Macron gewährt Merkel eine besondere Ehre

  10 November 2018    Gelesen: 710
Macron gewährt Merkel eine besondere Ehre

Am 11. November erinnert Frankreich traditionell an das Ende des Ersten Weltkriegs. Die Deutschen denken bei diesem Datum eher an Karneval. Dieser Unterschied ist historisch bedingt. Trotzdem spielen die Deutschen in diesem Jahr eine besondere Rolle.

Großer Bahnhof in Paris: US-Präsident Donald Trump kommt und Kremlchef Wladimir Putin. Kanzlerin Angela Merkel wird erwartet und dazu Delegationen aus etwa 90 Staaten, darunter etwa 60 Staats- und Regierungschefs. Sie alle reisen an, um am Triumphbogen des 100. Jahrestags des Endes des Ersten Weltkriegs zu gedenken. Am 11. November 1918 war im Wald von Compiègne nördlich der französischen Hauptstadt der Waffenstillstand unterzeichnet worden.

Dass Paris in diesem Jahr der zentrale Gedenkort ist, ist kein Zufall. Anders als in Deutschland gilt der Erste Weltkrieg hier nach wie vor als der "Große Krieg", "la Grande Guerre". Zwischen 1914 und 1918 wurden in Frankreich viele Schlachten geschlagen und ganze Landstriche verwüstet. Dabei starben weit mehr französische Soldaten als im Zweiten Weltkrieg. Heute ist der 11. November gesetzlicher Feiertag, das jährliche Gedenken ist zentraler Bestandteil der Erinnerungskultur in vielen Orten des Landes. Ähnlich ist es in Belgien und Großbritannien, oder in Australien und Neuseeland.

Die Deutschen denken am 11. November dagegen eher an den Martinstag oder den Beginn der Karnevalssaison. Das hängt mit dem Zweiten Weltkrieg zusammen, der hier die Erinnerungskultur bestimmt. Einerseits steht er für den Zivilisationsbruch des Holocaust, andererseits kostete er weit mehr Menschenleben und hatte verheerende Auswirkungen in Deutschland selbst, bis hin zur deutschen Teilung. So wird zwar an den 8. Mai als Tag der Befreiung erinnert, nur selten jedoch an den 11. November.

Schon in der Weimarer Republik konnte man des Ersten Weltkrieges nie richtig gedenken, wie der Historiker Gerd Krumeich n-tv.de sagt. Einerseits fehlten entsprechende Erinnerungsorte, denn die Kampfhandlungen fanden außerhalb der damaligen Reichsgrenzen statt. "Andererseits gab es in Deutschland keinen von allen Deutschen gemeinsam begangenen Totenkult", so Krumeich. Das Gedenken sei von Streit und Schuldzuweisungen überlagert gewesen. Über die Kriegsschuldfrage wurde heftig diskutiert, rechte Kreise machten zudem die junge Republik für die Niederlage verantwortlich.

"Allerletzte Versöhnung" statt "Ort der Revanche"

Gleichwohl sind zum 100. Jahrestag des Kriegsendes Vertreter Deutschlands besonders präsent. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier traf sich bereits vor einer Woche mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron in Straßburg. An diesem Sonntag nimmt er als erstes deutsches Staatsoberhaupt in Großbritannien an der nationalen Gedenkzeremonie und Kranzniederlegung am Cenotaph in London teil. Zudem besucht er mit Königin Elizabeth II. einen Gedenkgottesdienst.

Merkel reist derweil nach Frankreich: Bevor sie am Sonntag in Paris ist, trifft sie sich am Samstag im Wald von Compiègne mit Macron. Erstmals treffen sich die Spitzen der einstigen Gegner an diesem symbolischen Ort. In einem Eisenbahnwaggon wurde hier vor 100 Jahren der Waffenstillstand unterzeichnet, der die Niederlage des Kaiserreichs besiegelte. Im Zweiten Weltkrieg dann sorgte Adolf Hitler dafür, dass die französische Kapitulation 1940 am selben Ort und im selben Waggon unterzeichnet wurde - als Akt der Demütigung für den Gegner. Heute befindet sich auf der Lichtung ein Gedenkort mit Museum. Auf einem monumentalen Stein heißt es: "Hier unterlag am 11. November 1918 der kriminelle Hochmut des deutschen Reichs, besiegt von den freien Völkern, die zu unterjochen es beansprucht hatte."

