Mein DNA-Ich

  30 Dezember 2015    Gelesen: 1004
Mein DNA-Ich
Forscher behaupten, sie könnten aus unserem Erbgut Steckbriefe mit unseren Physiognomien bauen. Und die seien auch wiederzuerkennen. Tatsächlich? Drei ZEIT-Autoren haben es einmal ausprobiert.
Fotos sind eine heikle Angelegenheit. "Gucke ich immer so blöd?" – "Wie sieht denn bitte meine Nase aus?" Und der Klassiker: "Eigentlich bin ich schlanker." Doch auf dem neuesten Bild von mir bin ich erstaunlich gut getroffen. Meine Nase sieht so aus, wie sie meiner Meinung nach geformt ist. Ausnahmsweise sind beide Augen gleichzeitig offen, die Brauen nicht zerzaust. Das Besondere an dem Bild ist aber, dass ich dafür nicht einmal in eine Kamera schauen musste. Das Einzige, was Peter Claes und Mark Shriver von mir brauchten, war ein bisschen Spucke. Genauer gesagt ein Molekül darin: meine DNA.

Für Ermittler ist eine DNA-Spur schlicht die moderne Version des Fingerabdrucks, eine Schablone. Die schwarzen und weißen Flecken, die einzelne Genomabschnitte auf den Teststreifen geworfen haben, ergeben ein einzigartiges Muster, das für den Menschen charakteristisch ist, von dem sie stammen. Der Vergleich der Tatort-DNA mit der Probe eines Verdächtigen kann offenbaren, ob diese Person am Tatort war. Aber mehr auch nicht.


Seit einigen Jahren reicht Forensikern und Genetikern das nicht mehr. Sie wissen, dass unser Erbgut weit mehr Informationen birgt, als wir ihm entlocken. Eines Tages, so ihre Vision, könnte DNA nicht nur als profane Spur dienen, sondern als präziser Steckbrief, der das Aussehen des potenziellen Täters beschreibt. Es ist der Traum von einem genetischen Phantombild. Ein Traum, von dem ich wissen will, ob er heute schon wahr werden könnte.

Deshalb habe ich dem Forscherduo von der Universität Leuven und der Penn State University meine DNA geschickt, dazu zwei weitere Proben. Sie gehören zu Kollegen der ZEIT, auch ihre Gesichter sollen nachmodelliert werden. Außerdem bekam eine weitere Forschergruppe Post von uns, nämlich die von Christopher Philipps. Der Brite arbeitet an der Universität von Santiago de Compostela. 2007 sorgte er für Aufsehen, als er dank genetischer Spuren vom Tatort den Hintergrund der Anschläge von Madrid ermitteln konnte. Die sichergestellte DNA zeigte Muster, die auf Täter aus Nordafrika hinwiesen. Damit ließ sich mit großer Sicherheit ausschließen, dass Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation Eta hinter dem Anschlag steckten. Es waren wohl islamistische Terroristen, die die Bomben in den Zügen platziert hatten.

Seit damals hat Philipps’ Team den Test weiterentwickelt. Inzwischen kann er nicht nur die Herkunft, sondern auch die wahrscheinliche Augenfarbe und Haarfarbe eines mutmaßlichen Täters ermitteln. All das soll Philipps für unsere drei Proben tun und somit das Profil von Claes und Shriver ergänzen. In meinem Fall gelingt das erstaunlich gut: Schwarze Haare, braune Augen und eine europäisch-asiatische Herkunft schreibt Philipps mir zu. Stimmt alles. Bei den zwei anderen indes liegt der Forscher ganz schön daneben.



Zwar hat Philipps richtig vermutet, dass Claudia Wüstenhagen blaue Augen hat. Doch blond, wie es der Brite vorhersagt, war sie nur in ihrer Kindheit, heute sind ihre Haare hellbraun. Und Ulrich Bahnsen attestiert Philipps sogar einen roten Schopf, den er nie hatte.

Noch gravierender sind die Unterschiede bei der Rekonstruktion der Gesichter. Bahnsen kann man in Ansätzen auf dem Phantombild von Claes und Shriver wiedererkennen. Vor zehn Jahren habe er mit Wohlwollen ein wenig so ausgesehen, sagt der Porträtierte.


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