Spätestens am 3. März 2016 musste den Wählern in den USA klar sein, mit wem sie es hier zu tun haben. Donald Trump stand am Abend dieses Tages auf einer Bühne in Detroit und sprach über seinen Penis. Neben ihm befanden sich die drei anderen republikanischen Präsidentschaftsbewerber, die übrig geblieben waren - alle anderen hatte Trump schon aus dem Rennen geworfen.
"Er hat sich auf meine Hände bezogen", beklagte sich Trump wie im Spaß über Marco Rubio, einen Senator, der ursprünglich als Hoffnungsträger in das Rennen gestartet war. Im Kampf gegen den ausbleibenden Erfolg in den Vorwahlen hatte Rubio tags zuvor einen Witz auf Trumps Niveau gemacht - unter der Gürtellinie. "Wenn die klein sind, muss etwas anderes auch klein sein", sagte Trump über seine Hände. "Ich garantiere Ihnen, da gibt es kein Problem. Ich garantiere es." Die Leute im Publikum johlten. Diesen Trump liebten sie.
Stephanie Clifford alias Stormy Daniels, die Pornodarstellerin, mit der Trump ein Verhältnis gehabt haben soll, kann also immerhin behaupten, das Thema nicht als erste angesprochen zu haben. Die Genitalien des Präsidenten tauchen an prominenter Stelle in ihrem Buch auf, das gerade erschienen ist. Einige Passagen darin sind so explizit, dass sie nicht zitierfähig sind. So viel immerhin lässt sich sagen: Daniels lernte Trump - so erzählt sie es - im Juli 2006 bei einem PR-Termin auf einem Golfplatz kennen. Ihr fiel angenehm auf, dass er ihr bei ihrer ersten Begegnung nicht auf die Oberweite starrte, sondern ihr in die Augen guckte. Weniger gut gefiel ihr, dass er sie am Abend im Pyjama empfing. In ihrer Darstellung war Trump ein Langweiler, der nur von sich sprach. "Sind Sie so unsicher, dass Sie so angeben müssen", habe sie ihn gefragt, "oder sind Sie einfach nur ein Arschloch?" Danach habe sie dann normal mit ihm reden können.
An diesem Abend hatten die beiden Sex - das jedenfalls behauptet Daniels. Trump bestreitet es. Bis hierhin ist diese Geschichte irrelevanter Klatsch. Doch sie geht weiter. Ein paar Jahre später, genauer: zehn Tage vor der Präsidentschaftswahl, überwies Trumps Anwalt Michael Cohen Daniels 130.000 Dollar. Er wollte ihr Schweigen kaufen. Im Gegenzug unterschrieb Daniels eine Geheimhaltungsvereinbarung.
Bekannt ist das alles bereits seit Januar, als das "Wall Street Journal" darüber berichtete. Zunächst stritten Trump und Cohen ab, dass es je eine solche Zahlung gegeben hätte. Dann räumte Cohen ein, er habe gezahlt, Trump habe davon aber nichts gewusst. Im Februar sagte er der "New York Times", weder Trumps Konzern noch dessen Wahlkampfteam seien informiert gewesen. "Die Zahlung an Ms Clifford war rechtmäßig, sie war keine Wahlkampfspende oder Wahlkampfaufwendung irgendeiner Art." Und: "Ich werde Mr Trump immer schützen."
"In diesem Fall geht es nur um Vertuschung"
Ob die erste Aussage wahr ist, wird möglicherweise vor Gericht entschieden - das jedenfalls ist das erklärte Ziel von Daniels' Anwalt Michael Avenatti. Den zweiten Satz hat Cohen selbst widerlegt. Im August kündigte er an, er werde nun doch mit dem FBI kooperieren. Das hieß im Klartext: Er wechselte die Seiten. Einen Monat später erklärten Trumps Anwälte, der Präsident werde darauf verzichten, die Geheimhaltungsvereinbarung durchzusetzen. Offensichtlich würde er die Angelegenheit am liebsten im Sande verlaufen lassen.
