaker, der nur das Beste für euch und das Land will, oder der Sumpf um Mueller, der mich diskreditiert? Es sind Loyalitätsfragen. Sie sollen die Unterstützung der Wähler und ihrer republikanischen Vertreter sichern, die Trump braucht. Seine Attacken auf Mueller und die Geheimdienste haben offenbar Wirkung gezeigt. Die Zustimmung in der Bevölkerung für die Ermittlungen gegen den Präsidenten fielen laut CNN-Umfragen von 48 Prozent im März auf 41 Prozent im Juni.
In wenigen Tagen beginnt der Prozess gegen Manafort
Mueller macht indes weiter: Er ließ am Freitag vor Trumps Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin 13 Russen anklagen, weil sie das Wahlkampfteam der Demokraten gehackt hatten. Statt ein deutliches Signal zu senden und Putin in Helsinki öffentlich wegen der bewiesenen Einflussnahme zu kritisieren, vollführte Trump ein skurriles Hin- und Her, das in den USA zu offenen Spekulationen der Demokraten führte: Wenn Trump sich so unterwürfig gegenüber Putin verhält, hat der russische Staatschef den US-Präsidenten möglicherweise wirklich in der Hand - wegen Informationen, mit denen er ihm politisch und geschäftlich schaden könnte.
Und in wenigen Tagen, am 31. Juli, beginnt der Gerichtsprozess gegen Trumps Ex-Wahlkampfmanager Paul Manafort. Um die Russland-Affäre im engeren Sinne geht es dabei nicht, auch wenn das Verfahren gegen einen so engen ehemaligen Mitarbeiter kein gutes Licht auf Trump wirft. Manafort werden Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Doch gibt der Prozess Mueller einen Grund, in den Finanzen von Trumps Familie zu wühlen, könnte es heikel für den Präsidenten werden. Die Kontrolle über seine Unternehmen hat er auch nach seinem Amtsantritt nie wirklich abgegeben. Hätte Trump nichts zu verbergen, wäre es das einfachste für ihn, seine Steuererklärungen zu veröffentlichen, wie alle Präsidenten seit Richard Nixon vor ihm. Die könnten offenlegen, ob er geschäftliche Interessen in Russland hat - und wer dort Druckmittel gegen ihn haben könnte. Ex-Berater Steve Bannon ging schon im vergangenen Jahr davon aus, dass die Ermittler der Spur von Manaforts Geld bis zum Präsidenten folgen würden.
Vielleicht begann Trump deshalb seinen Machtkampf gegen die Geheimdienste direkt nach seinem Amtsantritt. Vom damaligen FBI-Chef James Comey forderte er in einem Vier-Augen-Abendessen im Weißen Haus Loyalität ein. Die konnte und wollte Comey nicht versprechen und wurde entlassen. Er handelte in der Tradition der US-Geheimdienste, die sich nicht als verlängerter Arm der Regierung sehen, sondern als ultimatives Bollwerk der Demokratie.
Besonders viel Verve zeigen die Republikaner nicht
Die einfachste Schlussfolgerung aus Trumps permanenten Attacken gegen die Geheimdienste und Mueller ist: Trump hat Angst, dass sie etwas wissen oder in Erfahrung bringen könnten, und will die Ermittlungen deshalb so schnell wie möglich beenden. Das Negativbeispiel dafür, was einem US-Präsidenten passieren kann, wenn die öffentliche Meinung umschlägt, ist Richard Nixon. Der Watergate-Skandal entstand, weil im Wahlkampf 1972 bei den Demokraten eingebrochen wurde; auf Geheiß Nixons, wie später bekannt wurde. Um den eigenen Kopf zu retten, wollte der Präsident den verantwortlichen Sonderermittler absetzen. Nixon feuerte seinen Justizminister und dessen Vize, weil die sich weigerten, seine entsprechende Anordnung zu befolgen. Im Kongress wurden daraufhin mehrere Initiativen eingebracht, um den Präsidenten abzusetzen. Die öffentliche Meinung war gegen Nixon, immer mehr seiner Parteikollegen entzogen ihm das Vertrauen. Am Ende kam der Republikaner der Amtsenthebung zuvor und trat zurück.
Die öffentliche Meinung ist also ein entscheidender Faktor. Trump wird von Wählern und dem republikanisch dominierten Kongress unterstützt. Aber die historische Parallele zum Wahlkampf vor zwei Jahren ist deutlich - auch da wurde bei den Demokraten eingebrochen, wenn auch elektronisch und von den Russen, die Mueller angeklagt hat. Ob Mueller weiter gegen Trump ermittelt oder nicht, darüber entscheidet die Spitze des Justizministeriums. Ressortchef Jeff Sessions hat sich selbst für befangen erklärt, also ist Vizejustizminister Rod Rosenstein verantwortlich. Der wurde eigenen Aussagen zufolge in den vergangenen Monaten mehrfach wegen der Ermittlungen gegen Trump bedroht. Doch Rosenstein zeigt sich trotzig. "Das Justizministerium lässt sich nicht erpressen", sagte er.
Mehrere republikanische Abgeordnete beantragten am Mittwoch die Amtsenthebung Rosensteins. Zu den angegebenen Gründen gehören zu geringe Informationen über den Umfang von Muellers Aktivitäten gegen Trump, unberechtigte Überwachung von Wahlkampfmitarbeitern sowie ausbleibende Ermittlungen wegen Fehlverhaltens beim FBI. Mehrere Demokraten im Kongress sagten, die Initiative sei "ein direkter Angriff auf die Sonderermittlungen" von Mueller und der Versuch, Präsident Trump zu schützen, "während sich die Schlinge um ihn und seine Verbündeten zuzieht". Besonders viel Verve zeigen seine Parteikollegen im Kongress allerdings nicht. Selbst unter Republikanern hat die Initiative bislang kaum Unterstützer gefunden.
spiegel
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