Deutschland beschränkt Handel mit Münzen, Briefmarken, Gemälden

  29 Dezember 2015    Gelesen: 836
Deutschland beschränkt Handel mit Münzen, Briefmarken, Gemälden
Das neue Kulturgutschutzgesetz bedeutet für Kunsthändler und Sammler eine raffinierte Art der finanziellen Repression. Eigentümer müssen signifikante Wertverluste hinnehmen. Der Staat forscht seine Bürger aus und könnte dadurch ermittelte Objekte dann selbst billiger erwerben – ohne die Eigentümer für den Verlust zu entschädigen.
Ein von Kulturstaatsministerin Monika Grütters vorgelegter Entwurf für einen ausgeweiteten Schutz von Kulturgut sorgt für Aufregung. Worum geht es? Künftig sollen Ausfuhren von Kunstwerken und anderen Sammlungsgegenständen (Münzen, Briefmarken, Antiken) auch innerhalb der EU eine Genehmigung erfordern, wenn sie bestimmte Wert- und Altersgrenzen überschreiten. Will ein Sammler ein wertvolles Bild statt in Berlin in seiner Ferienvilla an den oberitalienischen Seen aufhängen, bräuchte er künftig dafür eine Ausfuhrgenehmigung, sofern ein Bild mindestens 70 Jahre alt und mindestens 300.000 EUR wert wäre.

Käme die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Stelle dann zu dem Schluss, das Bild sei nationales Kulturgut, dürfte es der Sammler gar nicht mehr ausführen. Das aber könnte einen empfindlichen Wertverlust bedeuten, weil er das Bild dann nur noch in Deutschland verkaufen dürfte. Einen Ausgleich für diesen Wertverlust sieht der Regierungsentwurf nur vor, wenn der Sammler sich in einer wirtschaftlichen Notlage befände.

Für Ausfuhren in Drittstaaten, etwa in die Schweiz oder die USA, gelten die neuen Prüfungsanforderungen über die Aufnahme in die Liste nationalen Kulturgutes schon bei Überschreiten einer Altersgrenze von 50 Jahren und einer Wertgrenze von 150.000 EUR. Werke lebender Künstler dürfen nur mit deren Zustimmung auf die Liste nationalen Kulturgutes gesetzt werden.

Fraglich ist, nach welchen Kriterien die in jedem Bundesland zuständigen Kommissionen bewerten werden, was national wertvolles Kulturgut ist. Wer entscheidet auf welcher Grundlage, welches Kulturgut, wie es der Gesetzentwurf bislang vorsieht, „besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe Deutschlands“ ist und damit „identitätsstiftend“ für die Kultur Deutschlands? Frau Grütters etwa wollte ein Verbot des vieldiskutierten Verkaufs zweier Warhol-Bilder durch eine landeseigene (!) Kasino-Gesellschaft in Nordrhein-Westfalen mit Verweis auf die „rheinische Sammlertradition“ begründen. Das erschien doch sehr weit hergeholt.

Wer ein Kunstwerk mit versteuertem Geld gekauft und nichts zu verbergen hat, darf sich fragen: Was geht es den Staat an, welche Bilder Privatleute besitzen, und wo sie sie aufhängen?

Bislang bedurfte die Ausfuhr eines Kunstwerks in ein anderes EU-Land keiner Genehmigung, es sei denn, das Werk befand sich bereits auf der Liste national wertvollen Kulturgutes. Auch die Ausfuhr in einen Nicht-EU-Staat gestaltete sich praktisch denkbar einfach. Der Sachbearbeiter der jeweiligen Spedition fuhr zum zuständigen Sachbearbeiter im Ministerium und holte sich seinen Stempel ab. Den bekam er in wenigen Minuten, es sei denn, das Kunstwerk stand bereits auf der Liste. Reine Formalität. Es galt eine generelle Ausfuhrerlaubnis mit Genehmigungsvorbehalt. Diese Genehmigungspraxis galt seit der Einführung der Verordnung zur Ausfuhr von Kunstwerken im Jahr 1919 und auch für das erste Kulturgutschutzgesetz von 1955. Beide Gesetze sollten helfen, den kulturellen Bestand eines nach zwei Weltkriegen wirtschaftlich geschwächten Landes zu bewahren.

