“Plötzlich waren überall Männer“

  07 Januar 2016    Gelesen: 582
“Plötzlich waren überall Männer“
Tausende zieht es Silvester in die Kölner Innenstadt, darunter auch Michelle L. und ihre Clique. Die 18-Jährige schildert, wie sie und ihre Freundinnen von Unbekannten belästigt wurden.
Alles beginnt so vielversprechend. Michelle L.* und ihre Freunde starten den Silvesterabend in der Wohnung einer Freundin. Sie essen gemeinsam, es ist gesellig, die Vorfreude auf den Abend ist groß. Um kurz nach 22 Uhr bricht die Gruppe, die aus sieben Mädchen und vier Jungs besteht, auf. Sie haben genug Zeit eingeplant, um sich ein schönes Plätzchen am Rheinufer zu suchen und von dort das Feuerwerk zu verfolgen.

Silvester am Rhein und dann Party – das war eigentlich der Plan. Doch dann wird den Freunden die Stimmung mächtig verdorben. Silvester 2015/2016 werden sie immer in unangenehmer Erinnerung behalten. Im Gespräch mit n-tv.de erzählt die 18-jährige Michelle, was ihnen in der Nacht vom 31. Dezember am Kölner Hauptbahnhof widerfahren ist.

Denn es kommt ganz anders, als die Jugendlichen sich das alles vorgestellt haben. Feuerwerk erwartet die Gruppe schon, als sie um 23 Uhr aus dem Bahnhof auf den Vorplatz tritt. Böller und Raketen fliegen in die Menge. Michelle und ihre Freunde wollen eigentlich am Dom vorbei Richtung Rhein, aber es gibt kaum ein Durchkommen. Sowohl der Platz als auch die Treppe zwischen Dom und Bahnhof sind voller Menschen. Mehr als 1000 schätzt Michelle, "fast alles ausländische Männer", erinnert sie sich.

Die Gruppe probiert, sich einen Weg an den Menschenmassen vorbei zu bahnen. Dann passiert es. Plötzlich wird die Gruppe von 20 bis 30 Menschen von allen Seiten umstellt. "Links, rechts, vorne und hinten waren plötzlich überall Männer", sagt Michelle. Sie ist sich sicher, dass die Männer zusammengehören und organisiert vorgegangen sind.

Den weiteren Verlauf schildert Michelle so: Die Männer grapschen nach ihr und ihren Freundinnen, berühren sie an Beinen, Rücken, Oberkörper und Gesäß. Sie hätten versucht, mit ihren Händen durch die dicke Winterkleidung durchzukommen. "Das Gute war, dass wir so dick angezogen waren", sagt Michelle. Sie und die anderen versuchen zusammenzubleiben, halten sich an den Händen. Sie suchen einen Ausweg, wollen schnell weg, doch es ist zu eng. Einige der Mädchen schreien und rufen "Was soll das?". Doch die Grapscher lassen nicht von ihnen ab. Michelle hat das Gefühl, dass die Männer, die sie für Araber hält und allesamt auf älter als 30 schätzt, sie nicht verstehen. Die Sprache, die sie sprechen, kann sie nicht zuordnen. "Es waren auf alle Fälle Ausländer", sagt sie.

"Das war eklig und nicht witzig"

Knapp fünf Minuten lang ist die Gruppe umringt, dann können Michelle und die anderen schließlich entkommen. Mit ihren Händen bilden sie eine Kette und schaffen es endlich, sich von den Männern wegzuziehen. Am Rheinufer verfolgen sie später das Feuerwerk, aber der Abend ist gelaufen, mehrere der Mädchen weinen. Erst jetzt merken sie, dass die Männer sie auch bestohlen haben. Es fehlen Handys, Portemonnaies, Kopfhörer und Zigaretten. Sie suchen nach Polizisten, um die Vorfälle zu melden, es findet sich jedoch niemand.

Die Gruppe will zurück zur Bahn, eigentlich wollten die elf noch weiterfeiern, aber jetzt möchten sie alle nur noch nach Hause. Auf der Domplatte ist noch immer Ausnahmezustand, überall explodieren Böller. Der Hauptbahnhof ist abgesperrt, Michelle und die anderen verlieren sich in der Menschenmenge. Als sie später zu den Gleisen durchkommen, fährt kein Zug. Mit einer Freundin geht Michelle schließlich zu Fuß nach Hause. "Wir waren froh, als wir dort ankamen", sagt Michelle. Die Mädchen wollen nur noch schlafen. Ein Abend zum Vergessen. "Wir wurden nicht geschlagen, haben keine bleibenden Schäden, aber das war eklig und nicht witzig."

Michelle und einige ihrer Freundinnen erstatten am 2. Januar bei der Polizei Anzeige, wegen Diebstahls, aber auch wegen der sexuellen Übergriffe. Ob sich seit dem 31. Dezember etwas verändert hat, ob Michelle nun vielleicht sogar Angst verspürt, nachts allein durch die Stadt laufen? Nein, so drastisch mag die BWL-Studentin das nicht sehen. "Ich bin da unempfindlich, andere lassen das bestimmt näher an sich ran. Aber so etwas muss wirklich nicht sein, weder in Köln noch anderswo in Deutschland."

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