Avenatti will das verhindern, er will die Frage vor Gericht klären lassen. Bislang sieht es gut für ihn aus. Am Dienstag - dem Tag, an dem das Buch seiner Mandantin erschien - meldete das "Wall Street Journal", Trump habe im Februar versucht, Daniels mit einer einstweiligen Verfügung am Ausplaudern von Details über die Affäre zu hindern. Sollte dies vor Gericht bestätigt werden, wäre aktenkundig, dass Trump gelogen hat. Für Avenatti wäre das ein großer Erfolg. Vordergründig will er als Daniels' Anwalt durchsetzen, dass die Geheimhaltungsvereinbarung offiziell für ungültig erklärt wird. Doch ihm geht es um mehr: Er will Trump aus dem Amt jagen. Mittlerweile vertritt Avenatti nicht nur Daniels, sondern auch Karen McDougal und Julie Swetnick.
Karen McDougal ist ein ehemaliges Playmate, das behauptet, mit Trump eine Affäre gehabt zu haben - auch dies bestreitet Trump. Sie verkaufte ihre Geschichte an das Revolverblatt "National Enquirer", der den Artikel zwar nicht brachte, McDougal aber auf diese Weise daran hindern wollte, anderen Medien davon zu erzählen. (Trump ist mit dem Herausgeber des "Enquirer" befreundet.) Julie Swetnick, Avenattis dritte Mandantin, ist eine der Frauen, die Richter Brett Kavanaugh sexueller Übergriffe beschuldigt; Kavanaugh soll nach Trumps Willen vom Senat in den Obersten Gerichtshof gewählt werden.
Man sieht: Avenatti kämpft nicht nur an einer Front. Zusätzlich denkt er öffentlich darüber nach, bei der Präsidentschaftswahl 2020 als Kandidat der Demokraten anzutreten. Chancen hätte er vermutlich. Nicht zu Unrecht schrieb die konservative Webseite "The Federalist" gerade, Avenatti sei die linke Version von Donald Trump - genauso arrogant, selbstverliebt und ordinär. Und mit Fans gesegnet, die ihn genau dafür bedingungslos bejubeln.
Längst steht nicht mehr Stormy Daniels, sondern Michael Avenatti im Zentrum der Affäre um die 130.000 Dollar. Das allerdings liegt nicht daran, dass er sich ins Rampenlicht geschoben hat. Es liegt daran, dass der Penis von Donald Trump in dieser Affäre allenfalls eine Nebenrolle spielt.
Seit Monaten verkündet Avenatti in Talkshows, in TV-Interviews und in einem Gastbeitrag für die "New York Times", er werde dafür sorgen, dass Trump seine erste Amtszeit nicht beendet. Das ist der Grund, warum der Fall Stormy Daniels spannend ist. Das Buch erschien gestern in mehreren Ländern gleichzeitig - offenkundig, um so viel Geld wie möglich damit zu machen. Wer auf schlüpfrige Details verzichten kann, kann sich die Lektüre sparen. "Hier geht es nicht um den Sex", sagte Avenatti schon im vergangenen April im Podcast von David Axelrod, dem früheren Chefstrategen von US-Präsident Barack Obama. "Es geht darum, dass jemand das amerikanische Volk belogen hat und das verheimlichen wollte." Denn das Geld, mit dem Trumps Anwalt das Schweigen der Pornodarstellerin erkaufte, scheint aus Trumps Wahlkampfkasse gekommen zu sein. Das könnte illegal gewesen sein: Michael Cohen hat bereits gestanden, Steuerbetrug begangen und Gesetze zur Wahlkampffinanzierung gebrochen zu haben. Avenatti glaubt, dass auch Geldwäsche im Spiel gewesen sein könnte.
Wie in jedem politischen Skandal sei die Vertuschung schlimmer als die eigentliche Straftat, so Avenatti. "In diesem Fall geht es nur um Vertuschung. Es geht darum, was Michael Cohen getan hat, was der Präsident wusste und wann er es wusste und was er getan hat, um es zu vertuschen." Das ist viel spannender als irgendwelche Geschichten über die Länge von Fingern. Fortsetzung folgt.
Quelle: n-tv.de
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