Diese Situation ist auf das heutige Deutschland nicht übertragbar, und doch stellt das neue Gesetz den bisherigen Grundsatz auf den Kopf: Künftig wäre jede Ausfuhr eines Werkes, das die Wert- und Altersgrenze überschreitet, genehmigungspflichtig. Es gilt dann ein grundsätzliches Ausfuhrverbot mit Erlaubnisvorbehalt. Die Entscheidung über die Erteilung einer Exportgenehmigung soll binnen zehn Arbeitstagen getroffen werden. Angesichts der Menge der zu erwartenden Genehmigungsverfahren mutet das äußerst optimistisch an, der Bundesrat fordert bereits längere Fristen. Es geht ja nicht nur um bildende Kunst, sondern auch um archäologische Gegenstände, die älter als 100 Jahre sind (zum Beispiel Münzen), unabhängig von ihrem Wert, um Bücher, Teppiche. Wird ein Eintragungsverfahren eingeleitet, soll darüber binnen sechs Monaten entschieden werden. Die Bundesländer müssen hierfür die für die Prüfung zuständigen Kommissionen entsprechend aufrüsten.

Da es Vorabgenehmigung für die Ausfuhr in der Regel nicht geben wird, dürfte der Kunsthandel vor erheblichen praktischen Schwierigkeiten stehen, insbesondere die Auktionshäuser. Denn beim Zuschlag wüsste ein Käufer noch nicht, ob er das gekaufte Werk ausführen darf. Das wird internationale Käufer kaum zum Kunstkauf in Deutschland motivieren. Sollen sie von dem neuen Gesetz gerade abgeschreckt werden?

Es ist schwer nachvollziehbar, wie das neue Gesetz, nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer für den Handel mit Kunst auf pauschal 19 Prozent, den Kunsthandel in Deutschland stärken soll. Der im Vergleich zu den Standorten London und New York ohnehin schwache Kunstmarkt in Deutschland – der Jahresumsatz aller Auktionen in Deutschland wird in einer einzigen Auktion in New York übertroffen – wird eher weiteren Schaden nehmen. Da auch der Bundesrat dem Gesetzentwurf in seiner Stellungnahme vom 18. Dezember keine grundsätzlichen Bedenken entgegensetzt, sondern sich vor allem um die zusätzlichen Verwaltungskosten für die Länder sorgt, dürfte das Gesetz aller Wahrscheinlichkeit nach bis Mitte 2016 verkündet werden.

Was bezweckt die Neuregelung, die vorgibt, den Kunsthandel zu stärken?

Würde es Frau Grütters tatsächlich darum gehen, den Kernbestand nationalen Kulturgutes zu schützen, hätte es näher gelegen, diesen Kernbestand in öffentlicher Diskussion zu definieren, durch Sachverständige nachvollziehbare Kriterien zu erarbeiten und auf dieser Grundlage die bestehenden Listen zu überarbeiten und zu erweitern. Auf der Kulturgutliste des Landes Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel, sind aktuell nur rund 45 Werke der Bildenden Kunst verzeichnet, davon 20 mittelalterliche Glasmalereien auf Schloss Kappenberg. Nur eine Handvoll der gelisteten Werke ist nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Hier besteht offenkundig Nachholbedarf.

Aber rechtfertigt dies eine pauschale Ausweitung der Genehmigungspflicht, eine Schleppnetzfahndung nach Kunstwerken, die den Markt extrem verunsichert und schon zum Abzug von Leihgaben aus Museen geführt hat? Leihgaben sind für deren Dauer zwar von der Aufnahme auf die Liste nationalen Kulturgutes ausgenommen. Aber was passiert, wenn ein Sammler die Leihgabe zurückfordert? Zur Marktverunsicherung tragen auch unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzentwurf bei. So sollen auch „Sachgesamtheiten“ zum nationalen Kulturgut erklärt werden können, selbst wenn ihre einzelnen Bestandteile nicht bedeutend genug wären. Der Staat könnte damit auf die Idee kommen, die von den Nazis so genannte „Entartete Kunst“ insgesamt als eine solche Sachgesamtheit anzusehen, oder zumindest alle Kunstwerke, die in der ersten Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 in München gezeigt wurden. Selbst die Sammlung Gurlitt könnte unter den Begriff der Sachgesamtheit und somit unter das Ausfuhrverbot fallen, wenn der deutsche Staat zu der Überzeugung käme, dieses Problem doch nicht in das Kunstmuseum Bern zu entsorgen, sondern die Sammlung im Land zu halten.

