Memory-Foam-Matratze statt Isomatte, 3-Gänge-Menü statt Dosenravioli und das Ganze verkehrsgünstig mitten in der Metropole gelegen: Urban Camping ist Zelten für Menschen mit hohen Ansprüchen, aber wenig Zeit. Im Sommer 2018 konnten gestresste New Yorker erstmals auf Governors Island vor der Skyline Manhattans unter freiem Himmel nächtigen. Wobei diese Art von Glamping (Glamour plus Camping) kaum noch etwas mit dem guten alten Zelten zu tun hat. Das ist aber auch Sinn der Sache.
Glamping richtet sich eher an ein Publikum jenseits der Kindergeld-Grenze. Das möchte zwar in Kindheitserinnerungen schwelgen, aber nicht auf den gewohnten Komfort verzichten. Auf Governors Island etwa wurden Luxuszelte mit richtigen Betten und handgefertigten Möbeln geboten. Auf Wunsch gab es sogar ein privates Badezimmer. Das hat seinen Preis. Mit bis zu 850 US-Dollar pro Nacht und Zelt richtete sich dieses Angebot an Gäste, die auch in Fünf-Sterne-Hotels absteigen könnten.
Glamping mit Memory Foam und Solardusche
Urban Camping setzt die Komfortoffensive beim Zelten fort, die mit Glamping begann. Dieser "Zurück zu den Wurzeln"-Urlaub vereint Naturverbundenheit, Individualismus und Entschleunigung. Also genau das, wonach dauersynchronisierte Großstadtseelen lechzen. Aber während die buchstäblich harte Realität unter der Isomatte der Hygge-Nostalgie oft schnell den Garaus macht, schont das Luxus-Camping Nerven und Bandscheiben. Und WLAN gibt es obendrein.
Glamping ist eigentlich eine uralte Erfindung. Schon englische Regenten und Adelige wollten im 16. Jahrhundert auf freiem Feld möglichst luxuriös nächtigen. Später führten reiche Briten auf Safari diese Art des Reisens fort. Statt in die Savanne zieht es Kunden von Tentrr zu abgelegenen Fleckchen Erde in den USA. Der Anbieter ist eine Art Glamping-Airbnb. Bauern oder andere Grundbesitzer stellen ihr Land zur Verfügung, Tentrr sorgt für die Ausstattung. Zum Rundum-sorglos-Paket gehören eine Plattform mit großem Zelt, Memory-Foam-Matratze, Tisch, Bänke, Campingtoilette, Feuerstätte und Dusche mit Solarmodul. Tentrr wurde vor drei Jahren von einem ehemaligen Investmentbanker gegründet.
In Deutschland hat sich der Trend zum Luxus-Zelten noch nicht so recht durchgesetzt. Internationale Glamping-Anbieter wie Vacansoleil oder Glamping Hub listen bislang für die Bundesrepublik nur jeweils rund ein Dutzend Glamping-Angebote auf. Dabei handelt es sich aber meist um normale Ferienwohnungen oder Zeltplätze. Die vermarkten bekannte Komfort-Übernachtungsangebote wie Wohnfässer oder mobile Ferienhäuser einfach unter dem neuen Schlagwort. Der Trendbegriff wird auch gern für Übernachtungen in modernen Design-Baumhäusern genutzt, etwa im Berliner Grunewald oder im Resort Baumgeflüster in Bad Zwischenahn.
Winterfest campen im Berliner Hinterhof
Manchmal finden Anbieter eine ganz eigene Lösung für Camping in der Stadt. Zu den Pionieren gehört der Hüttenpalast in Berlin-Neukölln. "Der Begriff Glamping entstand erst weit nach unserer Eröffnung", sagt Silke Lorenzen. Die gelernte Veranstaltungskauffrau bevorzugt für ihr Hotel den Begriff "Indoorcamping". Sie und die Modedesignerin Sarah Vollmer eröffneten den Hüttenpalast im Mai 2011. Das Konzept: Gäste übernachten (ganzjährig) in individuell gestalteten Minihütten und Oldtimer-Wohnwagen. Die stehen in zwei Hallen einer Altberliner Hinterhoffabrik. Vor den Behausungen sorgen Kunstrasen, Plüschsofas und der eine oder andere Gartenzwerg für eine Atmosphäre zwischen Schrebergarten und hippem Studentencafé.
Schon zwei Jahre nach der Eröffnung mussten mehr Wohnwagen her, um die Nachfrage zu befriedigen. Im vergangenen Jahr beherbergte der Hüttenpalast rund 8500 Gäste. Die sind laut Lorenzen eine bunte Mischung aller Altersgruppen, von Familien mit Kindern bis Geschäftsreisende oder Rucksacktouristen aus aller Welt. "Ich denke, heutzutage ist der Wunsch nach Individualität groß", erklärt Lorenzen den Erfolg ihres Hotels. Hinzu kämen das gewisse Quäntchen Luxus gepaart mit zentraler Lage und Event-Charakter: "Man hat nach einem solchem etwas ungewöhnlicheren Übernachtungserlebnis etwas, was einem wirklich im Gedächtnis bleibt."
Das zieht sogar Berliner an, die auch mal im Hüttenpalast zu finden sind. Denn Camping in der Stadt ist die perfekte Ergänzung zum Trend "Staycation". Beim Urlaub in der Heimatstadt geht es darum, das vertraute Revier mit frischem Blick neu zu erkunden - eben genau wie ein Tourist. Eine ausgefallene Unterkunft hilft dabei, die nötige Distanz zum Alltag zu schaffen.
Retro-Wohnwagen am Elbstrand
Nur rund 30 Autominuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt liegt der Campingplatz Stover Strand am südlichen Elbstrand. Nora Köhnken betreibt das Familienunternehmen seit 2013 in dritter Generation mit ihrem Mann und ihren Eltern. Im Juni 2018 wurde das Angebot um zehn Wohnwagen der etwas anderen Art erweitert. "Unsere Retroperlen sind alle alte Camper, die in Handarbeit und mit ganz viel Liebe zum Detail umgebastelt worden sind. Dabei ist jeder Glamper ganz anders", beschreibt Köhnken das Konzept. Bei der Innenausstattung wurde auf Blümchen- oder Karotapete und viel Knallfarben gesetzt.
Statt klassischem Luxus-Camping will die Inhaberin lieber eine "gemütliche Chill-Out Atmosphäre" schaffen. Die zehn Retro-Wohnwagen beherbergten bislang 300 neue Gäste. Die meisten kamen laut Köhnken aus dem direkten Umland von Hamburg oder Bremen zum Tapetenwechsel und Entschleunigen. "Wir hatten in unser ersten Saison viele Familien da. Auch einige Backpacker oder Freunde", beschreibt die Geschäftsführerin ihre Kundschaft. Die kann noch bis Mitte Oktober in den Knutschkugel-Wohnwagen übernachten. Im April 2019 starten die Glamper in die neue Saison.
Die beiden Praxisbeispiele zeigen: Echtes Urban Glamping à la Governors Island mit überbordendem Luxus ist in Deutschland (noch) nicht recht angekommen. Hierzulande dominieren eher günstiger Individualismus, ausgefallene Ideen und Emotionalität die Branche. Glückseligkeit statt Glamour - auch so geht Glamping.
Quelle: n-tv.de
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