Kristina Hänel und das Tabu Abtreibung

  12 Oktober 2018    Gelesen: 1144
Kristina Hänel und das Tabu Abtreibung

Ein Gericht verurteilt die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe, weil sie über Abtreibungen informiert. Doch sie wehrt sich und kämpft gegen das Urteil und den Paragrafen. Plötzlich wird sie zu einer Symbolfigur einer neuen Abtreibungsdebatte.

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel versorgt seit 37 Jahren Patienten und ist eigentlich eine ganz normale Medizinerin. Doch inzwischen verbinden viele ihren Namen mit der emotionalen Debatte über Abtreibungen. Denn Hänel streitet vor Gericht dafür, dass Ärzte auf die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen hinweisen dürfen. Damit bringt sie das Tabuthema Abtreibung wieder in die Öffentlichkeit und findet sich unversehens in einer heftigen Debatte wieder.

Laut Gesetz dürfen Mediziner nicht für Abtreibungen werben. Hänel will auf ihrer Website aber über das Thema Abtreibung informieren und praktiziert das auch. Doch dieser kleine Hinweis brachte ihr 2017 eine Verurteilung und eine Geldstrafe von 6000 Euro ein, weil sie wegen "illegaler Werbung für Abtreibungen" angezeigt wurde.

Die Ärztin konnte es nicht glauben: "Viele Jahre wurden solche Verfahren immer wieder eingestellt. Ich war der Meinung, dass ich alles richtig mache und konnte nicht verstehen, dass ich vor Gericht stand", sagt Hänel im Gespräch mit n-tv.de. "Dann kam aber so eine große Resonanz von Menschen, die sagten: 'Das geht nicht, man darf Frauen in einer solch schwierigen Situation nicht die wichtigsten Informationen vorenthalten.'" Deshalb entschloss sie sich, gegen das Urteil Berufung einzulegen.

Aufmerksamkeit für ein Tabuthema

Sie will kämpfen: "Es muss eine Rechtssicherheit geben und mein Ziel ist das Bundesverfassungsgericht. Ich möchte das auch für die vielen anderen Ärzte erreichen, die angezeigt und verleumdet werden."

Hänels Fall ist nur einer von vielen, doch durch das Verfahren gegen sie wird über das Thema wieder gesprochen und berichtet. Abtreibungsgegner suchen die Namen der Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, systematisch heraus, bedrohen sie und verleumden sie im Internet. Selbst ernannte "Lebensschützer" protestieren nicht nur gegen den Eingriff, sondern auch gegen Gynäkologen, die Frauen darüber informieren und Abbrüche vornehmen. "Anscheinend hat sich etwas bei dem Vorgehen der Abtreibungsgegner geändert", erklärt Hänel, die immer wieder bedroht wird - sogar Folter- und Todesdrohungen erreichen sie. Manchmal stehen Abtreibungsgegner vor der Tür ihrer Praxis.

Auch die Frauenärztinnen Natascha Nicklaus und Nora Szász stehen derzeit vor Gericht und kämpfen gegen den Paragrafen 219a. Ihr Verfahren läuft, ein Urteil ist noch nicht gesprochen. Durch die vermehrte Aufmerksamkeit erfahren die Ärzte auch viel Solidarität: "Ich empfinde das alles sehr positiv und es ist ganz eindeutig, dass die Mehrheit der Bevölkerung, wie in Irland, hinter dem Gedanken der Meinungsfreiheit steht. Es ist eine Frage der Grundrechte", sagt Hänel.

Frauen wie sie stoßen eine moralische Diskussion an und sie begrüßt das: "Es wird nun überall über das Thema Schwangerschaftsabbruch diskutiert und das Tabu ist ein wenig angekratzt worden. Das tut der Sache gut, weil jetzt rauskommt, wie schwierig sich die derzeitige Situation für Frauen in Deutschland darstellt." In manchen Landstrichen wüssten viele Frauen immer noch nicht weiter, wenn sie sich gegen ein Kind entscheiden. Für sie müsse es Ansprechpartner geben.

All das hat Hänel dazu motiviert, eine Petition zu starten, um den umstrittenen Paragrafen zu kippen. "Ich habe mich entschieden, mich nicht zu verstecken und den Gegnern die Stirn zu bieten", erklärt Hänel. Rund 155.000 Menschen haben die Petition auf der Plattform change.org Ende 2017 unterschrieben.

Alle unterstützen sie bei dem Anliegen, dass Frauen ein Informationsrecht auf den Abbruch bekommen sollen. In der Petition heißt es: "Auch und gerade beim Thema Schwangerschaftsabbruch müssen Frauen freie Arztwahl haben und sich medizinisch sachlich und richtig informieren können." 

Die Unterzeichner hoffen auf eine Veränderung des Gesetzes. Doch die entscheidenden Politiker sind derzeit nicht einig. Die Große Koalition findet keine gemeinsame Linie. Die SPD will ein Recht auf Information, die Union lehnt eine Veränderung und Anpassung des Gesetzes derzeit ab. "Mir ist klar, dass mein Weg erstmal juristisch ist", beschreibt die Ärztin. Sie habe das Thema nach Berlin gebracht, jetzt müsse die Politik entscheiden. Hänel sagt ganz deutlich: Sie wünscht sich Rechtsicherheit für Ärzte und Informationsfreiheit für Frauen.

Breite Unterstützung für das emotionale Thema Abtreibung

Beim Berufungsverfahren vor dem Landgericht Gießen werden wieder viele Unterstützer von Hänel gegen die aktuelle Gesetzeslage demonstrieren. Die Bandbreite des Bündnisses ist groß - von Pro-Familia-Mitgliedern bis zum SPD-Politiker Thorsten Schäfer-Gümbel, Vertretern von Grünen, Linken und Liberalen. Sie alle wollen den Paragrafen kippen und aus ihrer Perspektive mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit für Frauen erzielen. Auch im Internet gibt es Solidaritätsseiten.

Die Gießener Frauenärztin würde auch noch durch weitere gerichtliche Instanzen gehen - wenn es sein muss, sogar bis zum Europäischen Gerichtshof. Für sie hat der Kampf gegen Paragraf 219a erst begonnen.

Quelle: n-tv.de


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