Es drängt sich der Verdacht auf, der Staat wolle sich über eine künstliche Wertminderung den Zugriff auf die mit einem Ausfuhrverbot belasteten und im Wert gesunkenen Werke erleichtern. Die Erläuterungen zum ersten Referentenentwurf des neuen Gesetzes vom Juni 2015 enthielten dazu einen aufschlussreichen Satz, der im neuesten Entwurf nicht mehr auftaucht:

„Einsparungen in unbekannter Höhe werden jedoch bei Bund und Ländern dadurch erzielt, dass durch die Schaffung einer genehmigungspflichtigen Ausfuhr von Kulturgut im EU-Binnenmarkt Rückkäufe von nationalem Kulturgut auf dem internationalen Kunstmarkt – die zum Teil zweistellige Millionenbeträge in den letzten Jahren erforderlich machten – zukünftig in nur noch sehr geringerem Maße nötig sein werden.“

„Wir reden von Kunst, dem Handel geht es ums Geld“, hält Kulturstaatsministerin Monika Grütters den Kritikern ihres Gesetzes entgegen. Geht es vielmehr dem Staat, der nur von der Kunst reden will, ums Geld?

Das neue Gesetz, dessen Zweck der Schutz nationalen Kulturgutes gegen Abwanderung sein soll, fördert praktisch die Flucht von Kunst ins Ausland. Indem es die Ausfuhr von Kunstwerken in Deutschland erschwert oder gar verbietet, drückt es die Marktpreise. Vor allem aber treibt das Gesetz Sammler dahin, Werke rechtzeitig vor Erreichen der Altersgrenzen ins Ausland zu schaffen, um Wertverlusten zu entgehen und sich ihre Dispositionsfreiheit zu erhalten. Damit wird das Ziel konterkariert, Sammler zu mehr Spenden zu motivieren.

Anfang Dezember wurde im Hamburger Bahnhof in Berlin eine Ausstellung eröffnet mit Exponaten aus der zweiten großen Schenkung des Sammlers Friedrich Christian Flick an das Museum, die aus vorherigen Leihgaben besteht. Zwar sieht der Regierungsentwurf vor, dass Leihgaben an Museen nicht auf die Liste nationalen Kulturgutes gesetzt werden dürfen. Aber endet die Leihe, endet der Schutz. Trotz offizieller Unterstützungsadressen für das Grütter’sche Gesetzesvorhaben — Museumsdirektoren registrieren nervöse Anfragen ihrer Leihgeber mit Sorge. Wie auf den Leib geschnitten für den Leihgeber Flick will das Gesetz zwar ausnahmeweise eine Vorabausfuhrgenehmigung für Leihgaben erlauben, die sich seit 15 Jahren im Bundesgebiet befinden. Der Hamburger Bahnhof stellt Flicks Sammlung seit 2003 aus. Aber für viele andere Leihgeber gibt es ein solches Sicherheitsnetz nicht.

Rechtliche Anfragen verunsicherter Sammler mehren sich. Künstlernachlässe erwägen, Werke, die sich der kritischen Altersgrenze nähern, aus ihren Archiven in „sichere“ Drittstaaten zu bringen. Kunsthändler aktivieren ihre Handelsfilialen in Zürich und Basel. Obwohl das Gesetz erst als Entwurf vorliegt, ist der eingetretene Flurschaden schon beträchtlich.

Der Blick auf die Rechtslage in anderen europäischen Ländern zeigt, dass die Behauptung der Gesetzesinitiatoren, in Deutschland vollziehe man nur, was woanders längst praktiziert werde, in mehrfacher Hinsicht fragwürdig ist.

