“Ich glaube, Europa sollte keine Angst vor Migranten haben”, sagt er zum Abschluss der Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel in Dakar. “Die Angst vor anderen ist oft etwas, das eine Abwesenheit von Erfahrung ist, von Wissen über den anderen”, fügt er hinsichtlich der Berichte über fremdenfeindliche Exzesse und Debatten in der EU und Deutschland hinzu. Als er dann noch hinterher schiebt, dass Europa sich öffnen müsse, beschreibt er das Dilemma der EU-Debatte über Migranten und Flüchtlinge ziemlich genau.
Das weiß auch Merkel, die daher auf ihrer Westafrikareise eine doppelte Botschaft mitbringt: Erstens soll zwischen guter und schlechter Migration unterschieden werden. Illegale Wege über Schlepper sollen durch legale Zugangsmöglichkeiten zu Bildung, Ausbildung und Arbeit etwa in Deutschland ersetzt werden. Zweitens heißt das Zauberwort “Investitionen”, um den Migrationsdruck der stetig wachsenden Bevölkerung auf dem afrikanischen Kontinent zumindest zu begrenzen durch mehr Jobs vor Ort. Daher hat die Kanzlerin eine Wirtschaftsdelegation mitgebracht.
Doch schon die ersten beiden Stationen Senegal und Ghana zeigen auch die Schwierigkeiten, obwohl beide Staaten politisch und wirtschaftlich zu den Vorbildländern auf dem Kontinent gehören. Allein das starke Bevölkerungswachstum droht jeden Wohlstandsgewinn wieder aufzufressen. Schon in Niger hatte Merkel 2016 erstaunt festgestellt, wie wenig sich in den Jahrzehnten der Unabhängigkeit nach der französischer Kolonialherrschaft in einigen Staaten entwickelt hatte. Das sieht zwar im Senegal schon besser aus. Aber auch hier wird die Elektrifizierung von 300 Dörfer mit deutscher Entwicklungshilfe als Erfolg gefeiert. Die Entwicklung Afrikas mit seinen mehr als 1,2 Milliarden Einwohnern wirkt wie eine gigantische Langfristaufgabe. Deshalb hat sich die Afrikanische Union selbst ein Fernziel bis 2063 gesetzt.
Schnelle Fortschritte sind bei der Migration schon wegen der unterschiedlichen Interessen nicht zu erwarten. Auch das macht Senegals Präsident sehr klar. Sicher, in Deutschland lebten rund 1000 Senegalesen ohne Aufenthaltstatus. Sicher, man wolle gegen Schleuser vorgehen und die Abwanderung verhindern, weil der Aderlass nach Europa gegen “die Würde Afrikas” gehe. Sicher, im Hintergrund hat das Land bereits zwei Identifizierungsmissionen nach Deutschland geschickt und verfügt auch über biometrische Pässe. Aber die Bundesregierung solle doch überlegen, ob sie nicht einem Teil der 1000 Senegalesen ein Bleiberecht gebe können, sagt Sall. Ähnlich äußert sich am Donnerstag auch sein ghanaischer Kollege Nana Akufo-Addo.
MERKEL: ABSCHOTTUNG FUNKTIONIERT NICHT
Mit Ghana und vor allem Nigeria ist das Migrationsthema ohnehin schon wegen der Größe der Länder erheblich relevanter. Denn in Deutschland halten sich rund 4200 ausreisepflichtige Ghanaer und 8600 Nigerianer auf sowie weitere 20.000 Nigerianer, die sich noch im Asylverfahren befinden, aber kaum eine Chance auf Anerkennung haben. Deshalb sind Rückführungsabsprachen für Deutschland nicht nur mit den EU-Partnern wie Italien oder mit Transitländern wie Niger wichtig, sondern eben auch mit Herkunftsländern. In aller Stille baut die Bundesregierung in den Ländern zudem Zentren auf, die Rückkehrer aus Europa bei der Reintegration helfen sollen, aber auch Beratung geben, wie man für Ausbildung oder Beruf legal nach Deutschland kommen kann.
Letztlich, das ist das Credo Merkels, müsse man auch hier eine Win-Win-Situation aufbauen und für sie werben. “Zukunft schaffen” nennt sie dies. Denn bisher gibt es eben den Interessensgegensatz, bei dem die aus EU-Sicht “illegale Migration” aus Sicht vieler afrikanischer Staaten gar kein Problem ist: Wegen der schnell wachsenden Bevölkerung sind Regierungen nicht unglücklich, wenn zumindest ein Teil der Jungen ins Ausland geht. Und die Überweisungen der Exil-Landsleute machen einen erheblichen Teil des Bruttoinlandsproduktes aus. Im Fall des 190-Millionen-Einwohner-Landes Nigeria wird stets auf einen Weltbank-Bericht verwiesen, nach dem die Höhe der Rücküberweisungen längst über dem Betrag der bezogenen staatlichen Entwicklungshilfe liegt. Schaut man auf die riesige Kluft zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen etwa Senegals mit dem Deutschlands, dann ist klar, dass die Sogwirkung des reichen Nordens trotz steigender Investitionen aus Deutschland, China oder anderen Staaten noch lange anhalten wird.
Deshalb macht Merkel trotz der hitzigen Debatten in Europa klar, dass es prinzipiell nur darum gehen könne, die Migration zu ordnen – nicht aber, sie zu stoppen. “Geht Abschottung? Ich glaube daran nicht”, sagt sie in Accra. Da ist sie auf einer Linie mit ihren afrikanischen Gesprächspartnern. Auch Senegals Präsident Sall meint ziemlich lapidar: “Ich glaube nicht, dass Europa sich weiterhin abschotten kann.”
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