Macron wolle den "Ort der Revanche" nun jedoch in einen Ort der "allerletzten Versöhnung" umdeuten, heißt es aus seinem Umfeld. Der Gedenkstein soll durch eine Plakette ergänzt werden, die weniger martialisch klingt: "Anlässlich des 100. Jahrestags des Waffenstillstands vom 11. November 1918 haben der Präsident der französischen Republik, Emmanuel Macron, und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, hier die Bedeutung der deutsch-französischen Aussöhnung im Dienste Europas und des Friedens bekräftigt", soll darauf stehen.

Merkel und Macron träten damit "in die Fußstapfen von Helmut Kohl und François Mitterrand", heißt es aus dem Elysée-Palast, in Anspielung auf die berühmte Szene von 1984, als sich Kanzler und Präsident auf dem Soldatenfriedhof in Verdun an den Händen hielten. Für Macron steht der Jahrestag also vor allem im Zeichen der Versöhnung - und der europäischen Einigung.

"Vor den Gräbern der vielen jungen Menschen"

Es ist für ihn auch ein ganz persönliches Anliegen. Macron stammt aus Amiens, in dessen Nähe 1916 eine der blutigsten Schlachten des Weltkriegs stattfand. Als der Präsident in diesem Jahr den Karlspreis erhielt, erinnerte Merkel als Laudatorin an dessen Sicht auf die Geschichte: "Wer vor den Gräbern der vielen jungen Menschen steht, die um ihr Leben betrogen wurden, weil nationale Engstirnigkeit und Verblendung unseren Kontinent an den Abgrund geführt haben, weiß um den Wert der europäischen Einigung."

Gleichzeitig nutzt der französische Staatschef den Jahrestag aber auch für Symbolpolitik. In den vergangenen Tagen reiste er durch elf Départements im Osten und Norden des Landes, wo im Ersten Weltkrieg besonders hart gekämpft wurde. Er besuchte Verdun und Reims, gedachte mit Premierministerin Theresa May der Schlacht an der Somme, wo viele britische Soldaten starben. Am Sonntag will er dann vor den geladenen Staatsgästen eine Rede am Pariser Triumphbogen halten. Hier soll es militärische Ehren geben, auf die traditionelle Militärparade verzichtet Macron dagegen. Auch das wird als Zeichen an Merkel gewertet: Macron stellt den europäischen Gedanken über das nationale Gedenken. Dazu passt das gleichzeitig stattfindende dreitägige Friedensforum, das Merkel am Sonntag mit einer Rede eröffnen wird.

Angesichts sinkender Umfragewerte kann der Staatschef die Aufmerksamkeit aber auch gut gebrauchen. Er könne für einige Stunden wieder als Zentrum der Welt erscheinen, sagte der französische Historiker Etienne François. Er werde versuchen, "sich zu mausern: das Bild des Präsidenten der Reichen und des Volksverächters abzulegen, um Platz zu machen für das des Meisters des Pazifismus", spöttelte die linke französische Zeitung "L'Humanité" angesichts der demonstrativen Bürgernähe auf seiner Tour durchs Land.

Ganz ohne Skandal kommt Macron dabei nicht aus. Dass er den französischen General Philippe Pétain im Invalidendom neben anderen Militärs des Weltkriegs ehrte, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Denn Pétain wurde zwar lange als "Held von Verdun" gefeiert, kollaborierte aber nach 1940 mit den Nazis und war für die Deportation französischer Juden mit verantwortlich. So überschattet diesmal der Zweite Weltkrieg auch in Frankreich das Gedenken an den "Großen Krieg".

Quelle: n-tv.de


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