Das Beispiel Italien belegt, zu welchen Fehl-Anreizen und katastrophalen Folgen eine gut gemeinte Fristenregelung führen kann. Dort gilt ebenfalls eine Altersgrenze von 50 Jahren. Ältere Kunstwerke bedürfen für die Ausfuhr einer Genehmigung, deren Kriterien aber für die Betroffenen kaum nachvollziehbar sind. Die Folge ist, dass in den vergangenen Jahren massenweise wichtige Werke der Arte Povera kurz vor Erreichen der 50 Jahre außer Landes gebracht wurden, um in London oder New York versteigert zu werden. Die Folge: Der Kunsthandelsumsatz in Italien, dieses an Kunstschätzen reichen Landes, beträgt nur noch knapp 100 Millionen Euro im Jahr. Experten schätzen, dass er ohne die gesetzesbedingte Marktverzerrung beim Zehnfachen liegen würde. Diese Entwicklung nachzuahmen, sollte nicht das Ziel deutscher Kulturpolitik sein.

In England kann der Staat zwar auch auf alle Kunstwerke zugreifen, selbst auf jene, die ohne das Attribut „national“ von besonderem Wert sind. Allerdings entsteht dem Staat daraus lediglich ein Ankaufsrecht zu einem fairen Marktpreis. Wird die Ausfuhr versagt, was praktisch äußerst selten vorkommt, bleibt dem Eigentümer zumindest die Möglichkeit einer angemessenen finanziellen Entschädigung.

Gerade mit Blick auf die englische Regelung stellt sich für das geplante Gesetz in Deutschland die Frage, ob der durch ein Ausfuhrverbot bedingte entschädigungslose Wertverlust mit der grundrechtlichen Eigentumsgarantie vereinbar ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Frage unter der bisherigen Rechtslage in einem Urteil aus dem Jahr 1993 bejaht. Das Bundesverfassungsgericht nahm eine gegen das Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Angesichts der geplanten massiven Ausweitung der Genehmigungspflicht dürfte die verfassungsrechtliche Frage heute alles andere als geklärt sein. Hierzu tragen einige vom Bundesrat geforderte Wortlautänderungen bei.

Die geplanten Alters- und Wertgrenzen sollten zudem nicht den Blick darauf verstellen, dass es jederzeit möglich ist, auch weniger wertvolle oder weniger alte Kunstgegenstände zum nationalen Kulturgut zu erklären und damit ein Exportverbot zu bewirken. Der Vorwurf der Willkür bei der Aufnahme bestimmter Werke auf die Liste nationalen Kulturgutes dürfte neue Nahrung erhalten. Vielen Kunsthändlern und Sammlern ist noch der Fall des unlängst verstorbenen Berliner Kunstsammlers Florian Karsch in Erinnerung, der jahrzehntelang die Galerie Nierendorf betrieb. Er hatte der Berlinischen Galerie einen Teil seiner äußerst wertvollen Sammlung als Schenkung versprochen. Das Finanzamt sah darin eine Entnahme aus seinem Betriebsvermögen und wollte deshalb einen siebenstelligen Umsatzsteuerbetrag festsetzen. Dies hätte bedeutet, wenn auch steuer-systematisch korrekt, dass der Kunsthändler für seine Schenkung noch drauf gezahlt hätte. Karsch zog seine Schenkung zurück. Das Land Berlin ließ daraufhin mehrere der versprochenen Werke auf die Kulturgutliste setzen. Es dauerte neun Jahre, bis Karsch vor dem Bundesverwaltungsgericht erstritt, dass die – wie das Gericht feststellte: bis auf eines – zu Unrecht indizierten Werke wieder von der Liste genommen wurden.

Kunstsammler in Deutschland stellen sich nun viele Fragen: Sollen sie „gefährdete“ Werke noch vor Einführung des Gesetzes oder jedenfalls vor Ablauf der 70 Jahre verkaufen? Außerhalb der einjährigen Spekulationsfrist bliebe ihnen ein Veräußerungsgewinn sogar steuerfrei. Sollen sie Kunstwerke rechtzeitig ins sichere Ausland bringen, wie es viele Sammler bereits tun oder planen, ohne dies an die große Glocke zu hängen? Oder abwarten und im schlimmsten Fall neben dem Wertverlust ein Ausfuhrverbot, Auskunftsverlangen, Meldepflichten und Genehmigungserfordernisse in Kauf nehmen? Kann das alles Zweck eines Gesetzes sein, das Kulturgut schützen soll? Kommt es nicht eher darauf an, wie man sich um ein Kunstwerk kümmert, und nicht: wo. Macht es im 21. Jahrhundert überhaupt noch Sinn, „national wertvolle“ Kunst in einem bestimmten Land einsperren zu wollen?

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